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Sit-In vor Stacheldraht: „Al midane“ begleitet die Revolutionäre Khalid Abdallah (links) und Ahmad Hassan zweieinhalb Jahre lang.
© Courtesy of Noujaim Films

Dokumentationen aus Kairo: Revolution im Kreisverkehr

The Revolution will be televised: Zwei Ägypterinnen haben die letzten drei Jahre an Dokumentationen über den Arabischen Frühling auf dem Tahrir-Platz gearbeitet. Einer der Filme ist nun für den Oscar nominiert.

Da steht Awatif also mitten auf dem Tahrir-Platz, trägt ihr Kopftuch, schaut sich um. Ägyptische Flaggen flattern synchron im Wind, dann kommt dieser Typ mit Nietenjacke und hochgegelten Haaren und redet blechern vom Tourismus am Nil. Sonst ist nichts los auf dem Tahrir. Das mag daran liegen, dass dieser Platz, Ägyptens Revolutionsort Nummer Eins, nicht echt ist, sondern virtuell aufgebaut in Second-Life, einem sozialen Netzwerk, durch das man sich wie in einem Computerspiel bewegen kann.

„Wir sind hier immer hoffnungsvoll und optimistisch“, sagt die reale Awatif. Sie sitzt vor ihrem Computer und steuert ihr virtuelles Alter Ego über den Tahrir-Platz aus Pixeln. „Vielleicht sind wir das, weil es nicht das echte Leben ist.“

Szenenwechsel: wieder der Tahrir-Platz. Es ist der Januar 2011, hunderttausende Kairoer haben sich auf dem breiten Verkehrskreisel in der Stadtmitte versammelt. Sie demonstrieren gegen Präsident Mubarak, wildes Flaggenschwenken,. Schnitt auf eine TV-Ansprache Mubaraks. Er schwadroniert von seiner Angst um Ägyptens Jugend: „Bedenkt doch, was wird euch passieren!“

Schnitt zurück: Die Massen strömen, die Soldaten schweigen, einer schreit „Wir haben den Tahrir erobert!“ Dann explodiert der Platz in einem großen gemeinsamen Glücksgefühl.

Gleich zwei Dokumentationen beschäftigen sich in der Forum-Reihe mit der ägyptischen Revolution vom 25. Januar 2011 – und mit all dem Guten und Schlimmeren, was folgte. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: „Arij - Scent of Revolution“ thematisiert die Depression, der Tahrir-Platz aus der Online-Welt ist geisterhaft, unwirklich. „Al midan – The Square“ hingegen nimmt den Zuschauer direkt auf den titelgebenden Platz mit, auf das unermessliche, mal heilsbringende, mal brandstiftende Monstrum im Herzen Kairos.

"The Square" sucht die Nähe der Helden vom Tahrir - um durch Emotionen den Umbruch zu verstehen

Seit dem Sturz Mubaraks ist der Tahrir Seismograf aller politischen und gesellschaftlichen Befindlichkeiten in Ägypten, er ist Meeting Point der Unzufriedenen, Propaganda-Ort für die Machthabenden. Vor allem ist er eine Idee: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass der Tahrir so sehr mit Eindrücken überhäuft wurde, dass er als Ort selbst leer bleibt“, sagt Cressida Trew. Die Britin gehört zum Kamerateam von „Al midan“. Regie führte die 39-jährige Jehane Noujaim, geboren in Kairo, aufgewachsen in Amerika. Ihre gesamte Crew besteht aus multinationalen Mittdreißigern. Klar, dass das Ankommen in der Revolution für sie ein Abenteuer war: Da stehen sie und wollen teilnehmen, dokumentieren und irgendwie mitdemonstrieren. „Wir versuchten zu verstehen, während wir filmten“, sagt Trew. Dem Film merkt man das Unfertige und Raue an, das der Tahrir verströmt, ebenso die Schwierigkeit, sich auf den Protest, den Protest gegen den Protest und die ständigen Umstürze einen Reim zu machen.

Viola Shafik, die Regisseurin von „Scent of Revolution“ hat einen anderen Weg gewählt. „Ich konnte am Anfang keine Kamera in die Hand nehmen“, erinnert sie sich an die Ereignisse von 2011 zurück. Zu gewaltig sei gewesen, was sie sah – und zu inflationär seien schnelle Bilder auf Youtube und im Fernsehen gelandet. Die Deutsch-Ägypterin Shafik ging nach Luxor und nahm eine Recherche wieder auf, die sie bereits 2003 begonnen hatte: Es geht um Landraub der Regierung, um 100 Jahre alte Fotografien, um die schwindende Identität eines Landes. Vier Protagonisten begleitet sie in der Zeit nach der Revolution, aber einzig die junge Awatif kommt dem Tahrir-Platz – wenn auch nur virtuell – tatsächlich nahe. Sonst sind echte TahrirSzenen in der Doku wie Störbilder inszeniert, kratzend und knackend.

"Scent of Revolution" geht vom Tahrir einen Schritt zurück - um das Land Ägypten im Umbruch zu begreifen

„Das ist nicht das, was ich erzählen wollte“, sagt Shafik zu Beginn ihres Films. Sie kann sich nicht abfinden mit dem, was auf dem Platz seit 2011 geschah. Im Gespräch meint sie dann auch: „Ich wollte einen Schritt zurücktreten und in mich gehen, um die Revolution zu verstehen.“ So ist „Scent of Revolution“ zu einem revolutionären Film geworden, entrückt, aber gleichsam verwurzelt in der jüngeren ägyptischen Geschichte. „Al midan“ hingegen, unlängst für den Oscar nominiert, ist ein Film über eine Revolution, frisch, pulsierend, unstet.

In den drei Jahren, die „Al midan“ auf dem Tahrir verweilt, verliert der Film seine Protagonisten nie aus den Augen, während der das Bild des Platzes sich in rasendem Tempo verändert. Revolutionäre gehen, Soldaten kommen, Muslimbrüder übernehmen, Tote bleiben. Das Große, Überwältigende spiegelt sich hier in den tränengefüllten Augen der Protagonisten.

Da ist Ahmad, der zum virilen Frontkämpfer wird, Magdy, der getriebene Muslimbrüder, der sich nie sicher ist, auf welcher Seite er stehen soll. Und da ist Khalid Abdallah, einst Schauspieler in den USA, jetzt Revolutionär. Sie kämpfen für unterschiedliche Ziele, sie streiten sich und gehen doch immer wieder zusammen auf den Platz. Die Freundschaft der drei scheint manchmal wie aus einem Drehbuch zu stammen – tatsächlich ist Kamerafrau Cressida Trew mit Abdallah liiert. Manchmal umrahmt selektive Unschärfe die Heroen. Der Wahrhaftigkeit der Dokumentation tut dies jedoch keinen Abbruch. Als viele Muslimbrüder 2013 vom Militär getötet werden, sorgt sich Ahmad um seinen einstigen Weggefährten Magdy und ruft ihn an. Resignation und Hoffnung, in Ägypten liegen sie nah beieinander. So wie in diesen beiden Filmen.

"The Square": 16.2., 19.15 Uhr (Cinestar 8), "Scent of Revolution": 14.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4), 15.2., 20 Uhr (Colosseum 1)

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