Album-Kritik: Reiß das Fenster auf
Bläser! Streicher! Chöre! Die kanadische Songwriterin Feist erweitert ihren Folk-Pop auf „Metals“ zum Breitwand-Panorama.
Ein perfekter Hippie-Traum: Draußen springen die Zicklein umher, ein dicker Hund ist auch dabei, die Sonne sinkt hinter die sanften Hügel, und vom Meer weht eine sanfte Brise herüber. Drinnen tummeln sich nette Leute in der Küche und auf den zahlreichen Sofas. Der Fußboden ist aus Holz, es gibt viele Teppiche, Bilder und noch mehr Instrumente. Willkommen in Big Sur, Kalifornien.
Hier, im Haus einer befreundeten Malerin, hat Feist Anfang des Jahres ihr viertes Album aufgenommen. Eine Serie kurzer Schwarz-Weiß-Videos auf ihrer Website zeigt die atmosphärische Idylle, die sich nun wie eine warme Hintergrundstrahlung unter den zwölf Songs von „Metals“ ausbreitet. Große Teile der Platte wurden live eingespielt, denn Feists Ziel war ein möglichst naturalistischer „Offenes-Fenster-Sound“, wie sie in einem Interview verriet. Das Organische, Handgemachte, Authentische ist ein zentraler Production Value im Werk der 35-jährigen Kanadierin. Und so scheint man auf „Metals“ manchmal die Räume selbst zu hören und die Präsenz der Musiker darin.
Ähnlich war das bereits beim letzten Album, das ebenfalls an einem äußerst charismatischen Ort entstanden ist – dem französischen La Frette-Studio. Akustische Instrumente und das sensible Zusammenspiel standen bei den Aufnahmen im Vordergrund. Analog ist besser. Absurderweise wurde „The Reminder“, das im Frühjahr 2007 erschien, dann aber auf digitalen Wegen zu einem Riesenerfolg. Apple benutzte das Video zur Single „1234“ für einen Werbespot, was die Verkäufe der Platte verdreifachte. Sie erhielt vier Grammy-Nominierungen, Jubelkritiken und diverse Preise. Im iTunes-Store war sie der Album-Bestseller des Jahres. Insgesamt verkaufte sich „The Reminder“ rund 1,2 Millionen Mal – ein geradezu galaktischer Erfolg für eine Folk-Pop-Musikerin wie Feist. Ihr Konzerte fanden nun plötzlich in riesigen Hallen statt. Sie trat bei „Saturday Night Live“ auf und sang ihren Hit mit den Puppen der Sesamstraße. Der süße Clip dieses Auftritts kommt bei YouTube auf rund 14 Millionen Klicks.
Zuvor war Leslie Feist – als Musikerin verzichtet sie auf ihren Vornamen – lange die Frau aus der zweiten Reihe gewesen. Sie mischte bei Broken Social Scene mit, half beim zweiten Kings of Convenience- Album und war als Background-Sängerin ihrer Freunde Peaches und Chilly Gonzales unterwegs. Diese beiden bildeten um die Jahrtausendwende den Kern einer kleinen, kreativen Kanadier-Kolonie in Berlin, zu der auch Mocky und Taylor Savvy gehörten. Für kurze Zeit wohnte auch Feist in der Stadt und fühlte sich wohl in der Rolle der Begleiterin ihrer schrillen Kollegen. Es schien ihre Bestimmung zu sein, schließlich war ihr Solo-Debüt gefloppt.
Dass es doch noch anders kam, hat mit Geduld und Glück zu tun. Aber auch mit dem engen Zusammenhalt der Kanada- Connection, die Feist schon seit „Let It Die“ (2004), ihrem bezaubernden dritten Album, unterstützt. So haben bei „Metals“ wieder die Multiinstrumentalisten Gonzales und Mocky mitkomponiert – und gespielt. Der Sound ist deutlich vielfältiger geworden: Bläser, Streicher und Chorgesänge spielen jetzt eine größere Rolle. Feist geht verschwenderisch mit der neuen Klangfülle um, ohne jedoch in die Bombast-Falle zu tappen. Gern baut sie die Songs additiv auf, wie etwa beim majestätisch sich emporschwingenden Opener „The Bad In Each Other“ oder in „Graveyard“, das ganz sanft mit Gitarre, Klavier, Schlagzeug und Gesang beginnt. Zwei Mal singt Feist die Refrainzeile „Bring them all back to life“ alleine, dann baut sich im Orchster eine vibrierende Spannung auf, die sich schließlich gemeinsam mit dem Chor entlädt. Wer die Toten wiedererwecken will, braucht Verstärkung. Das schafft selbst Feist mit ihrer betörenden, an Cat Power und Joan As Police Woman erinnernden Stimme nicht allein.
Dieser Gesang leuchtet wie ein golden schimmerndes Zentralgestirn über dem Album. Ihm hört man selbst dann noch gerne zu, wenn es wie in „Bittersweet Melodies“ arg zuckrig zugeht. Hits wie „1234“ oder „I Feel It All“ gibt es diesmal nicht. Die Single „How Come You Never Go There“ schließt am ehesten an den Vorgänger an. Dafür ist das neue Werk in sich stimmiger, homogener. Und es wächst mit jedem Hören – ganz organisch.
„Metals“ erscheint am 30.9. bei Polydor/Universal. Konzert: Tempodrom Berlin, 20.10., 20 Uhr
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