Jazz: Reise ans schwarze Ende der Welt
Studienrat an der Querflöte: August Zirner und das Spardosenterzett jazzen in der Berliner Bar jeder Vernunft.
All that jazz – so könnte man diesen Abend nennen. Dieses ganze Zeugs, frei übersetzt, beginnt mit einem Querflötensolo. Gespielt von einem, der mit Brille, schütterem Haar, dunklem Anzug und schmaler Krawatte ein bisschen aussieht wie ein Studienrat. August Zirner ist das, der Schauspieler, der immer diese sympathischen, ernsten Menschen spielt, die ganz weit drinnen ein Geheimnis haben.
Jetzt steht er als Frontmann vor dem Spardosenterzett in der Bar jeder Vernunft. Und spielt all die Standards der großen, schwarzen, sperrigen Individualisten: Charles Mingus, Roland Kirk, Thelonious Monk. Eine nicht nur musikalische Spurensuche. Dicht verwoben mit den Tönen trägt Zirner Splitter aus literarischen Skizzen und Biografien über diese ebenso radikalen wie schwierigen Musikerpersönlichkeiten vor. Keine History of Jazz, sondern eine Reise zu brüchigen Menschen und durch amerikanische Innenwelten, wo man in Provinzdiners fettige Kartoffeln in sich hineinschaufelt und Rassismus eine Selbstverständlichkeit ist. Und wenn Zirner sagt, dass man in Charles Mingus’ Musik die Schreie der Plantagensklaven hören kann, dann klingt danach beim „Work Song“ das Klopfen auf der Querflöte wie ein Johlen, die Klavierschläge drohen bassgewaltig, und trotzdem löst sich alles ganz leicht auf.
Ganz wie es im Jazz sein soll, hat jeder Musiker viel Platz, den das famose Jazzer-Trio aus Essen ebenso unaufdringlich wie fulminant ausfüllt. Die Soli von Bass, Klavier und Schlagzeug schieben sich elegant in die Nummern. Auftrumpfen muss niemand, auch August Zirner nicht. Er entlockt seiner Querflöte souveräne, aber verhaltene Töne. Selten klingt das nach den verrauchten Concert-Halls, in denen ihre Schöpfer auftraten. Auch der Sound ist im modernen Nichtraucherclub angekommen.
Nicht so die literarische Annäherung. Wenn Zirner mit einem kleinen Stimmschlenker zu Duke Ellington wird, der Mingus nach einem wüsten Musikerstreit mit Messer und Feueraxt freundlich aus der Band wirft, hört man, dass der Schauspieler in den USA aufgewachsen ist. Leise und ohne Faxen führt er mitten in die Welt, in der ein weißer Cop dem schwarzen Pianisten Monk die Hände prügelt, bis das Blut spritzt. All that jazz, das ganze Zeugs.
Bis 4. April, Do – Sa 20, So 19 Uhr.
Gerd Hartmann
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