Interview: Reicher werden, sexy bleiben
Ein Gespräch mit Kulturstaatssekretär André Schmitz über anstehende Personalentscheidungen - zum Beispiel am Maxim Gorki Theater - und neue Perspektiven für Berlin.
Herr Schmitz, Sie haben in den vergangenen fünf Jahren in der Berliner Kultur Etats gesichert, vieles wurde konsolidiert und beruhigt. Jetzt aber, in der neuen Legislaturperiode, stehen etliche große Personalentscheidungen bevor, am Maxim Gorki Theater, an der Volksbühne, am Ballhaus Naunynstraße. Claus Peymann wird das Berliner Ensemble nicht ewig leiten können. Die Fristen sind knapp, gute Theaterleiter auch. Die ruhigen Zeiten sind vorbei.
Das sehe ich anders. Es ist richtig, dass wir es geschafft haben, den Kulturetat um 36 Millionen Euro zu erhöhen, und wir haben 650 Millionen Euro Bauinvestitionen für die Kultur auf den Weg gebracht. Aber was die Personalien betrifft, kann es gar nicht schwieriger werden als in der letzten Legislaturperiode. Alle drei Opernintendanzen waren damals neu zu besetzen, zwei Generalmusikdirektoren und viele andere Toppersonalien mehr. Ich bin jetzt sehr entspannt. Beim Gorki Theater, das als erstes zur Entscheidung steht, gibt es eine Reihe von sehr guten, überraschenden Bewerbungen. Alles andere kann man dann gelassen angehen.
Wann werden Sie über die Nachfolge von Armin Petras am Maxim Gorki Theater entscheiden?
In den nächsten zwei, drei Monaten, es eilt in der Tat etwas. Armin Petras fühlt sich zu Höherem berufen und geht ans Staatstheater Stuttgart. Er hinterlässt das Haus in einem sehr guten Zustand.
Warum ist das Thema Volksbühne jetzt plötzlich so einfach? Frank Castorf leitet das Haus seit über zwei Jahrzehnten, er inszeniert in Paris, er ist der neue „Ring“- Regisseur in Bayreuth. Und er soll in Berlin verlängern?
Es ist eine große Ehre, wenn ein Berliner Intendant auf dem Grünen Hügel arbeitet, eine schönere Auszeichnung gibt es nicht. Die Volksbühne hat sich gut konsolidiert, und es wird in den nächsten Wochen Gespräche mit Frank Castorf geben, wie es um die Zukunft der Volksbühne bestellt ist.
Und Claus Peymann?
Steht nicht auf meiner To-do-Liste. Das Berliner Ensemble ist bei ihm in guten Händen.
Wie sieht es mit dem Deutschen Theater aus – Sie müssen bis zum Sommer über eine Verlängerung von Intendant Ulrich Khuon entscheiden?
Alles zu seiner Zeit – und nicht über die Presse.
Um nicht immer nur über die etablierten Häuser zu sprechen: Auch das jüngst so erfolgreiche Ballhaus Naunynstraße braucht eine neue Leitung, die Gründerin Shermin Langhoff geht zu den Wiener Festwochen, ein herber Verlust für Berlin.
Formaljuristisch bin ich da gar nicht zuständig, sondern der Trägerverein „Kultursprünge e. V.“ Aber wir sind über die Nachfolge im Gespräch, auch mit Shermin Langhoff. Kulturpolitisch ist das Ballhaus Naunynstraße von großer Bedeutung. Denn hier geht es um ein großes Thema der Zukunft, um kulturelle Vielfalt. Ich sehe darin die kulturpolitische und intellektuelle Herausforderung der nächsten Jahre für Berlin. Unsere Stadt mit 850 000 Menschen, die einen anderen als den originären deutschen Hintergrund haben, ist dafür prädestiniert. Die Mehrheitsgesellschaft hat die Chancen und den Reichtum, der darin steckt, noch viel zu wenig erkannt, es ist wirklich Neuland, auch in Berlin. Dafür wollen wir einen kulturpolitischen Fahrplan entwickeln. Wie können wir die kulturelle Vielfalt stärker fördern? Auch unsere großen kulturellen Einrichtungen müssen sich diesem Thema stellen.
Wie setzt man das durch?
Einfache Lösungen gibt es nicht. Aber man kann mit Intendanten Zielvereinbarungen in den Verträgen treffen, dass sie sich verstärkt um diese Publikumsschichten und Themen kümmern. Und da reicht es eben nicht, dass ein Opernmensch sagt: Das machen wir doch schon lange, schauen Sie mal, wie viele Nationen in meinem Orchestergraben sitzen. – Ich will hier auch mit der Integrationssenatorin zusammenarbeiten. Das Ganze ist ein langwieriger Prozess, der über eine Legislaturperiode hinausgeht und konzeptionell gut vorbereitet werden muss.
Ihnen wurde oft ein uninspirierter Pragmatismus vorgeworfen. Die Berliner Kulturpolitik für die Zukunft ist wohl keine reine Kulturpolitik mehr. Es geht, zumal in der freien Szene, um Immobilien und Strukturen. Wo haben Sie da Einfluss?
Wir nennen das „Orte sichern“, Proben-, Aufführungs- und Atelierräume zum Beispiel. Bei C/O Berlin, der Fotogalerie, ist das gelungen. Aber was war das für ein Riesenkraftakt! Der Druck auf Kulturinitiativen gerade im Innenstadtbereich wächst enorm. Wir brauchen eine neue Liegenschaftspolitik, darüber bin ich mit dem Bausenator im Gespräch. Eine solche Politik darf nicht nur auf den höchsten Verkaufserlös schielen, man muss auch darauf achten, welche Konzeptionen die Käufer haben. Es geht um Konzepte und Ideen, auch bei Investoren, die sich auf lange Sicht für die Stadt kulturell rentieren. Ich kämpfe deshalb dafür, dass die Kulturverwaltung im Liegenschaftsausschuss für die städtischen Grundstücke eine Stimme hat, wenn es um kulturell relevante Flächen und Immobilien geht. Wir brauchen eine engere Verzahnung von Bauverwaltung, Kulturverwaltung und den Bezirken.
Für wen, wofür wollen Sie Orte sichern?
Für kreative Menschen, für Künstler, es geht dabei ums Ganze. Die Stadt lebt in einem hohen Maß von ihnen. Dafür wird Berlin international wahrgenommen. Aber da müssen wir handeln, da ist Gefahr in Verzug. Dagegen gibt es in Tegel, Tempelhof Freiflächen, wie sie kaum eine andere Metropole auf der Welt noch hat. Die neue Metropolenbibliothek in Tempelhof könnte ein Anker zur Schaffung kreativer Räume rings umher werden.
Das klingt plötzlich nach Aufbruch, nach einer völlig neuen Kulturpolitik?
Ja, schon, in Sonntagsreden klingt das toll. Aber im Detail ist es ungeheuer schwierig. Wir bewegen uns in einem kapitalistischen Rahmen, der freie Markt bestimmt die Dinge. Da können Künstler und Kreative oft nicht mithalten. Die Erwartungen an uns Politiker sind ungeheuer hoch, und wir werden auch nicht alle erfüllen können. Aber dass Politik Rahmenbedingungen setzt und gegebenenfalls steuernd eingreift, darf man verlangen und erwarten.
Sie haben C/O Berlin erwähnt – einen neuen Typus von privater Kulturinitiative. Kreativ, aber auch kommerziell, ähnlich wie das Radialsystem oder das neue Kühlhaus am Gleisdreieck. Wie geht man mit diesen freien Projekten kulturpolitisch um?
So viel ist in Bewegung. Was da geschieht, ist ein Kompliment an unsere spannende Stadt. Sie ist attraktiv auch für Investoren, die sich in der Kultur engagieren. Von sieben Gründen, warum Touristen nach Berlin kommen, sind fünf kulturell. Der Kulturhaushalt ist der einzige, der sich aus diesen Steuereinnahmen wirklich refinanziert. Aber angesichts unserer 60 Milliarden Euro Schulden können die Bäume auch nicht in den Himmel wachsen. Wir helfen, wo wir helfen können. Nur, neue institutionelle Förderung wird es in dieser Legislaturperiode nicht geben können, das ist einfach nicht drin.
Wie lange ist Berlin noch bezahlbar?
Wir sind auf dem Weg zu einer gewissen Normalität. Arm, aber sexy gilt nicht mehr – wir werden immer reicher und wollen sexy bleiben. Das ist der Spagat.
Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.
André Schmitz, geb. 1957, ist seit November 2006 Staatssekretär für Kultur.
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