Veronese in der National Gallery: Reich macht schön
Veronese, Dürer und der Luxus Venedigs: Die National Gallery in London lädt zu einem grandiosen Nord-Süd-Dialog der Renaissance.
Es waren innere Kreuzzüge, zu denen die nordeuropäischen Künstler, Dichter und Philosophen im 18. Jahrhundert aufbrachen. Sie suchten Schönheit, klassische Ideale, das Abenteuer und die Erotik des Südens. Wenige fanden das Glück, wie Goethe. Oft endete die große Sehnsuchtstour in einer Enttäuschung, wenn nicht im Desaster wie bei Herder. Winckelmann gar fand in Triest den Tod.
Lange vorher hatte sich der aufstrebende Zeichner und Maler Albrecht Dürer (1471–1528) aus Nürnberg auf den Weg gemacht. Zweimal reiste er nach Venedig, um 1495 und 1505. Die Begegnung mit den italienischen Meistern stimulierte seine künstlerische Entwicklung. Die Alpen waren nicht nur eine natürliche Barriere. Bis in die Moderne sind sie eine ästhetische Grenze geblieben, die zu überschreiten magische Anziehungskraft besitzt. Das prägt die Auffassung davon, was schön und vollkommen sei, bis heute.
Mit ihrem „Renaissance Spring“ feiert die National Gallery London europäische Vielfalt. Der Reichtum liegt in der Differenz, es kommt schon im Titel der beiden Ausstellungen scharf heraus. „Strange Beauty. German Paintings at the National Gallery“ heißt die eine, im Untergeschoss, aus Beständen des Museums bestückt. Die andere, in den oberen Sälen mit reguliertem Tageslicht, nennt sich mit einem Fanfarenstoß, „Veronese. Magnificence in Renaissance Venice“ und präsentiert Leihgaben aus aller Welt.
Deutsche Malerei galt in England lange als hässlich, jedenfalls nicht unbedingt als schön. „Strange Beauty“ meint Expressivität, Originalität, ausgeprägten Charakter mit naturalistischen Zügen bis hin zum Skurrilen. Dürers Porträt seines alten Vaters, das hier zu sehen ist, packt den Betrachter unmittelbar, es ist wie ein Memento mori, ein schmuckloser Spiegel, man sieht, wo ein Lucian Freud herkommt; auch wenn es sich bei dem Londoner Bild möglicherweise um eine spätere Kopie handelt. Eine umwerfende Schönheit ist auch die „Lady mit dem Eichhörnchen und dem Staren“ von Hans Holbein d. J. (1497–1543) nicht. Sie blickt unter ihrer Haube etwas trüb, doch hat sie Persönlichkeit und Würde und vielleicht ein Geheimnis, worauf die Tiere verweisen; das Eichhörnchen liegt an einer Kette.
Lukas Cranachs Venus mit Cupido, der sich bei der Göttin beschwert, legt den Gedanken nahe, dass Schönheit vielleicht auch etwas mit Witz, Direktheit und Selbstbewusstsein zu tun hat. Ein bisschen mager ist die nordische Venus auch, aber das hat mit Moden zu tun und dem wechselnden Geschmack. Ist schön, was sexy macht oder tugendhaft? Und wie vertragen sich solche Gedanken mit der Religion und der Kunst in Kirchen?
Paolo Caliari (1528–1588), nach seiner Heimatstadt Veronese genannt, wird in der National Gallery mit 50 Werken wie ein Superstar präsentiert. In Venedig, das er nie verließ, war er das auch: ein vielbeschäftigter, gefragter, berühmter Künstler, Inbegriff venezianischer Kunst nicht nur im 16. Jahrhundert. Und das heißt: Pracht, Grandezza, Luxus, Repräsentation, souveräner Umgang mit den Themen der Antike, der Mythologie ebenso wie mit dem Bilderkanon der katholischen Kirche. Damit hat er sich den Ruf eines etwas oberflächlichen Dekorationskünstlers eingehandelt. Seine technischen Fähigkeiten waren stupend, die Malerei ging ihm leicht von der Hand, er arbeitete im Fresko-Stil auf der Leinwand, mit schnellen, kräftigen Strichen.
Bei Veronese frappiert die schiere Größe der Werke
Veronese tritt schon früh als Genie der Einfühlung auf. Ein Familienporträt zeigt Iseppo da Porto, einen reichen Mann aus Vicenza, mit seinem kleinen, aber auch schon herrschaftlich in Pelz gekleideten Sohn, ein zweites Livia da Porto, seine Ehefrau, mit ihrer Tochter. Lebte er heute, hätte er eine Kamera, könnte man sagen: Veronese versteht sich auf das Bild des Individuums so gut wie auf die Fotografie kostbarer Kleider. Die da Portos wissen freilich auch, sich in Pose zu stellen, in ihrem Wohlstand. Andrea Palladio baute ihre Villa. Wohlstand macht glücklich und gibt Kraft. Das wäre so etwas wie die Staatsräson Venedigs. Noch nobler in der Erscheinung steht „La Bella Nani“ da, eine Leihgabe aus dem Louvre, mit Perlen und Goldschmuck, dem fein frisierten blonden Haar, dem Rouge auf den Wangen und dem tiefblauen Samtkleid auf schneeweißer Haut. Die als Trophäe hingestellte Schönheit kann allerdings ein Unwohlsein nicht verbergen.
Gemessen an ihrem Reichtum und Einflussgebiet war Venedig immer eine kleine, über sich selbst hinauswachsende Stadt. Bei Veronese – wie bei Tizian und Tintoretto – frappiert die schiere Größe der Historiengemälde, vor allem „Die Familie des Darius vor Alexander dem Großen“. Es misst 2,36 mal 4,74 Meter und war ursprünglich für eine Palladio-Villa bei Padua gemalt. Im 17. Jahrhundert übersiedelte das Bild in den Palast der Familie Pisani am Canal Grande und zog Besucher von weither an. 1857 kam es für eine so riesige Summe nach England, dass das britische Parlament darüber debattierte. Eine gewaltige Opernszenerie, fast Barock: Die Perser sind geschlagen in der Schlacht bei Issos, ihr Herrscher bittet um Gnade. Und er spricht, darin liegt die Pointe, in seiner Verzweiflung und Verwirrung nicht den Makedonenführer an, sondern einen Offizier Alexanders. Prunkvolle Waffen, Gewänder, Tiere bevölkern diese Fantasie vor antikisierender Architektur. Zuschauer haben sich aufgebaut wie ein Chor. Alexander schont den besiegten Feind. Eine Demonstration gediegener Macht, wie sie in Venedig gefiel.
Das Bühnenhafte, Dekadente blüht ebenso in der religiösen Malerei Veroneses. Die „Mystische Vermählung der Heiligen Katharina“, ein Riesenwerk aus der Accademia von Venedig, zierte einst einen Konvent, in dem junge Aristokratinnen auf die Ehe vorbereitet wurden. Unter den Augen eines Engelsschwarms reicht Katharina dem Jesuskind die Hand, das im Schoß der Gottesmutter liegt. Vorn sitzen musizierende Flügelwesen. Kirche und Glaubensmacht richten sich auf am eigenen Gepränge. Es ist die Selbstvergewisserung des Katholizismus in der Zeit der Krise nach Luthers Reformation im Norden – und die Selbstfeier einer Stadt, die zwischen Geburt und Untergang nicht unterscheidet.
Selbst Märtyrer haben bei Veronese einen gesunden Teint. Sie wählen, wie der Heilige Georg, den Schmerz als Privileg. Luxus und Pracht wirken beruhigend. Veroneses Malerei ist ein Glücksversprechen. Der Selbstmord der Lukretia mit dem Dolch huldigt dem weichen, hellen Fleisch, das von Gold und Perlmutt angestrahlt wird, während schon das Blut aus der Brust sickert. Tragödien, gewickelt in Samt und Seide. Hinter dem Brokatvorhang meint man das schlammige Wasser der Lagune schwappen zu hören. Nichts ist so morbide wie perfekte Schönheit.
„Strange Beauty“ läuft bis 11. Mai in der National Gallery London, „Veronese“ bis 15. Juni. Zu dieser Ausstellung gibt es einen hervorragenden Katalog (19,99 GBP). www.nationalgallery.co.uk
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