Kirsten Harms: Regie-Ausstand mit Richard Strauss
Kirsten Harms gibt mit der "Liebe der Danae" von Richard Strauss ihren Regie-Ausstand an der Deutschen Oper Berlin.
Bis zur Pause ist die Opernwelt an der Bismarckstraße noch ziemlich in Ordnung. Kirsten Harms, die zum Ende der Spielzeit scheidende Intendantin, sagt mit einer letzten eigenen Inszenierung ihrem Berliner Publikum Adieu: erneut eine Ausgrabung, ein selten bis nie bis höchstens pflichtschuldig gespielter später Richard Strauss (zuletzt in Salzburg 2002 und in Dresden 2005); erneut in der zeitlosen Ästhetik ihres Bühnenbildners Bernd Damovsky; erneut ohne Sängerstars. Und wie schon bei Franchettis „Germania“ oder Gnecchis „Cassandra“ wird man das Gefühl nicht los, dass das fehlende Niveau der Auseinandersetzung, die fehlende Fallhöhe respektive -tiefe der Gedanken hier durch Beflissenheit kompensiert werden und durch ein ewig dankbar an Götz Friedrich geschultes künstlerisches Kindchenschema.
Wie schnell man sich doch daran gewöhnt! Die Berliner Kulturpolitik, die die Deutsche Oper vor bald zehn Jahren erst am ausgestreckten Arm zappeln und darben ließ und finanziell im Vergleich zur Staatsoper schließlich in die zweite Reihe verbannte, wollte und will es offenbar nicht anders.
Insofern wäre an diesem gemessen bejubelten Premierenabend alles wie gehabt. Doch dann kommt der dritte Akt von Richard Strauss’ „Liebe der Danae“, und Harms’ Regie-Handwerk kriegt Risse, der musikalisch ohnehin aus dem letzten prosaischen Loch pfeifenden Partitur geht endgültig die Inspiration und die Puste aus, und man fragt sich, was das Ganze soll. Strauss beendete die Arbeit an dieser „heiteren Mythologie“ auf ein unsagbar schwatzhaftes Libretto von Joseph Gregor (nach Motiven von Hofmannsthal) 1940, da war bereits Krieg. Der greise Komponist selbst konnte der Geschichte der griechischen Königstochter Danae, die sich statt in Jupiter in den Eselstreiber Midas verliebt, bettelarm bleibt und trotzdem glücklich wird, lediglich noch in einer öffentlichen Generalprobe beiwohnen: 1944 in Salzburg. Da waren in Deutschland die Theater bereits geschlossen, und nach dem 20. Juli wurden auch die Festspiele abgesagt. Die Uraufführung seiner vorletzten Oper 1952 hat Strauss dann nicht mehr erlebt.
Das Musiktheater als rettender Elfenbeinturm in Zeiten der Not? Der singende Mensch als einzig habhafte, ganzheitliche Utopie? Kunst als das, was bleibt, allem politischen, ideologischen, ästhetischen Unbill zum Trotz? Kirsten Harms hat die „Liebe der Danae“ schon einmal inszeniert, 2001 in Kiel, damals soll es ihr um Strauss’ Rolle im Dritten Reich gegangen sein. Jetzt geht es ihr mehr um den schnöden Mammon, die Finanzkrise lässt grüßen, und das Stück mit seinen endlosen Geld- und Giertiraden und raffzähnigen Chören böte dafür gewiss Anlass. Warum mit der „Danae“, angelehnt an ihre krude Entstehungsgeschichte, nicht ein Exempel statuieren, das die mindestens so vielsagende Entfremdung zwischen heutigen Realitäten und heutiger Kunstproduktion auf den Punkt bringt? Das müsste möglich sein, auch ohne dass Jupiter uns unterm Euro- Rettungsschirm begegnet oder Danae im Outfit von Kristina Schröder.
Harms/Damovsky freilich gehen den Weg der Abstraktion, was den gut dreistündigen Abend vor allem nach der Pause zur Geduldsprobe macht. Herrscht im ersten Akt, im ganz irdisch vor sich hin bröckelnden Ambiente von Danaes bankrottem Vater Pollux noch gerichtsvollzieherische Betriebsamkeit (Kunstgegenstände werden gepfändet und weggeschafft, ein Flügel wird kopfüber an die Decke gezogen), so badet der zweite Akt tapfer in Gold und Trockeneis – wie sich die Gabe des Götterboten Midas, dass alles, was er berührt, zu Gold werde, theatralisch eben so versinnbildlichen lässt. Der dritte Akt jedoch, der ausschweifend von Jupiters (und Strauss’!) Weltenabschied erzählt, hat dem szenisch nichts mehr hinzuzufügen. Das Ambiente liegt in Trümmern, darauf, dass auch der vermaledeite Damokles-Flügel als Symbol einer gescheiterten bürgerlichen Kultur endlich vom Bühnenhimmel falle, wartet man vergebens, und die Sängerdarsteller treten auf und treten ab und ringen in Sack und Asche die Hände.
Auch musikalisch ist dieser Akt mit Abstand der schwächste. In immer breiteren, zielloseren Strömen wälzt sich der Strauss-Sound aus dem Graben, die Lautstärke des Riesenorchesters ist ein Riesenproblem, das Dirigent Andrew Litton kaum in den Griff bekommt, hie und da blinken ein paar kammermusikalische Pailletten auf, die die Larmoyanz noch betonen. Und in der Ferne verblasst die gesamte neuere Musikgeschichte, Strauss’ „Frau ohne Schatten“, seine „Daphne“, Mozart, Richard Wagner. An Litton wäre es gewesen, der Partitur durch Eleganz und Nonchalance einen doppelten Boden angedeihen zu lassen oder wenigstens ein kleines altersweises Augenzwinkern.
Indem sich das Orchester der Deutschen Oper darauf nicht versteht, sondern eher handfest agiert, tun sich die Sänger doppelt schwer: Manuela Uhl mit gleichförmig angespanntem, leider wenig auratischem Sopran in der mörderischen Titelpartie, Mark Delavan als rau bis heiser, aber nicht uninteressant timbrierter Jupiter, Matthias Klink mit jungem, biegsamem Tenor in der Rolle des Midas, Burkhard Ulrich als hysterischer Pollux und Thomas Blondelle als Possen reißender Merkur. Nett anzusehen in Dorothea Katzers weißen Designerfähnchen auch das Damen-Quartett der Jupiter-Verflossenen (Hila Fahima, Martina Welschenbach, Julia Benzinger, Katarina Bradic). Und klug, den Abend zu übertiteln – sonst würde man nämlich kein Wort verstehen.
Geld oder Liebe oder doch lieber Kunst? Kirsten Harms beantwortet die Frage mit einem letzten, endlos langen bangen Blick der Danae gen Flügel. Und beantwortet sie nicht. Und bleibt sich treu.
Wieder am 27.1., 5. und 13.2.
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