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Assaf Gavron
© promo

Interview: Real, surreal, kollateral

60 Jahre Israel: Bestsellerautor Assaf Gavron über den Wahnsinnsalltag im Nahen Osten und den festgefahrenen Friedensprozess.

Herr Gavron, alle Welt feiert den 60. Jahrestag der Gründung Israels. Bedeutet Ihnen der Staatsgeburtstag etwas?

Ich weiß nicht, der 50. war eine große Sache, aber der 60.? Ich liebe Israel, es ist mein Zuhause, aber ich halte es nicht immer dort aus. Ich lebe wieder dort, nach fünf Jahren in England, vorher hatte ich das Land schon öfter verlassen. Direkt nach der Armee ging ich als Student nach London, dann war ich wieder in Israel, studierte ab 1997 in Vancouver und kam wieder zurück, um Ende 2002 mit meiner Frau erneut nach England zu gehen. Israel ist ein Land, von dem man ab und zu eine Pause braucht, wegen der Lebensintensität, der gespannten Lage und der Intoleranz mancher Leute. Manchmal wird es einfach klaustrophobisch, und dann ziehe ich den Winter in Nordeuropa dem Sommer in Israel vor.

War es leichter, den Roman „Ein schönes Attentat“ über die zweite Intifada im Ausland zu schreiben?

Es war hart, 2002/2003 in Israel zu leben, und es war ebenso hart, mich beim Schreiben zurückzuversetzen in die Hochphase der Bombenattentate. Am schlimmsten war es im März 2002, da gab es jeden Tag Anschläge. Die Distanz hat geholfen.

Warum ist es seitdem ruhiger geworden?

Vielleicht wegen der Mauer, vielleicht wegen einer gewissen Kriegsmüdigkeit, vielleicht ist es aber auch nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Womöglich wächst gerade die nächste Generation von Selbstmordattentätern heran.

Ihr Roman hat zwei Ich-Erzähler, ein israelisches Opfer und einen palästinensischen Bombenbastler. Werden Sie in Israel kritisiert, weil Sie nicht Partei ergreifen?

Ich ergreife beide Parteien, viele verstehen das nicht. Aber anders wäre die Geschichte unvollständig. In unserer Literatur, der Kunst oder den Medien gibt es immer nur eine Seite, die israelische. Aber die Wirklichkeit ist komplex. Ich wollte zumindest versuchen, mich in die Lage der Palästinenser hineinzuversetzen – und sei es die von potenziellen Attentätern. Weil ich mich dabei nicht auf vertrautem Terrain bewege, liegt Fahmi, der Palästinenser, im Koma. So war ich in der Lage, ihm Fantasien und Erinnerungen zuzuschreiben, die nicht hundertprozentig korrekt sein müssen. Das Koma ist auch ein gutes Sinnbild für die Lage der Palästinenser, die selbst in einem Zwischenstadium leben, ohne Land, ohne normales Existenzrecht.

Die Israelis in Ihrem Buch schließen Terrorwetten ab über den Ort des nächsten Attentats und die Zahl der Toten. Ganz schön sarkastisch.

Ich schlachte gern heilige Kühe. Vor allem die jüngere Generation bei uns hat viel schwarzen Humor. Ich habe eine Popband in Israel, mit zwei Freunden bringe ich alle sechs Jahre ein Album heraus. Jedes Mal ist der letzte Song die wilde Coverversion eines patriotischen Israelliedes. „You can’t stop this melody, you must keep on playing“, heißt es zum Beispiel in einer Hymne für Bomberpiloten. Keiner kann uns aufhalten, es ist eine Allegorie auf Israel. Bei uns heißt es: „You must stop playing“, ein witziges hebräisches Wortspiel. Den Älteren, die die großen Kriege durchlitten haben, fällt es verständlicherweise schwer, auch mal zynisch zu sein. Dabei ist die Realität selbst surreal: Man steigt in den Bus und weiß nicht, ob man lebend ankommt.

Sind Sie 2002 Bus gefahren?

Ich bin Sammeltaxi gefahren, und habe genau wie mein Romanheld gedacht, na, darauf werden sie schon keinen Anschlag verüben. Ich erinnere mich an die Bombe in der Disco am Strand von Tel Aviv, es gab 20 Tote. Wir saßen zehn Minuten entfernt im Kino, mit einem Freund, der als Fernsehreporter angebeept wurde. Mitten im Film erfuhren wir von dem Anschlag, es war sehr beängstigend. Auf der Leinwand lief ein wüster Actionfilm, und wir überlegten, ob die Attentäter noch unterwegs sein könnten und die nächste Bombe vielleicht ins Kino werfen.

Macht das Schreiben es leichter, solche Absurditäten zu ertragen?

Das ist eine Funktion von Literatur: die Wirklichkeit auszuhalten und ihr einen Sinn zu verleihen. Das versuchen ja auch die 9/11-Romane von Don DeLillo, Jay McInerney oder Jonathan Safran Foer. Ich habe mir mit „Ein schönes Attentat“ selbst eine Postkarte geschickt. Mein vergangenes Ich wollte mein künftiges Ich daran erinnern, dass die Zeit der Attentate einmal unsere Wirklichkeit war: diese verrückte Mischung aus Kriegsalltag, den Auswüchsen der Hightech-Welt – mein israelischer Romanheld arbeitet in einer Zeitmanagement-Firma – und den Realityshows mit ihrem Celebrity-Wahn. Außerdem möchte ich daran erinnern, dass wir die zweite Intifada nicht einfach geschehen ließen, sondern uns damit befasst haben und begreifen wollten, was los ist.

Sie haben mit Palästinensern das Computerspiel „Peacemaker“ entwickelt und sich optimistisch geäußert. Kann man das Nahostkriegspiel tatsächlich gewinnen?

Das Spiel gewinnt, wer Frieden schafft. Es gelingt nur, wenn man die Interessen beider Seiten ausbalanciert. Das Gleichgewicht der Kräfte ist entscheidend. Das von Shimon Perez gegründete Center for Peace hat gerade 100 000 Exemplare des Spiels gekauft und an israelische und palästinensische Teenager verteilt.

Was würden Sie vorziehen: eine Zweistaatenlösung oder einen Zweivölkerstaat?

Was immer funktioniert, ist die bessere Lösung. Aber wie soll es gehen? Unserem Premier und dem palästinensischen Ministerpräsidenten traut kaum jemand den Friedensprozess zu. Vielleicht hilft ja der Wechsel der US-Regierung, egal, ob McCain oder die Demokraten die Wahl gewinnen. Aber für eine Zweistaatenlösung müssten die Israelis raus aus der Westbank und Siedlungen aufgeben – unvorstellbar. Auch der Zweivölkerstaat mit einer demokratisch gewählten israelischpalästinensischen Regierung ist eher eine Idealvorstellung als eine reale Option.

Und die nächste Generation?

Auf beiden Seiten erleben die heutigen Kinder Unfreiheit, Bedrohung, Angriffe, Misstrauen. Und die Medien beider Seiten betreiben entsprechende Propaganda. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die jüngeren Israelis und Palästinenser friedfertiger sind. Es ist nicht vorbei. Es wird noch jahrelang nicht vorbei sein.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Bei den Deutsch-Israelische Literaturtagen des Goethe-Instituts und der Heinrich-BöllStiftung in Berlin (bis 13.4.), liest Assaf Gavron mit Ulrich Peltzer und Michael Zamir heute um 18 Uhr unter dem Motto Einsame

Rufer? Vom bedrohten Staat und inneren Sicherheiten
in der Volksbühne, Roter Salon.

Programm der Literaturtage: www.goethe.de

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