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Raphael Gross
© Imago

Deutsches Historisches Museum: Raphael Gross soll die Geschicke des DHM lenken

Damit Ruhe einkehrt: Mit Raphael Gross übernimmt ein Kenner der deutsch-jüdischen Geschichte die Leitung des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Weißen Rauch sah wohl niemand über dem Berliner Zeughaus als dem Sitz des Deutschen Historischen Museums (DHM) aufsteigen, doch die Erleichterung ist den Pressemitteilungen anzumerken, die nun die Berufung von Raphael Gross zum neuen Direktor verkündeten. Habemus principem!, mögen die Mitglieder des hauseigenen Kuratoriums gerufen haben, aus dessen Mitte heraus eine fünfköpfige, aus Bundes- und Landespolitikern gebildete Findungskommission als Auswahlgremium tätig war.
Das DHM als Institution ist eine Dauerbaustelle, seit Gründungsdirektor Christoph Stölzl im Jahr 2000 den Lockrufen der Berliner Lokalpolitik erlag und das Amt des Kultursenators übernahm. Seither befindet sich das Haus, das 1987 zur Überraschung der Unken-Rufer – also fast aller – so frisch, so gehaltvoll gestartet war, in einer merkwürdig unfrohen Stimmung. Zuletzt war es Alexander Koch, mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet, der mit dem ausufernden Apparat des DHM nicht zurecht kam und nach kaum verhülltem Aufstand langjähriger, sich gegängelt fühlender Mitarbeiter den Hut nahm.

Die Berufung von Gross ist überraschend

Also musste ein neuerliches Berufungsverfahren eingeleitet werden. Bewerbernamen drangen nicht nach außen – ein Zeichen für die Anspannung, mit der die Suche betrieben wurde. Denn eine weitere Pleite kann sich die aufsichtsführende Behörde, die im Kanzleramt angesiedelte Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in Person von Monika Grütters (CDU), nicht leisten. Grütters selbst sitzt dem Kuratorium der Stiftung DHM nicht vor, sondern hat den heiklen Posten ihrem Amtsleiter überlassen, dem Juristen Günter Winands.

Die Berufung von Gross unter 30 in die engere Auswahl gezogenen Kandidaten ist durchaus überraschend. Sein bisheriger Berufsweg weist ihn als Spezialisten für deutsch-jüdische Geschichte aus, nicht aber als Universalisten deutscher und europäischer Geschichte. Freilich bringt er gehörige Museumserfahrung mit. Als Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt am Main hat er mit Ausstellungen zu Fritz Bauer, dem Generalstaatsanwalt in Sachen Auschwitz-Prozess, oder zur Frankfurter Schule und ihren jüdischen Protagonisten Marksteine im geistigen Leben der Main-Metropole gesetzt. Entsprechend betrübt fielen die Kommentare aus, als Gross im Frühjahr 2015 an die Universität Leipzig wechselte, um den Lehrstuhl von Dan Diner am Historischen Seminar sowie die Leitung des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur zu übernehmen

Vielleicht hat ihn das akademische Leben doch nicht ausgefüllt. Studiert hat der in 1966 Zürich gebürtige Schweizer in den achtziger Jahren Geschichte, Philosophie und Literatur, promoviert hat er – gewagt! – über „Carl Schmitt und die Juden“, schlug dann zunächst eine akademische Laufbahn ein, bevor er ab 2001 die Leitung des Leo-Baeck-Instituts in London und 2006 zudem die Leitung des Jüdischen Museums und zugleich des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt übernahm. Der Wechsel nach Leipzig nach knapp einem Jahrzehnt wurde als Karriereschritt interpretiert, der nun so schnell folgende Wechsel nach Berlin darf als Karrieresprung gelten.

Statt Intrigen sollen Ideen gesponnen werden

Gross habe „die Fähigkeit bewiesen“, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters, „profilierte Einrichtungen mit ruhiger Hand zu führen und ideenreich weiterzuentwickeln“. Aha! Da also liegt der Hase im Pfeffer beziehungsweise liegen die Probleme des DHM. Ruhe soll ins aufgewühlte Haus einkehren, statt Intrigen sollen Ideen gesponnen werden. Der geschasste Alexander Koch hatte zu Recht die Frage gestellt, wie das Haus im Jahr 2030 dastehen solle, dann mit der Konkurrenz des riesigen Humboldt–Forums schräg gegenüber. Eine Antwort hat das DHM als Ganzes der Öffentlichkeit bislang nicht zu präsentieren vermocht.
Die aber wird immer dringlicher. Wie soll die deutsche Geschichte, eingebettet in diejenige Europas – wie es der Auftrag des Hauses vorsieht –, in Dauer- und Wechselausstellungen präsentiert werden, wenn wenige Schritte entfernt im Humboldt-Forum Globalgeschichte und -gegenwart verhandelt werden? Wie aktuell soll, kann, will das DHM sein? Mit Tafelgeschirr der Biedermeierzeit, wie es ein früherer Generaldirektor des DHM so liebte, ist es längst nicht mehr getan.

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