zum Hauptinhalt
Rammstein-Frontmann Till Lindemann am Samstagabend auf der Bühne im Berliner Olympiastadion.
© Christoph Soeder/dpa
Update

Rauch und Flammen über dem Olympiastadion: Rammstein feiern Silvester im Sommer

Heimspiel für Rammstein: Die Berliner präsentieren ihr neues Album gewohnt brachial, provokant und begleitet von Feuerspielen.

Geliebt, gehasst, mit Absicht ignoriert: Rammstein wecken viele Gefühle, meist sind es heftige. Ein Konzert der Band ist ebenso schwer einzuordnen: Eine Mischung aus Kirmes, Gottesdienst, Pyronale. Das elfte Konzert ihrer Stadiontour am Samstagabend macht da keine Ausnahme. Nach zwei Stunden verlassen die Fans das ausverkaufte Berliner Olympiastadion mit vollem Kopf und heißen Ohren. Ein paar Beobachtungen zur Show:

Rammstein-Konzerte sind nur nach Einbruch der Dunkelheit genießbar. Wirkten Bühnenpräsenz und Sound anfangs noch dünn und blechern, gelingt es Till Lindemann und seiner in der Dämmerung immer mehr, das Publikum zu bannen. Kein Wunder, spielen viele Lieder doch mit dem Dunklen im Menschen, mit Gewaltfantasien und albtraumhaften Geschichten. "Mein Herz brennt” etwa, in der ein dunkler Nachtmahr kleinen Kindern schaurige Worte ins Ohr flüstert. Passend dazu hüpft Bassist Oliver Riedel mit schwarz verhülltem Kopf wie ein Henker über die Bühne.

Rammstein-Shows sind Silvester im Sommer. Irgendwie passend, dass am Abend zuvor die kürzeste Nacht des Jahres war, die vor allem in Skandinavien mit Tanz und Feuer gefeiert wird. Beim rammsteinschen Mittsommerfest kam das Feuer natürlich aus Flammendüsen an der Bühne und -besonders beeindruckend- aus Gerüsttürmen überall im Stadion. Immer wieder schossen Flammensäulen empor. Bei “Du hast” sogar im Takt zu jeder Verneinung der Frage, ob man für immer treu sein wolle.

Was bei der Bravo Supershow 1998 wirkte, bringt auch 2019 die Menschen zum Kreischen, nur dass das Publikum eben in der Zwischenzeit auch ein Stück älter geworden ist. Feuer aber zieht sie immer noch an, das ist eine anthropologische Konstante: Gleich beim ersten Lied “Was ich liebe” aus ihrem aktuellen titellosen Album steigt aus den Türmen schwarzer Rauch auf wie auf einer Ölplattform. Es hätte weißer Rauch sein sollen: Das Publikum feiert Till Lindemann, in Schlangenledermusteranzug und goldenen Stiefeln, wie einen Papst. Er dirigiert zehntausende Fans ohne Zwischenansagen, und füllt das Stadion mit seiner tiefen Stimme.

Dichter Rauch und Flammen beim Konzert von Rammstein über dem Olympiastadion
Dichter Rauch und Flammen beim Konzert von Rammstein über dem Olympiastadion
© dpa/Paul Zinken

Kalkulierter Tabubruch

Rammstein-Shows sind Rituale. Zwar stammten acht von 21 Liedern vom neuen Album, einige Songs und dazugehörige Showelemente haben sich in 25 Jahren Bandgeschichte aber etabliert. Schon vor 14 Jahren musste Keyboarder Flake Lorenz zu “Mein Teil” in den Kochtopf steigen und sich von Till Lindemann in Kochmütze und Schürze mit einem Flammenwerfer beschießen lassen. Mittlerweile richtet Lindemann die Flammen nur noch auf die Unterseite des Riesenkessels, zu oft hat sich Flake schon den Schopf verbrannt. Als ausgleichende Gerechtigkeit schubst der Keyboarder seinen Frontmann anschließend von der Bühne auf eine Luftmatratze.

Rammstein können Geschmacklosigkeit und Witz zugleich. Gegen Ende der Show spielt die Band den Aufregersong “Pussy”, aus dem Zeilen wie “Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr” stammen. Lindemann hält eine etwa drei Meter lange phallusartige Kanone ins Publikum, daraus kommt weißes Konfetti geschossen, kurz darauf spritzt es aus allen Düsen ins Publikum, regnet auf die Menschen herab. Ein Gangbang mit allen Anwesenden. Und die scheinen es zu genießen.

Die Szene beschreibt die ganze Band: Kreativer Tabubruch mit Hang zum Kinderspiel. Vor der der Kulisse des im Nationalsozialismus erbauten Olympiastadions hätte das Konzert mit all den Marschiereinlagen und den brachialen Liedern leicht ins Martialische driften können. Konfetti, die als leuchtende Strichmännchen herumtanzenden Bandmitglieder und eine Pianoeinlage beim Song “Germania” verhindern das.

Merke: Rammstein können auch leise - und das verdammt gut. Das zeigen sie zuerst bei “Diamant”, einer elegischen Ballade, die ausnahmsweise mal kein verstörendes Ende nimmt. Gitarrist Richard Kruspe und Flake im Goldanzug sitzen wie kleine Jungen auf der Treppe der Bühne, die mit Stelen, Scheinwerfern und Bannern monumental aufgedonnert in den Abendhimmel vor dem Marathontor ragt. In diesem Moment versteht man, dass Rammstein Meister der Romantik sind. Nur dass sie eben meist in der Welt von Edgar Allen Poe unterwegs sind und seltener Goethes Werther nachstreben. Hier aber gelingt ihnen das.

Im Gummiboot unterwegs

Der Höhepunkt des Abends aber findet mitten im Publikum statt, auf einer kastenförmigen Bühne im Zuschauerraum. Das Duo Jatekok, das als Vorgruppe das Album “Klavier” auf dem Piano spielte, sitzt hier wieder an den Tasten. Die Band stellt sich ringsum auf und singt zusammen mit den Leuten das Lied “Engel”. Tausende Handys leuchten. Danach lassen die Bandmitglieder sich vom Publikum mit dem Gummiboot wieder zurück zur Bühne tragen. Ohne Späßchen geht es nicht.

Für das wohlige Gefühl auf dem Nachhauseweg erklingen die alten Kracher ”Du riechst so gut”, “Rammstein” und “Ich will”. Begleitet von viel Knall und Peng und Fackelei.

Was das jetzt nun wieder war - ob Karneval, Kirchgang, oder Blasphemie - darüber kann man streiten. Ebenso darüber, ob die mit Nazi-Ästhetik kokettierende Band nun so besonders gut in das Olympiastadion passt. Gekonnt bespielt hat Rammstein es jedenfalls.

Zur Startseite