16. Poesiefestival in Berlin: Raffinierte chinesische Alltäglichkeit
Der chinesische Dichter Zang Di kommt am 19. Juni zur Eröffnung des 16. Berliner Poesiefestivals. Hier präsentiert er drei seiner Gedichte.
Der chinesische Lyriker Zang Di, im April 1964 als Zang Li in Peking geboren, ist hierzulande bisher allenfalls Sinologen ein Begriff. In den USA aber ist er mittlerweile recht bekannt. Nun kommt er zur freitäglichen „Weltklang“-Nacht schon zur Eröffnung des 16. Poesiefestivals nach Berlin, wo er in diesem Jahr Teil eines kleinen China-Schwerpunkts ist, der in drei Veranstaltungen (am 24./25. Juni) sowohl die Traditionen als auch die subversiven Gehalte poetischen Sprechens untersucht.
Gedichte sind Holzblöcke in der Politik des Lebens – sie können grob sein oder poliert. Man kann Kerzenständer daraus machen oder Tische; sie können eine Kiste oder ein Galgen sein. Wenn das so ist, sagst du, magst du Gedichte tatsächlich noch viel mehr, als du immer dachtest. Dir wird sogar klar, dass Gedichte ganz konkret definieren können, was du in diesem Moment eigentlich am meisten willst. Du magst Hobel. Du hast einen Spitznamen, deine Bekannten nennen dich Hobel, aber das ist dir egal. Wenn du fest genug drückst, schleift der Hobel gleichmäßig, spielt deine Lieblingsmusik: Manchmal handelt sie vom Holzblock, Manchmal vom Menschenbaum. Darum ist der Hobel das Instrument, das du am besten spielst. Von grob zu glatt führt kein Prozess so sorgfältig, aber auch so sorglos wie die Bewegung eines Hobels – fast könnte man sagen, sie entspricht genau dem Aspekt von Gedichten, der nicht menschlich ist.
Aus der Reihe: Hobel, von Zang Di
Vor ein paar Jahren hat mich mein Körper verpasst. Das hätte wirklich nicht passieren sollen, hat sich seitdem aber de facto mehrmals wiederholt. Mein Körper ist mein Wunder, obwohl das sehr überheblich klingt. Was ich damals eigentlich dachte, war, dass Wunder die Freiheit einschränken, und außerdem kann es gut sein, dass sie nur eine bestimmte Form von Niedergang sind. Mein Körper, hängend, ein reifer Apfel, der jeden Augenblick fällt. Auf deinen Kopf, per Zufall, wodurch die Welt vielleicht ein weiteres Mal aufgeklärt wird. Ich liege im Gras, auf der Seite, die Sommerinsekten denken um mich herum. Ich mag Dinge mit Rhythmus. Wofür Insekten nicht üben müssen, sie denken im Takt, in dem sich offenbar auch das Schicksal bei der Klinke packen lässt. Mit dabei: eine halbe Flasche Wein. Ich kaue auf Trockenfleisch, auf dem Leben eines Yaks. Ich verbrauche ein Ich, das mich nicht mehr verpassen wird. Mein Körper waren drei Yaks, die gerade das Tal verließen, in Aba, wo die Flüsse aus Schnee und durchsichtige Saiten sind, sie schmelzen Erinnerungen, fester als Granit. Mein Körper hat mich verpasst, das heißt, von Anfang an bestand mein Körper aus dem Körper eines Mannes und dem Körper eines Wiedergeborenen. Das Glück, das sie mir bringen, ist so widersprüchlich wie die Wahrheit. Aber was blind ist, ist niemals der Körper selbst. Weißt du, ich hätte das viel besser erklären können.
Aus der Reihe: Die ursprüngliche Rolle, von Zang Di
Als die Nachricht im Radio kommt, bin ich in der Küche, schneide Gurken in Scheiben. Zwei Gurken, ich schäle die Haut, schneide sie in runde flache Scheiben. Das ist nur ein mögliches Ende. Die fertigen Gurken in einer kleinen Welt aus Sesamöl, Salz und Essig zu marinieren führt zu einem anderen Ende. Wie viele Leute kommen zum Essen? Vielleicht ein Überraschungsgast? So viele reale Zutaten passen nicht zusammen. Oder, was auch mit dem Ende zu tun hat: Warum macht es mich glücklich, wenn jemand zur Hauptsendezeit erklärt, das Universum sei flach. Großartig, nicht wahr? Meine Vorahnung ist ungenau, aber durchdringend wie Flutlicht. Wie für einen kurzen Moment, alles was ich in der Küche sehe und denke – das Schneidebrett ist flach, das Messer ist flach, alle Deckel, egal wie groß, sind flach, nur die Teller sind nicht bloß flach, sondern auch bemalt. Die Masken, wahr oder falsch, sind flach, die Tabletten sind flach, und wenn die schönste Frau sich hinlegt, sind auch die Götter flach.
Das Universum ist flach, von Zang Di
Alle Texte aus dem Chinesischen von Lea Schneider
Zang Di