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Prince' letztes Konzert in Berlin: Purpurregen in der Waldbühne

2010 gab Prince sein einziges Deutschlandkonzert in der Waldbühne. Es war sein letztes Konzert in Berlin. Hier dokumentieren wir unsere Konzertkritik.

Die Reihen lichten sich. Von den Großkünstlern der Black Music haben etliche das Zeitliche gesegnet oder befinden sich im Ruhestand. Prince ist einer der letzten aktiven Weltstars, auch wenn seine Karriere unter den jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit seiner Plattenfirma und seiner musikalischen Orientierungslosigkeit gelitten hat. In den Charts spielt Prince schon lange keine Rolle mehr.

Dafür ist sein Ruf als Livemusiker ungebrochen. Bei seinem einzigen Deutschlandkonzert ist die Waldbühne nicht ausverkauft, aber gut gefüllt mit 17.000 Besuchern, deren Einmarsch das steile Halbrund in Staubwolken hüllt. Die Menge ist noch dabei, sich zu sortieren, als aufbrandender Jubel die Ankunft der Musiker signalisiert.

Prince hat schon immer Wert auf gemischtgeschlechtliche Begleitbands gelegt. So auch hier: Drei Sängerinnen, eine Keyboarderin, ein Bassist, eine Schlagzeugerin und ein Mundharmonikaspieler nehmen ihre Plätze ein. Sheila E., Percussionistin und langjährige Wegbegleiterin, wirft zur Begrüßung erstmal ein paar Drumsticks in die Menge.

Prince wirkt unverschämt frisch

Und dann ist es soweit: Zu drönendem Orgelgebrodel betritt Prince federnden Schrittes die Bühne, wirft ein kurzes „Hello Berlin!“ ins Rund und kratzt auf seiner Telecaster die abgehackten Akkorde von „Let’s Go Crazy“, dem programmatischen Electro-Funk-Kracher vom „Purple Rain“-Soundtrack, der nahtlos in das nicht minder ekstatische „Delirious“ übergeht.

Der kleine Block mit Werken aus den frühen Achtzigern gipfelt im Party-Klassiker „1999“ und dem schleichend groovenden „Little Red Corvette“. Zu diesem Zeitpunkt gibt es auf den oberen Rängen, für die es deutlich günstigere Konzerttickets gab als für die exorbitant teuren Plätze in Bühnennähe, schon kein Halten mehr.

Die Ordner haben Mühe, die wie aus einem übertretenden Stausee herabströmenden Menschenmassen so zu kanalisieren, dass unten kein zu großes Gedränge entsteht. Das Manöver gelingt, hinterher ist das Publikum tatsächlich viel harmonischer über die gesamte Arena verteilt.

Seit kurzem ist Prince 52, aber er sieht mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen und der zur Little-Richard-artigen Tolle getürmten Frisur nicht nur 20 Jahre jünger aus, sondern strahlt eine fast schon unverschämte Frische aus. Beweisen muss er nichts mehr, auf sportliche Einlagen wie den eingesprungenen Spagat kann er inzwischen gut verzichten.

Stattdessen persifliert er leichtfüßig den Robot Dance, während er in einem grandiosen Medley sein eigenes Frühwerk „Controversy“, das von ihm für Sheila E. geschriebene „A Love Bizarre“, den Funk-Klassiker „I Know You Got Soul“ von Bobby Byrd und die Disco-Hymne „Le Freak“ von Chic zum Möbiusband der schwarzen Musikgeschichte verzwirbelt.

Die großen Hits, aber nicht die kleinen

Prince war immer ein genialer Eklektiker, der alles von DooWop bis zu HipHop in seinen Songs verarbeitet hat. Und weder Berührungsängste kennt noch vor unvorteilhaften Vergleichen zurückscheut. Wenn er Jimi Hendrix mit dem komplexen „Spanish Castle Magic“ seine Reverenz erweist, relativiert er mutwillig seine unbestrittene Gitarristenvirtuosität und lässt manche Fans etwas ratlos zurück – das Stück war nicht gerade Hendrix’ größter Hit. Vielleicht wäre „All Along The Watchtower“ eine bessere Wahl gewesen. Zudem hätte der bekennende Zeuge Jehovas damit noch deutlicher seine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis gestellt.

Die kommt allerdings auch so zum Tragen: Selbst die eindringlichen und vom Publikum immer enthusiastischer beantworteten Mitsing- und Mithüpf-Animationen scheinen ein Augenzwinkern zu transportieren, von allerlei Gitarren- und Stimmbandkapriolen sowie den dauernden Neckereien mit Sheila E. mal abgesehen. Und wenn er sich das von Sinéad O’Connor zur pathetischen Schmerzensfrau-Ballade aufgeplusterte „Nothing Compares 2 U“ elegant zurückerobert, lässt er es von der ebenso stimmgewaltigen wie glatzköpfigen Shelby J. aus seinem Background-Trio intonieren – ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

Der Ankündigung, Prince würde seine größten Hits spielen, wird der Auftritt nicht gerecht – dazu fehlen zu viele: kein „When Doves Cry“, kein „Sign O’ The Times“, kein „Get Off“, kein „Sexy Motherfucker“. Macht aber gar nichts, wenn das, was man geboten bekommt, immer noch so überreich ist. Mit dem spektakulär solobekränzten „Guitar“ endet nach neunzig Minuten das Hauptset, aber Prince legt in blendender Spiellaune noch eine gute Stunde Zugaben drauf. Erst ein gitarrenloses „Kiss“, unter dessen letzte Takte sich für Sekunden der ebenso kurz bemoonwalkte Beat von „Billie Jean“ mischt: ein Gruß an Michael Jackson, den einstigen Rivalen aus den goldenen Achtzigern.

Schließlich tröpfeln Lichtpunkte die Videoleinwand hinab: „Purple Rain“, immer noch die beste Verbindung von Bombast und Schönheit, seit es Powerballaden gibt, erstrahlt in einer viertelstündigen Monumentalfassung, samt minutenlang gesummtem Choral, orgiastischen Gitarrenkaskaden und dem organisch eingeflochtenen Protestsong „When Will We Be Paid“ der Staple Singers – glaube niemand, Prince sei unpolitisch, nur weil er abfeiert wie niemand sonst. Sheila E. verdrückt aufgewühlt ein paar Tränen, nicht wenigen im Publikum geht es ähnlich. Prince indes strahlt, ruft voller Stolz „This is now the House of Prince“ in die tobende Waldbühne und scheucht alle mit dem von der 1988 verstorbenen Disco-Ikone Sylvester entliehenen „Dance (Disco Heat)“ nochmal ins Partyparadies.

Auf dem Heimweg entlädt sich der Himmel nach Wochen und Wochen der Wüstenhitze in einem kühlenden Schauer – Purpurregen für die Seele.

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