"Tosca" in Rheinsberg: Puccini, preußisch
Kleine Pannen stören das große Drama: „Tosca“ im Rheinsberger Heckentheater.
Manchmal sind es die kleinen Widerhaken des Lebens oder der Technik, die eine Aufführung erst spannend machen. Die Störungen und Irritationen, der Einbruch des Unerwarteten. Weil sie zu spontanen Leistungen anregen, die ansonsten im Verborgenen weiterschlummern würden. Und weil Gefährdungen für die Kunst immer gut sind, erst in der Routine stirbt sie einen langsamen Tod.
Cavaradossis Mikroport funktioniert nicht? Kein Problem, J. Warren Mitchell singt im Rheinsberger Heckentheater „Recondita armonia“, seine schwärmerische erste Arie, mit solch sich tenoral verströmendem Schmelz vor allem in den hohen Lagen, dass die technischen Einbußen zunächst gar nicht weiter auffallen. Da verschwinden schon die ersten Sorgen, dass die jungen Sänger, die die Kammeroper Schloss Rheinsberg dieses Jahr ausgewählt hat, Giacomo Puccinis „Tosca“ nicht meistern könnten.
Frank Matthus, seit 2015 Leiter der Kammeroper, setzt anders als sein Vater Siegfried Matthus nicht mehr auf die funkelnden Juwelen in der zweiten Reihe, sondern direkt auf die nach wie vor irrsinnig populären, aber auch schweren Großkaliber des Repertoires. Also nicht mehr „Rusalka“ oder „Hoffmanns Erzählungen“. Sondern „La traviata“ (im vergangenen Jahr) und 2017 „Carmen“. Das Risiko zu scheitern geht Matthus ein.
Zärtlichkeit, Intimität, Eifersucht
Jetzt geht er aber erstmal nach vorne und löst die Situation mit dem kaputten Mikroport vergleichsweise charmant. „Es ist eben nicht immer nur der Regen“, seufzt er, bevor sich die Tontechniker schwitzend an die Fehlerbehebung machen. Christopher Holman, der Messner – wir befinden uns ja eigentlich in der Kirche Sant'Andrea della Valle in Rom –, bleibt allein auf offener Bühne zurück, überbrückt die Wartezeit mit komödiantischem Talent. Schließlich darf Mitchell seine Arie noch einmal mikroportgestützt singen und sich dann mit Tosca (Yulia Yurenkova) endlich jenen knappen, aus Zärtlichkeit, Intimität und Eifersucht gemischten Augenblicken hingeben, die Puccini dem von Anfang an bedrohten Paar schenkt, bevor Polizeichef Scarpia die Szene beherrscht.
Die fulminanten hohen Lagen von Mitchell prägen den Abend und sichern ihm am Ende stürmischen Applaus, überstrahlen aber auch, dass er in der Mittellage schwächelt. Yurenkova singt Tosca mit viel Vibrato und formvollendeter, etwas steifer Körperhaltung. Ihre Leidenschaften hat sie gut unter Kontrolle, fast zu gut. Zum vollen Charakter fehlt beiden doch noch eine große Portion Mut.
Ein kanadisches Leitungsteam hat Frank Matthus dieses Jahr eingeladen. Regisseur Brian Deedrick setzt das Stück recht konventionell und ohne große Überraschungen in Szene. Cavaradossis neorealistisch gehaltenes Magdalena-Gemälde dominiert den ersten Akt, eine große Tür im Hintergrund markiert Angelottis Versteck, für Scarpias Büro im Palazzo Farnese wird der Szene einfach ein Schreibtisch hinzugefügt. Verweise auf Zeitgeschichte gibt es auch: Aktuell an „Tosca“ ist für Deedrick die Rückkehr der Folter bei staatlichen Regimen, der rechtsfreie Raum, in dem privater Sadismus gedeihen kann.
Zackenschnelle Figurationen treiben den Krimi voran
Deshalb lässt er Scarpias Häscher ordentlich zuschlagen und auch Erschießungen durchführen. Ausstatterin Bretta Gerecke hat ihnen dazu Uniformen nähen lassen, die an Schultern und Hüfte ausgebeult sind, ein Anklang an Nazi-Ästhetik. Um Puccinis großes Orchester platzieren zu können, sind die Brandenburger Symphoniker hinter die Bühne verbannt, geleitet werden sie aber nicht von Chefdirigent Peter Gülke. Unter Gordon Gerrard, Kanadier auch er, kommt es zwar zu manchen Unsauberkeiten, insgesamt transportieren die Musiker aber Puccinis römische Partitur recht gut ins protestantisch-preußische Rheinsberg: die fiebrig-schwelgerischen Passagen, die langen Bögen in den Arien, die zackenschnellen Figurationen, die die Handlung krimihaft vorantreiben.
Rasche Umschläge, die auch dem Scarpia von Jared Ice ganz gut gelingen. Schwarzgewandet, mit Reitpeitsche in der Hand, stellt er gleich klar, wer hier der Boss ist. Und gibt sich doch nicht so abgrundtief böse wie etwa Jago, der andere große Schurke der italienischen Opernliteratur. Sondern irgendwo tief drin, auch als Verführer und verletzbarer Mensch. Umso tragischer, dass nach der Pause die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Ein Kratzen und Knacken in den Lautsprechern, und dann setzt auch Scarpias Mikroport aus. Das ist dann doch der entscheidende Fehler zu viel. Frank Matthus lässt weiterspielen, es dauert sowieso nicht mehr so lange, bis Tosca Scarpia ersticht. Der Nervenkrimi, eine der spannendsten Opernszenen überhaupt, ist komplett verschenkt, weil Jared Ice nicht zu verstehen ist.
Der Gesamteindruck des Abends kann danach nicht mehr wirklich gerettet werden. Nicht durch Toscas „Vissi d'Arte“-Arie, nicht durch Cavaradossis zweite große Arie „E lucevan le stelle“, bei der er seine hohen Lagen voll ausspielt, und auch nicht durch Toscas Sprung von der Engelsburg, bei dem sich Yurenkova hochdramatisch und mit erhobenen Armen nach hinten fallen lässt. „Tosca“ wird hier noch sechs Mal gespielt, mit zwei alternierenden Besetzungen. Sechs tolle Möglichkeiten, um das, was am Premierenabend schief lief, auszubügeln. Udo Badelt
„Tosca“, wieder am 7. August, 18 Uhr, sowie am 9., 10., 11., 12. und 13. August, 20 Uhr im Heckentheater Rheinsberg