Streit um Humboldtforum: Propagandistischer Pulverdampf
Streit ums Humboldtforum im Berliner Schloss: Dort wird, sagen Kritiker, vor allem Raubkunst der Kolonialzeit präsentiert werden. Doch dieser Diskurs greift zu kurz.
Während es sichtlich voran geht an der Berliner Schloss-Baustelle, schimpft die Initiative „No Humboldt 21“ über den künftigen eurozentristischen Inhalt des Humboldtforums. Die Aktivisten fordern „die Aussetzung“ der Bauarbeiten und beklagen sich über den Namensgeber Alexander von Humboldt. An dessen Forschungen in Lateinamerika sei „vor allem das spanische Königshaus und das auf Völkermord und Sklaverei basierende Kolonialregime vor Ort interessiert“ gewesen. Vergangene Woche hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als künftige Betreiberin des Humboldtforums den Erwerb der zwischen 1799 und 1804 aufgezeichneten, 4000 Seiten umfassenden südamerikanischen Tagebücher des Welterforschers vermelden können.
Doch hinter allem propagandistischen Pulverdampf verbirgt sich ein tatsächliches Problem. Die Herkunft der Objekte des Ethnologischen Museums – wie aller „Völkerkunde“-Museen der westlichen Welt – ist, soweit es die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg betrifft, durchaus fragwürdig. Das beginnt schon mit dem Museumsnamen „ethnologisch“. Ob rechtmäßig erworben oder erpresst oder geraubt, das muss am einzelnen Objekt untersucht werden. Die Kolonialisierung der Welt gewann im 19. Jahrhundert enorm an Schärfe, sie überschnitt sich mit dem neu erwachten wissenschaftlichen Interesse an den indigenen Völkern und Kulturen. Dies geschah zweifellos aus einem Überlegenheitsgefühl heraus. Rudyard Kipling, Literaturnobelpreisträger des Jahres 1907, schrieb „The White Man’s Burden“, das Gedicht über die „Bürde des Weißen Mannes“, anlässlich der Eroberung der Philippinen durch die USA , die damit Spanien als Kolonialmacht ablösten. Spanien, das seit dem 15. Jahrhundert Kolonien in Besitz nahm und ausplünderte.
Aussage und Bedeutung ethnologischer Objekte können sich im Laufe der Zeit wandeln
Der Horizont ist also ein bisschen weiter gesteckt, als ihn die auf Afrika fixierten Gegner des Humboldt-Forums ausmessen. Ein berühmtes Beispiel für ein umstrittenes Objekt ethnologischer Sammelleidenschaft ist die so genannte Federkrone des Moctezuma, die seit 1596 in der Wunderkammer auf Schloss Ambras des Habsburger Erzherzogs Ferdinand von Tirol nachweisbar ist. Sie befindet sich heute im Völkerkundemuseum Wien. Von Mexiko wird sie als eine Art Staatssymbol reklamiert, obgleich eine Verbindung zu dem von den spanischen Eroberern unterworfenen Moctezuma nicht nachgewiesen, sondern im Gegenteil höchst unwahrscheinlich ist. Genau das macht die Problematik vieler ethnologischer Objekte deutlich: Ihre Aussage und Bedeutung können sich im Laufe der Zeit wandeln, sie werden Ziel von Zuschreibungen unterschiedlicher, eben auch politischer Art.
Im späten 19. Jahrhundert, der Hochphase des Imperialismus, gelangten Hunderttausende von Objekten aus Kolonien und besiegten Ländern – wie dem geschwächten China der „ungleichen Verträge“ – in die europäischen Museen. Nach London, Paris und St. Petersburg – und nach Berlin als einem Nachzügler der Eroberungen. „Die Geschichte ethnologischer Sammlungen“, urteilt Viola König, die Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen, „rückt als gemeinsame Geschichte von Kulturen ins Blickfeld, die unter ungleichen Machtverhältnissen aufeinander trafen.“
Berühmt ist die Geschichte der Bronzen aus dem Königreich Benin auf dem Gebiet des heutigen Nigeria. Sie kamen nach der Eroberung und vollständigen Zerstörung des Königreichs durch britische Truppen 1897 nach London und wurden teilweise veräußert, unter anderem nach Berlin. Aus dem heutigen Nigeria gibt es, wie auch sonst aus Afrika, keinerlei Rückgabeforderungen, anders als die Humboldt-Kritiker insinuieren. So sie sich für die Erforschung der Kolonialgeschichte stark machen, müssten sie im übrigen die Rolle Benins als eines Hauptumschlagplatzes für den Sklavenhandel thematisieren. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.
Sicher verlieren sakrale Objekte im Museum ihren Kontext. Das gilt aber auch für christliche Kunst
Die Aufgabe der Universalmuseen – und als solches darf die Gesamtheit der Staatlichen Museen Berlins analog zum British Museum, dem Metropolitan Museum New York oder dem Louvre gelten – besteht darin, die von ihnen gehüteten Objekte zu bewahren, zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Wir verstehen uns als Kuratoren und Bewahrer des kulturellen Erbes aus aller Welt, der wirkliche Eigentümer ist der Mensch selbst. Für ihn gilt es die materielle Überlieferung zu erhalten, wo auch immer sie sich befindet“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In jüngerer Zeit wird unter anderem kritisiert, dass ethnologische Sammlungen rituell genutzte Objekte aus dem Kontext reißen. Im Humboldtforum hingegen sollen die ehemaligen Kontexte offengelegt „und das Wissens indigener Gruppen“ einbezogen werden, so Parzinger.
Die Präsentation ohne Kontext war eine Errungenschaft der okzidentalen Wissenschaft, jene „Entzauberung“, wie der Soziologe Max Weber sie vor 100 Jahren beschrieben hat. Hinter die wissenschaftliche Durchdringung führt kein Weg zurück in Magie und Naturreligion. Das „indigene Wissen“, das die Unesco bemüht, ist kaum zu definieren. Sicherlich befinden sich rituelle und sakrale Objekte im Ethnologischen Museum nicht mehr im ursprünglichen Kontext. Dasselbe gilt aber auch für christliche Altarbilder in der Gemäldegalerie. Es gilt überhaupt für die große Mehrzahl der Objekte musealer Sammlungen. Ein Museum ist das Gegenteil des kontextuellen Gebrauchs. Es macht seine Sammlungsstücke nämlich zu Objekten eigener Gattungen, wie Kunsthandwerk oder Plastik, und damit einer je eigenen Betrachtung. Es ist die Abstraktionsleistung der okzidentalen Wissenschaft, dass sie den Kontext zunächst einmal ausblendet, jedes Objekt im Vergleich seiner jeweiligen Gattung beschreibt und sodann in einem begrifflich rekonstruierten Kontext verortet.
Begriffe wie Originalität und Authentizität sind europäischen Ursprungs
Damit einher geht die Erhaltung von Objekten, die vielen Kulturen durchaus fremd ist. Zyklisch ausgerichtete Kulturen bevorzugen die beständige Wiederholung. Man denke nur an japanische Holztempel, die regelmäßig neu errichtet werden, freilich nach uralten Bauplänen. Begriffe wie Originalität und Authentizität sind europäischen Ursprungs. Dass sie nun von den Humboldtforum-Kritikern gegen die Museen gewandt werden, die ihre Legitimation doch gerade solcher Begrifflichkeit verdanken, ist einigermaßen absurd.
Kulturgüter haben im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte eine Aufwertung sondergleichen erfahren. Der napoleonische Kunstraub in Ägypten und Europa um 1800 hat in allen betroffenen Ländern nicht nur Nationalmuseen hervorgebracht, sondern überhaupt das Bewusstsein eines nationalen Kulturerbes. Jüngere Staaten wie im dekolonialisierten Afrika sind dem gefolgt. Die daraus erwachsenden Ansprüche weniger auf Rückgabe – an welchen Ursprungseigner denn auch! – als vielmehr auf Teilhabe werden heute ernst genommen. „Die enge Zusammenarbeit mit den Nachkommen derjenigen, die diese Kulturgüter hervorgebracht haben, ist uns Anliegen und Verpflichtung, und gerade im Humboldtforum in der Mitte Berlins wird dieser Herausforderung eine neue Bedeutung zuwachsen“, so Stiftungspräsident Parzinger.
Umgekehrt wächst das Bewusstsein dafür, dass Kulturschätze in vermeintlich entlegenen Gebieten ebenso zum Weltkulturerbe zählen wie diejenigen in westlichen Metropolen. Der von Islamisten überrannte Wüstenstaat Mali mit seinem exzeptionellen Erbe islamischer Bibliotheken ist ein Beispiel aus jüngster Zeit. In Timbuktu gibt es mit dem Ahmed-Baba-Institut für islamische Manuskripte eine Einrichtung, die bis zu ihrer Plünderung durch Terroristen genau jene kontextuelle Forschung am Ort vornehmen konnte, die den westlichen Einrichtungen abgesprochen wird. Gleichzeitig folgt sie den westlichen Grundsätzen von Wissenschaftlichkeit.
Die systematische Erforschung der Geschichte und deren Bewahrung in materiellen Zeugnissen betreiben heute auch jene Staaten und Nationen, die aus der kolonialen und postkolonialen Geschichte hervorgegangen sind. Sie haben Anspruch auf Teilhabe – im Sinne des Diskurses über die Objekte und die von ihnen bezeugten Kulturen. Auf Dialog, auf Stimme und Gehör. Das Humboldtforum wird an der Erfüllung dieses Anspruchs zu messen sein, und nicht an einer Rückgabepolitik, die letztlich symbolisch bleiben muss.