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Feridun Zaimoglu
© picture alliance / dpa

Leipziger Buchmesse: Preis der Literaturhäuser geht an Feridun Zaimoglu

Eine Begegnung mit dem in der Türkei geborenen, in Kiel lebenden Schriftsteller. Seine Position im deutschsprachigen Literaturbetrieb ist umstritten. Er selbst fühlt sich dem Arbeitermilieu verbunden.

Feridun Zaimoglu ist süchtig, nikotinsüchtig. Alle halbe Stunde melden sich bei ihm das vegetative und das zentrale Nervensystem, und er muss raus, in den trüben Berliner Frühjahrsmorgen am Kreuzberger Heinrichplatz, eine Marlboro Menthol rauchen. Zaimoglu, der aus Überzeugung in Kiel lebt, war am Abend zuvor wieder einmal beruflich in Berlin, allerdings nicht zu einer Lesung. Er schreibt zusammen mit seinem Partner Günter Senkel ein Libretto für die Neuköllner Oper, es ist nach dem Gentrifizierungsstück „Discount Diaspora“ schon das zweite für das Offtheater. Thema dieses Stücks, das Ende des Jahres aufgeführt werden soll: „Abgehalfterter Schlagersänger versucht ein Comeback.“ Er lacht meckernd, als er das sagt, geht dann rauchen und erzählt bei seiner Rückkehr, dass vor ein paar Tagen in Wuppertal ein anderes Stück von ihm Premiere hatte, „Aufstand“. Es ist ungleich politischer, handelt von einem revolutionären Aufstand Wuppertaler Arbeiter 1849, der brutal niedergeschlagen wurde.

Wie Zaimoglu tickt, wie er auf dem Grat wandert, einerseits als „domestizierter Türke“ zu immer denselben Kulturkreisthemen befragt zu werden, andererseits ein ausgewiesener Liebhaber der deutschen Sprache zu sein, das erfährt man bei seinen Ausführungen zu diesem Stück. Denn von dem Theater hatte er eigentlich den Auftrag bekommen, ein Stück über Migration und Integration zu schreiben, was er mit einem Gegenvorschlag konterte, mit eben jenem Stück Wuppertaler Stadtgeschichte: „Es ist viel die Rede von der Misere der Stadttheater, sicherlich zu Recht. Das liegt auch daran, dass sich viele Häuser nicht mehr als Stadttheater begreifen, sondern unentwegt in die Ferne schweifen. Ihre eigene Stadt interessiert die einen Scheiß.“

Und da er schon einmal in Fahrt ist und sich nicht zuletzt für seinen in Duisburg spielenden jüngsten Roman „Ruß“ längere Zeit im Ruhrgebiet aufgehalten hat, schimpft er gleich weiter über den Auftritt des Ruhrgebiets als Kulturhauptstadt Europas vor zwei Jahren und das Ruhr.2010-Festival: „Es ist eine Frechheit, wie viel Fremdes die sich zu eigen gemacht haben, dieses ganze Konstruierte. Da hat keiner mal die Leute in Essen, Duisburg oder Bochum gefragt, wie es ihnen eigentlich geht, was sie so machen. Wenn der Fritz Pleitgen als Chef von Ruhr.2010 sagt, das Ruhrgebiet sei das New York Deutschlands, dann will man doch sofort in die Teppichfransen beißen. Das regt mich furchtbar auf!“

Feridun Zaimoglu ist ein Schriftsteller und Theaterautor, der sich am liebsten auf die Seite der kleinen Leute, der Unterdrückten schlägt und ihnen seine Stimme leiht. Er „hasst diejenigen, die auf die Schwachen einprügeln und sich damit profilieren wollen“, wie er einmal bekannt hat. Der Held von „Ruß“ ist der gestrauchelte einstige Arzt und Ikonenmaler Renz, der jetzt mit seinem Schwiegervater einen Kiosk in Duisburg betreibt. Ihn führt Zaimoglu durch eine Geschichte über Rache, vergebliche Liebe und Hass, zusammen mit einer Gruppe von Ruhrpott-Drop-Outs und Modernisierungsverlierern, die entweder Renz’ Kumpel oder Gegenspieler sind.

Eine „Geschichte der Seitenstraßen“ nennt er seinen Roman. Und schwärmt dann von der „Kraft“ und der „klaren Kante“ der Menschen im Ruhrgebiet, davon, wie „die Post abging“ bei seiner Duisburger „Ruß“-Lesung. „Viele ehemalige Arbeiter und Arbeiterinnen waren da, ich hatte eine richtige Gänsehaut. Die haben sich diesen Fuzzy mit seinem Fuzzy-Namen angeschaut und dann ihre eigenen tollen Geschichten nach der Lesung erzählt. Einer berichtigte mich, dass es ,Bergleute‘ heiße und nicht ,Bergmänner’ wie bei mir. Dass ich das wüsste, ,Bergmänner‘ jedoch besser klingen würde, das wollte der gar nicht hören.“

Zaimoglu hat mit „Ruß“ keinen knallhart realistischen Ruhrpottroman geschrieben. Er ist ein Schriftsteller, der das Altertümliche der deutschen Sprache liebt, ihre romantische Düsternis, der gern im Grimm’schen Wörterbuch blättert. „Ruß“ liest sich, als hätte er bestimmten Wörtern, Sätzen und Satzkonstruktionen richtiggehend nachgeschmeckt. Da ist von „Zirkeldornen“ oder „Pfennigarbeiterkolonnen“ die Rede, da hat einer Unterarme wie „Jonglierkeulen“. Und die Männer von der Stadtreinigung werden so beschrieben: „Sie waren losgezogen, die vor sich hinsummenden Kraftprotze, das tätowierte Volk, die fahlen Brüder, die die nassen Asphaltwege absuchten nach kleinem Dreck, man nannte sie die Ruhrathleten.“ Oder es heißt: „Der Lumpenpitt kauft jeden Schrott, der Scherenschleifer wetzt Eisen scharf, das geklaute Kupfer, das der Bergmann nach Hause trägt, kauft der Klüngelskerl.“

Ein Gastarbeitersohn, der seinen Weg geht

Was für einen Spaß Zaimoglu an Worten hat, an seltenen Begriffen, davon kann man sich auch bei einem Treffen wie diesem überzeugen. Nämlich als er dieses Mal nicht nur rauchen geht, sondern vom Tabakladen nebenan gleich noch eine Stange Marlboro Menthol mitbringt, in einer eigentlich handelsüblichen weißen Tüte. Auf die zeigt er, knistert damit herum und sagt dann: „Türkenkroko“. Auf ein irritiertes Kopfschütteln hin präzisiert er: „Diese Tüten heißen so, so wie es auch Kasachenbeutel gibt.“

Er lacht wieder leicht meckernd, wird aber sofort ernst, als es um seine Position im deutschsprachigen Literaturbetrieb geht. „Manchmal gelte ich immer noch als literarisch unseriös“, sagt er, der einige bedeutende Literaturpreise gewonnen hat und am Freitag bei der Leipziger Buchmesse den Preis der Literaturhäuser verliehen bekommt. Bei der Aufforderung, seine Aussage näher zu erklären, bleibt er jedoch etwas diffus, von „Mainstream-Sehnsucht“ über „Märchenonkel“ bis „verdächtige Gottfried-Benn-Begeisterung“ reicht das Spektrum der ihm einfallenden, unschönen Zuschreibungen.

Vielleicht liegt das Misstrauen, das ihm hier und da im Literaturbetrieb entgegenschlägt, daran, dass er, wie er zugibt, „keinen Bildungsbürgeranspruch“ hat – und er sich trotzdem dem einfachen, realistischen Erzählen verweigert, seine Romane etwas Wundersames haben.

Auch sein Outfit dürfte für manche immer noch gewöhnungsbedürftig sein. Eine schwarze Lederjacke und einen schwarzen Pulli trägt er an diesem Vormittag. Schöner, vielsagender sind die Ketten an der schwarzen Jeans (fehlt bloß der Bierflaschenöffner) und die großen blechernen Ringe am Ring- und kleinen Finger seiner rechten Hand. Man könnte sagen: später Punkrock oder Italo-Western revisited.

Ungewöhnlich ist auch seine Biografie: Geboren wurde er noch in der Türkei als Sohn eines Gastarbeiterehepaares, das in Deutschland beruflich weiterkommen wollte: „Auch in der ersten Generation gab es ja schon Aufstiegswillen, auch den Willen, vom vorgeschriebenen, normalen Leben abzuweichen, das ging in der ganzen unseligen Debatte um Eingliederung und Anpassung ja unter.“ 1984 beginnt er, Medizin zu studieren, bricht nach dem Physikum ab, studiert Kunst, ebenfalls in Kiel, und fliegt dann gleich zwei Mal von der Kunsthochschule.

Ab Mitte der neunziger Jahre macht er sich als Erfinder eines deutsch-türkischen Szene-Idioms einen Namen, „Kanak Sprak“, und formuliert Sätze wie „Ich scheiß auf eure Süpkültür“. Im Folgenden sitzt er viel als Repräsentant einer zweiten und dritten Generation von Türken in Deutschland in den Talkshows, und auch heute ist er um kein klares Wort in Sarrazin- und Integrationsdebatten verlegen. Den „Milieuliteraten“ aber, als der er lange galt, den hat er von Buch zu Buch mehr hinter sich gelassen. Inzwischen ist er ein Schriftsteller mit einem Werk (14 Bücher), den vor allem ein geradezu libidinöses Verhältnis zur deutschen Sprache auszeichnet; ein Schriftsteller, der seine Prosa gern als „deutschen magischen Realismus“ verstanden wissen will.

Ein neuer Roman, verrät er noch, liege fix und fertig bei seinem Verlag; ein Roman über einen deutschen Kosovo-Soldaten, der nach Berlin zurückkehrt und statt seiner (verstorbenen) Exfreundin eine andere Frau in deren Wohnung vorfindet. Der Roman spiele „in der Arme- Leute-Szene“, man darf ihn auch als „Berlinroman“ bezeichnen, „aber halt anders“, fügt Zaimoglu an. Dann schaut er auf seine Uhr. Am Hauptbahnhof wartet seine in Berlin lebende Schwester, und ihm fällt siedend heiß ein: „Scheiße, ich muss noch eine rauchen.“

Gerrit Bartels

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