Schwermetall: Prachtkerle und Weibsbilder
Musikalisch hat sich Heavy Metal in 40 Jahren nur wenig gewandelt. Doch die Klischees von harten Männern und willigen Frauen bröckeln.
Kaum ein anderer Stil der jüngeren Musikgeschichte hat im Laufe seiner Entwicklung so viele Anhänger und Gegner gefunden wie der Sound des Metal, um leidenschaftlich über den Sinn und die Qualität, die Besonderheit und die Gefahren dieser Musik zu streiten. In den über vierzig Jahren, die seit der Entstehung des britischen Heavy Metal vergingen, haben viele der Klischees von Horden ungepflegter, asozialer und unmusikalischer Jugendlicher ihre Brisanz verloren und werden höchstens noch als Anekdoten aus der guten alten Zeit gepflegt.
Im Vergleich zu den rapiden, marktorientierten Stilwechseln im Pop und vor dem Hintergrund der digitalen Umwälzungen seit der Jahrtausendwende und den davon ausgelösten veränderten Konsumgewohnheiten werden die Besonderheiten des Metal deutlich. Wie konnte diese Musik die eigene Attraktivität über die Jahre erhalten und sukzessive ausbauen? Wie transportiert sie allen Veränderungen zum Trotz noch immer das Lebensgefühl von Musikern und Fans, Bestandteil einer alternativen nonkonformistischen Subkultur zu sein, ohne einen Widerspruch zu ihrem globalen Multimillionenpublikum zu verspüren?
Auf musikalischer Ebene liegt der wesentlichste Grund in der Präsenz des Metal als Live-Erfahrung. Musiker, die ihre Stücke selbst schreiben und im Tonstudio ausarbeiten, verbinden sich im Konzert mit ihren Fans zu einer Glaubensgemeinschaft. Mit ausgiebigen Tourneen und lauten, intensiven Shows bauten sich viele Bands über die Jahre eine treue und loyale Anhängerschaft auf. So ließen sich auch die Dürrezeiten der neunziger Jahre überstehen, als der mit Nirvana kurzzeitig zum Massenphänomen stilisierte Grunge den Markt für harte Rockmusik tiefgreifend veränderte.
Ein anderer Erklärungsansatz betrifft das besondere Verhältnis von Kontinuitäten und Veränderungen. Im historischen Rückblick zeigt sich dies bereits in der Frühphase von Black Sabbath Anfang der siebziger Jahre, als sie den Blues von Jimi Hendrix und den Hard Rock von Deep Purple und Led Zeppelin roher, rauer und härter spielten, wofür sich bald die Stilbezeichung Heavy Metal durchsetzte. Entscheidend dabei war die Herkunft der männlichen Musiker und ihrer ebenfalls rein männlichen Anhänger aus dem ärmlichen britischen Arbeitermilieu, die ihre Frustration und Perspektivlosigkeit musikalisch kanalisierten und damit Jahre vor der Entstehung des Punk den Nerv der Zeit trafen. Die Wut gegen das Establishment und die Ablehnung des intellektuellen Progressive Rock von Yes, Pink Floyd oder Emerson, Lake and Palmer verselbstständigte sich zu einer Bewegung junger Nachwuchsbands, die mit der sogenannten Neuen Welle des britischen Heavy Metal in den frühen achtziger Jahren die Vereinigten Staaten erreichte und insbesondere in der Bay Area um San Francisco mit Slayer, Exodus, Testament und Metallica legendäre Formationen hervorbrachte.
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Im Zuge dieser Verbreiterung der Fanbasis zeigten sich auch erstmals Musikerinnen in Metalbands, fast ausschließlich in der Rolle der Frontfrau. Von der Metal-Community wurden sie ohne große Debatten schnell akzeptiert und entsprachen mit ihrer Stimmlage dem Geschmack der Zeit, der von Ikonen wie Geddy Lee (Rush), Rob Halford (Judas Priest) und Bruce Dickinson (Iron Maiden) geprägt wurde, die bevorzugt im Falsett sangen. Doro Pesch, die mit ihrer deutschen Band Warlock vielen jüngeren Musikerinnen den Weg ebnete, berichtete aus den achtziger Jahren von großen Schwierigkeiten mit den Strategen der internationalen Musikkonzerne. Denn für den US-amerikanischen Markt sollten genau jene Geschlechterklischees von harten Männern und lasziven Groupies bedient werden, mit denen der Glam Metal von Poison, Mötley Crüe, den frühen Bon Jovi, Twisted Sister und W.A.S.P. große Erfolge feierte. Die Ironie daran war, dass diese Musiker sich mit Schminke, engen Latexhosen und toupierten Löwenmähnen provokativ androgyn inszenierten und als Kontrapunkt zu ihrem femininen Äußeren ihre sexuelle Potenz betonten.
Wie Doro Pesch und Angela Gossow, Sängerin der schwedischen Arch Enemy, bei einem Podiumsgespräch an der Kölner Musikhochschule im Jahr 2009 zum Thema Metal & Gender schilderten, fallen heute dagegen sexistische Rezensionen, wie man sie vor zwanzig Jahren noch vereinzelt hatte lesen müssen, als Peinlichkeit auf die Autoren zurück. Eine Diskussion aktueller Tendenzen der Metalszene erschien ihnen daher wesentlich reizvoller als eine Reduzierung ihrer Persönlichkeit auf die Rolle als weibliche Musiker.
Musikalisch hat die postfeministische Generation junger Frauen den Metal vor und auf der Bühne längst für sich entdeckt, obgleich die allerhärtesten Spielarten auch weiterhin von Männern bevorzugt werden. Von Musikerinnen wird nach wie vor der Gesang präferiert, wobei auch hier die letzten Geschlechtergrenzen eingeebnet werden, wenn beispielsweise Angela Gossow mit ihrem Growling einen besonders rauen und aggressiven Stil pflegt.
Nachdem viele Fäden im rasant boomenden Metal durch die von Grunge und HipHop verursachten Marktverschiebungen plötzlich abgerissen waren, nutzte die Szene die Folgezeit zur Konsolidierung, Verjüngung und Selbstvergewisserung. Nachrückende Bands übernahmen nur selten alte Rollenbilder, die von jüngeren Fans überwiegend als überholt abgelehnt oder als Realsatire belächelt wurden. Als eine wesentliche Ausnahme blieb der Körper der Musiker weiterhin ein wichtiges Darstellungsmedium, etwa in Form martialischer Bemalungen und Kostüme, um die karthatische Wirkung fiktionaler Kunst auf einer Bühne zu erleben.
In vergleichbarer Weise fühlen sich junge Frauen im Publikum offensichtlich keineswegs provoziert, wenn etwa die Metal-Urgesteine Manowar ein heroisches Männerbild von einsamen Kämpfern und devoten, großbusigen Frauen beschwören. Die Gründe für diesen distanzierenden und ironisierenden Blick sind in der medialen Sozialisation zu vermuten, mit der sich überzeichnete Comic-Charaktere und idealisierende Avatare nahtlos in die Alltagsrealität integrieren lassen.
Durchstöbert man die vielen Metalforen und Blogs im Internet, blättert im halben Dutzend Fachjournale oder vergleicht die Line-ups bei den zahlreichen Sommerfestivals, so präsentiert sich unter dem Sammelbegriff des Metal heute eine Fülle von Stilen, bei denen Einflüsse aus Klassik, Jazz, HipHop und Funk gleichberechtigt neben progressiven, atonalen und mittelalterlichen Anleihen, klassischem Heavy Metal und esoterischen, politischen und sozialkritischen Haltungen stehen.
Die Situation vieler Bands, mit einem sperrigen Gegenentwurf zum gesichtslosen Mainstream-Markt ein großes, kulturell und sozial höchst heterogenes Publikum zu erreichen und dadurch Teil der Massenkultur zu werden, mag paradox wirken. Dass Fans und Musiker mit ihrer pragmatischen Balance von Kontinuität und Wandel den Metal aber bereits im fünften Jahrzehnt lebendig halten, spiegelt das identitätsstiftende Lebensgefühl der Metalheads, dass ihre Musik eben doch mehr als nur ein Geschmack unter vielen ist.
Michael Custodis ist Professor für Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Sein Buch „Klassische Musik heute. Eine Spurensuche in der Rockmusik“, Bielefeld 2009, enthält Kapitel über Metallica und Manowar.
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