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Marcello Fonte bei der Arbeit.
© Alamonde

"Dogman" im Kino: Porträt eines Ohnmächtigen

Im Land der Gewalt: „Gomorrha“-Regisseur Matteo Garrone ist Spezialist für Männerwelten. Jetzt kommt sein in Cannes prämierter Film „Dogman“ ins Kino.

Lustig, wie die Lefzen flattern, wenn Marcello seinen Schatz liebevoll föhnt. Oder wie der Mastiff sich grausam knurrend in den Wischmopp verbeißt, als der Hundefriseur ihn einer Luxuswäsche unterzieht. Ob Riesendogge, Rottweiler oder Chihuahua, Marcello nennt sie alle „Amore“, gewinnt mit einem schick gestylten Pudelchen sogar einen Preis beim Hundefriseur-Wettbewerb und lässt sich nach Feierabend von einem seiner Schützlinge auch mal die Pasta vom Teller schlabbern.

Regisseur Matteo Garrone, der 2008 mit seinem Mafia-Film „Gomorrha“ nach dem Buch von Roberto Saviano den Jury-Preis in Cannes und den Europäischen Filmpreis gewann, ist Spezialist für Männerwelten. Für die Gewalt in der Camorra und ihre bis in die jüngste Generation wirksamen Mechanismen, für die Topografien in Beton, das unwirtliche Ambiente der Vorstadtarchitekturen. Auf die kühl-analytische Studie des organisierten Verbrechens in Neapel und Kampanien folgt mit „Dogman“ eine existentialistische, ebenfalls in hässlichem Stadtrand-Beton angesiedelte Erzählung, die einem nicht minder in die Magengrube fährt – Marcello Fonte in der Hauptrolle gewann im Mai in Cannes den Darstellerpreis.

Ein Arlecchino im geist der Commedia dell'atte

Ein hageres Kerlchen, ein Schwächling. Schiefes Gesicht, buckelnd, tapfer und unglaublich zäh: Marcello ist die Inkarnation des Anpassers, des Durchwurstlers. Neu im Œuvre von Garrone: Dieser Hundewäscher und Hundepensionist, der sich neben seiner tierischen Profession mit Kokain-Deals über Wasser hält, trägt auch komische Züge. Ein Arlecchino im Geist der Commedia dell’arte, der dem Ex-Häftling und Mafioso Simone (Edoardo Pesce) zu Diensten ist, seinen oft kalbsgroßen Klienten fröhlich plappernd die Pfotennägel feilt und das tiefgefrorene Schoßhündchen aus dem Kühlfach holt, das Simone und sein Kumpel beim Einbruch in eine Villa entnervt dorthin entsorgt hatten.

Der Mann ist des Mannes Hund, und es gibt kein gutes Leben mitten in einer verrotteten Horde, darauf läuft es hinaus, wenig originell. Gerade weil es menschelt, ist das lapidare und doch ästhetisch erlesen kadrierte Setting in der ungenannten italienischen Küstenstadt mit verrostetem Spielplatz, Fußball im Nebel und schäbigen Läden nicht frei von Elendsfolklore.

Marcello liebt nicht nur seine Hunde, er liebt auch seine kleine Tochter, die die Mutter am Wochenende bringt, geht mit ihr tauchen, in eine düstere, bessere Welt unter Wasser, träumt von einer gemeinsamen Reise auf die Malediven. Und er liebt seine Nachbarn, den zwielichtigen Goldhändler nebenan, den Spielautomatencasino-Besitzer. Auf seine Kumpels lässt er nichts kommen. Bis Simone, der kokssüchtige Brutalo, der das gesamte Viertel terrorisiert, ihm alles zerstört, sein Auskommen, seine Freundschaften, die Existenz.

Am Ende ist Marcello von allen guten Geistern verlassen

Marcello, der kleine, ohnmächtige Held, zerbricht an seiner Gutmütigkeit, seiner Loyalität. Will sich weiter durchlavieren, geht für Simone ins Gefängnis, rettet ihm nach seiner Entlassung das Leben, lässt sich ausnutzen, aber Simone dankt es ihm nicht. Und die anderen wenden sich ab. Am Ende ist Marcello, dieses Sozialwesen, dieser Familienmensch, von allen guten Geistern verlassen, umgeben von nichts als Gleichgültigkeit. Also sinnt er auf Rache. David gegen Goliath, eine Frage der Notwehr. Und des Respekts.

Frauen haben hier wenig zu suchen, höchstens als mütterliche Matronen, als Stripperinnen oder engelsgleiches Töchterchen. Und wie gesagt, Männer sind Hunde: Wenn Marcello und Simone sich schließlich bestialisch ineinander verbeißen, scheppern die Käfige, rasseln die Ketten. Verkeilte Körper, quellende Augäpfel, röchelnder Atem: Schon „Gomorrha“ war geprägt von Garrones nüchternem Blick auf den Berserkerakt des Tötens. Nicht auf den Glamour der Gewalt, sondern ihre animalische Seite.

Regisseur Garrone, Jahrgang 1968, nennt seinen Protagonisten „einen Mann, der sich nach einem Leben voller Demütigungen zu erlösen versucht und die Illusion hegt, am Ende die ganze Welt befreit zu haben“. Marcello Fonte sprengt den Rahmen der Moritat. Er stammt aus Kalabrien, jobbte als Wärter, übernahm kleine Film- und Fernsehrollen, ein Laie. Ecce homo, eine tragische Gestalt im archaischen Sinne und doch eine Figur aus dem Italien der Gegenwart. Man verachtet diesen unterwürfigen, überforderten Mann und mag ihn doch. Und man vergisst ihn so schnell nicht mehr. Wie sein Dauerlächeln irgendwann gefriert, wie seine Moral vor die Hunde geht und wie er nicht aufgibt, auch wenn die Welt ihn längst im Stich gelassen hat.
Ab Donnerstag in 8 Berliner Kinos. OmU im b-ware!Ladenkino, Delphi Lux, Hackesche Höfe, IL-Kino, Kino in der Kulturbrauerei, Rollberg, Wolf

Christiane Peitz

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