Kritik: Wilco: Glutbande
Destruktive Energie in Bahnen gelenkt: Wilco aus Chicago sind die Konsensrocker der Stunde.
Sie haben es geschafft. Alle Welt kann sich auf sie als Rockband einigen. Wilco aus Chicago sind zur Konsensband geworden. Nicht zu hart für die melancholischeren Gemüter, aber auch nicht zu sanft für jene, die es mit Lou Reed halten und ihren Kopf am liebsten in den Lautsprecher stecken: „Lauter, lauter!“ Da Wilco, die zum Sextett angeschwollene Formation um Songwriter, Gitarrist und Sänger Jeff Tweedy, 2002 Schwierigkeiten mit ihrem Majorlabel bekam, das die ambitionierte „Yankee Hotel Foxtrott“- Platte nicht veröffentlichen wollte, so dass die Band das selbst übernehmen musste, haftet ihr der Status einer Indie- Institution an. Dass sie tief im amerikanischen Soundstrom driftet, ohne konventionell zu wirken, trägt ebenfalls zu ihrem Ruhm bei. Sie haben das Erbe von Country, Blues und Folk modernisiert, ohne es den Traditionalisten zu entfremden. Das muss man erst einmal schaffen.
„Wilco will love you, baby“, tönt es jetzt auf dem neuen Wilco-Werk. Es heißt sinnigerweise „Wilco (the album)“, als müsste die seit 1994 bestehende Truppe noch mal von vorne anfangen. Dabei ist nach etlichen früheren Umbesetzungen aus dem Haufen willfähriger Studiomusiker eine eingespielte Gemeinschaft hervorgegangen, die souverän das disparate Gesten- und Stilrepertoire zu bedienen weiß.
Wie gut Gitarrist Nels Cline, Drummer Glen Kotche, Pat Sansone an diversen Instrumenten, Pianist Mikael Jorgensen sowie John Stirratt am Bass zusammen sind, demonstrieren seit 2004 eine Reihe erstklassiger Studioalben. Und wieder fühlt man sich bei den ersten Takten des neuen Materials wohlig empfangen von einer Musik, in der vieles gleichzeitig passiert. Ein simples rumpelndes Riff gibt das Tempo vor. Alle halten sich daran, bis auf eine Gitarre, die einsam und klagend über das Scheppern hinausragt. In ihr kündigt sich das spätere Aufblühen des Songs an, der „Wilco (the song)“ heißt und an der Stelle zu wachsen beginnt und sich zu erkennen gibt, wo es um die Kriege geht, die nicht gewonnen werden können. „This is an aural arms open wide“, singt Tweedy, „A sonic shoulder for you to cry on.“ Musik als Schulter, an der man sich ausweinen kann.
Ist das ein Witz? Ironie gehörte nie in den Wilco-Kosmos. Dafür nahm sich der kleine gedrungene Frontmann selbst immer zu ernst. Die Rolle desjenigen, der die Tweedy umflorende Trübsal aufmischte, kam in den Anfangsjahren Jay Bennett zu, einem energetischen Wirrkopf und Multiinstrumentalisten, der sich 2001 nach sieben Jahren von der Band trennte, danach einen Gerichtsprozess gegen seinen Chef anstrengte und vor einem Monat, 45 Jahre alt, tot aufgefunden wurde. Gestorben an einer Überdosis Schmerzmittel, berichtete die „New York Times“.
Auch Tweedy litt unter Tablettensucht. Chronische Kopfschmerzen ließen ihn haufenweise Pillen schlucken. Dabei kaschierten sie bloß seine Depression. Die Alben, vor allem „A Ghost Is Born“ von 2004, auf denen sich der Songwriter mit inneren Dämonen auseinandersetzte, waren brüchige, fragile Meisterwerke. Man muss ja nicht gleich den Geist der Rebellion und des Unzufrieden-Seins beschwören, um doch zu finden: Rockbands sind nur im Stadium der Selbstgefährdung gut. Das gilt auch für Wilco (die Band). Ironie passt da gar nicht.
Wo kommt plötzlich die demonstrative Dankbarkeit her? Was veranlasst die Mittelwestler, sich als Lebenshelfer zu gebärden? Die eigene Krise ist überwunden und die destruktive Energie hübsch geordnet in Bahnen gelenkt, die kaum Überraschungsmomente bergen. Klar, wie die Melodien in dem Untergeher-Lied „Deeper Down“ perlen, wie Tweedy in „One Wing“ davon erzählt, dass so steinschwere Wesen wie wir, denen man einen Flügel ausgerissen hat, höchstens noch winken können zum Abschied – man hört es mit Genuss.
Es stimmt: Wilco haben sich nie besser, ausgewogener gezeigt. Woran auch ein Gastspiel der kanadischen Sängerin Feist in dem Liebeslied „You And I“ Anteil hat. Dass sie andererseits immer noch zu lärmen verstehen, bis aus dem Mergeln verzagter Melancholie das Knirschen zersprungener Ketten aufsteigt, beweist das furiose „Bull Black Nova“. Und warum nicht genauer hinhören und sich ins Gewissen reden lassen bei einer Predigt wie „You Never Know“? Geht es doch um die lächerliche, mit jeder Generation sich wiederholende Vorstellung, dass die Welt untergehen werde.
Leider ist von den Mühen nichts mehr zu spüren, der es sonst bedurfte, diese fein austarierte Balance aus Stimmungen zu finden. Sie ist der Band diesmal zugeflogen. Ob in Neuseeland, wo ein Teil der Songs entstand, oder im bandeigenen Studio „The Loft“ in Chicago, sei dahingestellt. Die Gleichzeitigkeit von rustikalen und empfindsamen Momenten geben Wilco-Alben die Dringlichkeit, die vor allem weniger aufmüpfige E-Gitarren brauchen. Geschenkt will man Schönheit eben nicht haben. Vielleicht hätten sich Wilco einfach schwerer tun müssen, dem seichten Nachruf auf das Bush-gebeutelte Amerika mit „Country Disappeared“ Kontur zu verleihen. Und das ist nur ein Symptom. Die Band war besser, als sie innerlich glühte. Wilco haben sich selbst geschafft. Wie viel fehlt, bis Wilco (the show) in Las Vegas ankommt?
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