Nas und Kelis: Wie sich Hip-Hop und R’n’B verzweigen
Wie sich Hip-Hop und R’n’B verzweigen: Nas entdeckt den Reggae, seine Ex-Frau Kelis kontrolliert den Dancefloor. Beide haben neuen Alben eingespielt.
Die Vorstellung ist natürlich zu schön, um (noch) wahr zu sein: wie also der Rapper Nasir Jones, genannt Nas, und seine Frau, die R&B-Sängerin Kelis Rogers, als Künstlerin kurz Kelis genannt, in ihrer Wohnung irgendwo in Manhattans Upper Westside beim Frühstück sitzen, nachdem sie gerade ihren Sohn in den Kindergarten gebracht haben, und gemeinsam neue musikalische Projekte aushecken. Nas hat nach schlimmen Angeberausflügen in den Dicke-Schlitten-HipHop wieder zu sich selbst gefunden, auch dank Kelis, und gerade den Hip-Hop gerettet, ihm später sogar ein politisches Album geschenkt. Und Kelis ist mit ihrem letzten, auffällig eklektizistischen Album „Kelis was here“ von 2006 doch nicht die R’n’B-Großchanteuse geworden, die in einer Liga mit Beyoncé spielt, sondern nur die unberechenbarste Sängerin ihres Genres, die auf Hippie-Mädchen genauso machen kann wie auf Soul-Diva. „Du musst weiter an deinem politischen Image arbeiten und das schwarze Amerika repräsentieren“, sagt Kelis zu Nas. Und dieser rät ihr, die Unberechenbarkeit zu ihrer Stärke zu machen und ein möglichst R&B-fernes Album einzuspielen.
Wie gesagt, das ist nur eine schöne Vorstellung. Denn Nas und Kelis befinden sich mitten in einem unschönen Rosenkrieg, nachdem sie im April letzten Jahres ihre Ehe für beendet erklärt hatten. Was beide nicht abhielt, künstlerisch produktiv zu bleiben und neue Alben einzuspielen, mit neuen oder alten Freunden.
Nas besann sich darauf, dass er schon einmal mit Bob Marleys Sohn Damian Marley gearbeitet hatte, auf dessen Album „Welcome to Jamrock“. Und würde es gerade jetzt nicht angebracht sein, nach „Hip Hop is Dead“ und dem betont nachdenklichen, unbetitelten Voting-for-Obama-Album, Tracks einzuspielen, die sich auf die Suche nach den Wurzeln des Hip-Hop machen, des eigenen Daseins überhaupt, und diese mit Roots-Reggae-Partikeln anzureichern? Ein Anruf genügte, Damian Marley war Feuer und Flamme, und entstanden ist mit „Distant Relatives“ ein Fusion-Album, auf dem Nas als Rapper und Marley als Toaster gleichberechtigt an Mikros und auch an den Reglern agieren.
Das Cover mit den Porträts der Musiker und zwischen ihnen den Umrissen des afrikanischen Kontinents gibt das Thema vor, das allerdings seit den achtziger Jahren von zahlreichen Vertretern des Hip-Hop von Jeru The Damaja über Pharcyde oder Run DMC bis zu A Tribe Called Quest behandelt wurde. Hinten prangt ein Sinnspruch des radikalen panafrikanischen Politikers und Publizisten Marcus Garvey: „A people without the knowledge of their past history, origin and culture is like a tree without roots.“
Nas und Marley betreten die Bühne mit einem Schlagabtausch über ihr Projekt, in dem sie ihr Vorwissen austauschen und die Ausgangslage bestimmen („And I got the guns“, rappt Nas, „I got the ganja“, ergänzt Marley), um schließlich im steten Wechsel die „Tribes at war“ zu beklagen und ein „Land of promise“ zu beschwören, in dem Freiheit, Gleichberechtigung, das Recht auf Bildung und vieles mehr gewissermaßen wie Milch und Honig fließen. Die Welt muss sich verändern, erklingt es hier allenthalben, Afrika aufwachen – manchmal fragt man sich, ob hinter den vielen guten Worten und Floskeln, der gut gemeinten Vermittlung von Wissen über die prä- wie postkoloniale Geschichte Afrikas nicht auch ein wenig Kalkül steckt. Das gute Gewissen des Hip-Hop ist Nas schon lange, warum nicht gleich der oberste Prediger des Genres werden? Das lenkt aber nicht davon ab, dass „Distant Relatives“ ein musikalisch herausragendes, organisches Album geworden ist: mit schleppenden Reggae-Klängen, grundschweren HipHop- Beats und einem klassischen Gospel; mit Samples von Mulatu Astatke oder den aus Mali stammenden Amadou und Mariam, und mit den sich sehr gut ergänzenden Stimmen von Nas und Marley, zu denen sich einige Male Gesangsparts von Gästen wie Joss Stone, Lil Wayne, Stephen Marley oder K’naan gesellen, Letzterer der WM-Hymnen-Sänger mit somalisch-kanadischem Hintergrund. Am Ende dieser Produktion ist „Distant Relatives“ Weltmusik, die genauso warm klingt, wie sie schick durchgestylt ist.
Nas’ Ex-Frau, Kelis Rogers, hat es im Vergleich dazu schwer, gerade auf der politischen Ebene gegenzuhalten. Sie entschied sich, wieder einmal nach neuen Produzenten Ausschau zu halten (und insbesondere nicht zu ihren alten Kumpels, den Neptunes, zurückzukehren), und fand dabei etwa den House- und Elektronik-Produzenten David Guetta oder den inzwischen in ähnlichen Genres wildernden Tausendsassa von den Black Eyed Peas, Will.I.Am. Kelis’ „Fleshtone“ ist demnach ein klassisches Dancefloor-Album geworden, mit pumpenden Bässen, pulsierenden Bässen, quietschendem Techno und herrlichen Keyboard-Flächen. Über alldem schwebt Kelis mit ihrem wundervollen Gesang, schwärmt vom Tanzen, Feiern und wie man dabei zu sich selbst kommt und fordert schließlich: „Emancipate yourself“. Man muss schließlich nicht immer gleich das große afroamerikanische Ganze im Blick haben.
„Distant Relatives“ ist bei Tuff Gong/Universal erschienen, „Fleshtone“ von Kelis bei Interscope/Universal.
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