Fehlfarben: Weltherrschaft abgesagt
"Glücksmaschinen": Das große, widerwillige Album der Band Fehlfarben.
„Ey, ich habe hier ein tierisches Drumpattern, kannst du dir dazu mal einen Text ausdenken!“ Das ist genau die Art von Inspiration, die Peter Hein liebt. „Nein, kann ich nicht“, blafft er dann. „Zu Drumpatterns kann ich mir keinen Text ausdenken.“ Nicht mal er kann das, den viele für den besten Songtexter deutscher Sprache halten, gesegnet mit der Gabe, das Leben, selbst wo es vertrackt wird, in einfache Worte zu fassen: „Du weißt, du sagtest immer ,sie’/ Du kanntest sie, die Bösen/ Mit ihren Häusern mit den scharfen Kanten/ in ihren hochmütigen Türmen.“ So singt es Peter Hein seinen alten linken Weggefährten ins Stammbuch. „Und jetzt sitzt du da, im eigenen Heim/ Und musst Kinder hüten.“
Kann man schärfer in Bilder fassen, was von den Utopien übrig geblieben ist? Die Rede ist vom achten Album der seit ihrem Erstling „Monarchie & Alltag“ und einer vermasselten Restkarriere legendären Band Fehlfarben. Mit „Glücksmaschinen“ (erschienen bei Tapete-Records) werden sie nun zu einer ganz normalen Band, die regelmäßig Platten veröffentlicht. „Uns kann man ruhig mal falsch bedienen“, lautet ihr Leitmotiv, „denn wir sind die Glücksmaschinen“. Tief im Fehlfarben-Universum ist der Glaube an eine Mechanik verankert, früher „System“ genannt, die erst aussetzen, ins Stocken geraten oder kaputt gehen muss, damit die innere Uhr des Widerwillens zu ticken beginnt.
Noch immer sind Fehlfarben der lebende Beweis dafür, dass Stil und politisches Bewusstsein im Pop zusammengehen können. Für Protest waren sie immer schon zu cool und für Mode zu politisch. Deshalb kennt die Fehlfarben-Haltung keine Halbwertszeit. Hein besingt die „Stadt der 1000 Tränen“ mit derselben unerschütterlichen Wehmut wie einst den Grauschleier über der Stadt. Er braucht keine Agression, um wie ein Rocksänger zu klingen. Sätze wie „Wir haben Angst, doch leider keine Zeit dafür“, die man an Häuserwände sprühen könnte, stellen seine Stimme von ganz allein aufs Podest.
Es geht um den Untergang des Kleinbürgers in der Finanzkrise („Ausgeraucht“), um das Ende der Privatsphäre („Vielleicht Leute 5“), und wenn er den Exzess mal feiert, dann den hedonistischen im Monochromglanz eines treibenden Techno-Beats („Neues Leben“). Das hat Klasse und Wucht. Die Band hat selten so kompakt geklungen, die Spielpraxis der letzten fünf Jahre zahlt sich aus. Allerdings ist „Glücksmaschinen“ mit nur acht Titeln ein vergleichsweise kurzes Vergnügen.
Woher bezieht das in 30 Jahren achte Studioalbum der Fehlfarben seine außergewöhnliche Kraft? Es wurde nicht im Studio aufgenommen. „Wir hatten nichts, außer ein paar Bassläufen“, erzählt Bassist Michael Kemner, „keine Strukturen ...“ Weiter kommt er nicht, weil ihn Hein an die Vorbereitungswoche erinnert, in der sie ein komplettes Konzept „für die Weltherrschaft der Fehlfarben“ erfunden hatten. Davon sei schon am ersten Tag unter den Fittichen des Berliner Produzenten Moses Schneider nichts mehr übrig geblieben. „Denn im Übungsraum waren wir ja immer nur halb betrunken gewesen“, sagt Hein. Weltherrschaft abgesagt.
Moses Schneider ist durch seine Arbeit mit Tocotronic, den Beatsteaks und unzähligen anderen Indie-Bands zum wichtigsten Musikproduzenten im Land geworden. Er selbst hört das nicht gern. Doch neben seiner Fähigkeit, Bands gut und transparent klingen zu lassen, liefert er der darbenden Musikindustrie mit seinem Produktionskonzept die Blaupause, um auf hohem Niveau und sehr preiswert Platten herzustellen. Denn Zeit ist bei Schneider knapp bemessen. Man muss wissen, was man will. Die Fehlfarben mieteten sich für eine Woche bei ihm ein. Schneider stand in der Mitte und „dirigierte“, bemerkt Kemner.
Für gewöhnlich kommen Bands unter Schneiders Regie mit auskomponierten Stücken ins Studio. Zur Philosophie des Mannes zählt, dass die Musiker ihre Lieder zusammen einspielen, wie eine Jazzband, und nicht jeder einzeln. Jedenfalls hatten sich auch die Fehlfarben was überlegt. „Dicke-Eier-Funk“ wollten sie machen, um ein Disko-Revival zu starten, wie Hein sagt. Aber daraus wurde nichts, gottseidank. Sowieso sei er unseligerweise stets „zwangsgefunkt“ worden, empört sich Hein, der nach einem ersten frühen Ausstieg bei den Fehlfarben in Nebenprojekten wie Family 5 vom langen Schatten eines gewissen, für ihn peinlichen Funk-Riffs immer wieder eingeholt wurde. Es treibt noch heute, 30 Jahre nach der Entstehung von „Ein Jahr (es geht voran)“, die Leute in die Raserei. „Wenn wir losfunken, kommt nur Marschmusik heraus“, spottet Hein. Und erklärt damit, wie aus dem missglückten Streben nach Sexyness der mechanisch abgezirkelte Krautrock-Beat entsteht, der „Glücksmaschinen“ in einen hypnotischen Strudel alarmierter Synthesizer und glühender Gitarren zieht.
„Gegen die Welt, aber mittendrin“, hat Hein seine Malocherhaltung mal beschrieben. Mittendrin ist der Mittfünfziger heute allerdings aus Bequemlichkeit. Er sei zu faul, irgendwas zu organisieren, bei ihm staue sich nie etwas an, sagt Hein im Gespräch. Wenn alle nur das täten, was getan werden muss, dann funktioniere das System. Aber da alle immer mehr wollen, droht Unheil. Deshalb sind die Fehlfarben so wichtig. Und besser waren sie selten.
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