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Streets
© promo

Konzertvorschau: The Streets - heute zum letzten Mal in Berlin?

The Streets verblüffen mit komplexen Beats und schwermütigen Themen wie Selbstmord oder Weltuntergang. Heute Abend spielt die Band um Sänger Mike Skinner im Huxley's - vielleicht zum letzten Mal in Berlin.

Von all den Elfmeterversagern des englischen Fußballs war David Beckham wohl der unglücklichste: Im Viertelfinale der EM 2004 kullerte der Ball vom Strafstoßpunkt, Beckham rutschte beim Versuch, ihn noch zu treffen, aus und jagte die Kugel in den Abendhimmel. Dieses ultimative, England mal wieder aus dem Turnier befördernde Missgeschick war Auslöser einer Lawine des Spotts, deren Tonfall sich aber bald änderte. Verantwortlich dafür war ein Lied von Mike Skinner, besser bekannt als The Streets. Dessen totentrauriges „Dry your Eyes“, das irgendwelche Witzbolde unter die Fernsehbilder des stolpernden Beckhams montiert hatten, gab dem Hiob des britischen Fußballs die Würde zurück, verlieh seinem Scheitern tragische Größe.

Clubklänge zwischen Grime und UK-Garage

Der damalige Nr.1-Hit erzielte diese Wirkung nicht nur, weil sein Autor gerade der angesagteste britische Popstar war, sondern vor allem, weil dessen Integrität als bewiesen galt. Mike Skinner, 1978 geboren und in einem Vorort von Birmingham aufgewachsen, hatte 2002 mit dem fulminanten Debütalbum „Original Pirate Material“ die Szene aufgemischt: In einem virtuosen Kunstgriff löste er die um den Alltag britischer Heranwachsender kreisenden Songthemen aus dem angestammten Britpop-Kontext und bettete sie in zeitgenössische Clubklänge zwischen Grime und UK-Garage. Zu blechernen HipHop-Beats ließ Skinner die Kunstfigur des „Geezers“ durch seine Songs stolpern: der prototypische Vorstadt-Proll, der am Wochenende auf der Suche nach schnellem Sex, Suff und Drogen die Clubs und Pubs der Stadtzentren unsicher macht.

Skinners Reime klangen wie eine authentische Stimme der desillusionierten Vorstadtjugend im maroden Cool Britannia. Seine Kokain- und Alkoholexzesse, die wahren oder angedichteten Affären mit Yellow-Press-Promis und die obligatorischen Angeber-Statussymbole – teure Uhren, Brillianten, tiefergelegter Rolls-Royce – , bezeugten den dramatisch veränderten Lebenswandel des über Nacht zu Ruhm und Reichtum gekommenen Aufsteigers. Und versorgten Mike Skinner mit Songmaterial: Schon das dritte Album geriet 2006 zur sarkastischen Abrechnung mit den selbstzerstörerischen Mechanismen des Popgeschäfts.

Jüngst ließ Skinner durchblicken, dass das Kapitel The Streets fast abgeschlossen ist

2008 stehen die Zeichen auf Neuanfang: Die vierte The-Streets-Platte „Everything is borrowed“ lässt Selbstironie und Sarkasmus hinter sich, verblüfft mit schwermütigen Themen wie Selbstmord, Vergänglichkeit oder ökologischer Verantwortung. Auch in neueren Interviews präsentiert sich ein ernster, nachdenklicher Mike Skinner, der auf einen Trip der Läuterung geraten zu sein scheint. Manchen kommt dieser abrupte Sinneswandel unglaubwürdig vor. Tatsächlich ist es die legitime Weiterentwicklung eines hochintelligenten Popdichters, der im Zeitraffertempo alle Stadien des Star-Daseins durchlaufen hat.

Die Musik ist genauso überraschend: Statt der ausgereizten Beat- und Sampling-Collagen spielt Mike Skinner mit kleiner Bandbesetzung plötzlich wunderbar melodischen, warmherzigen Pop, voller Referenzen an Soul, Funk, Disco und Sixties-Chansons. Es wäre ein viel versprechender Aufbruch, hätte Skinner nicht durchblicken lassen, dass das Kapitel The Streets für ihn so gut wie abgeschlossen ist. Wie gut, dass der kleine Tunichtgut vorher nochmal zum Abschiednehmen vorbei schaut.

Huxley‘s Neue Welt, Montag, 20 Uhr, Eintritt 26 € + VVK

Jörg W, er

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