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Carlos Santana und sein Instrument.
© AFP

Konzertkritik: Santana in der O2-World

Es schwant einem nichts Gutes: Die O2-World ist nicht der schönste Konzertsaal und Santanas neuestes Album ist ein Albtraum. Doch dann ist vieles überraschend originell.

Ein spitz metallisches Pling-Pling-Synthie-Intro, ein Drummer und zwei Percussionisten mit großem Besteck, Bass, Gitarre, Posaune, Trompete, zwei launige Stimmungssänger und schwer karibisches Karnevalisten-Gefühl. Und mittendrin steht Carlos Santana, mit komischem Hütchen und Sonnenbrille. Und fiedelt auf einer grünen PRS-Gitarre.

Es schwant einem nichts Gutes, denn die O2 World ist nicht der schönste Konzertsaal und Santanas neuestes Album ist ein Albtraum von uninspiriert abgenudelten Coverversionen wie "Whole Lotta Love" und "Smoke On The Water", jeder Song von einem anderen halbwegs prominenten Sänger interpretiert, wodurch der Platte jegliche Individualität fehlt. Da hilft es auch nicht, wenn im Hintergrund ein solider Gitarrist handwerkert.

Seit es die ursprüngliche Band Santana nicht mehr gibt, die 1969 nach einen sensationellen Auftritt beim legendären Woodstock-Festival und ihrer aufregend neuen Mischung aus Blues, Rock, Jazz, sowie afrikanischen und lateinamerikanischen Rhythmen enorme Popularität erlangte, seitdem es diese Band nicht mehr gibt, hat Carlos Santana das Problem aller großer Gitarristen einst großer Bands, die selber nicht singen können.

Jeff Beck macht aus seinen Konzerten zweistündige Gitarrensoli, Jimmy Page muss immer wieder Mitstreiter, vor allem Sänger, finden, die mit ihm das alte Led-Zeppelin-Repertoire spielen. Und Carlos Santana? Auch er sucht sich ständig neue Sänger. Diesmal heißen sie Tony Lindsay und Andy Vargas. Sie wechseln sich ab oder singen gemeinsam, spielen die Animateure, und wirken dabei ziemlich austauschbar. Sie singen "Yaleo" von Santanas erfolgreichstem Album "Supernatural", seinem überraschenden Comeback aus dem Jahr 1999. Sie gehen von der Bühne, wenn sie gerade nicht gebraucht werden, während David Mathews ein beboppendes Solo auf dem Piano spielt oder Soul-Grollen auf der Hammond-B3, Santana einen Schluck trinkt und zuschaut.

Santana ist ein angenehm unaufdringlicher Mensch, der sich nicht ständig in den Vordergrund schiebt, und der seinen zehn Mitmusikern ausreichend Entfaltungsmöglichkeiten gibt. Seine Gitarre spielt er wie ein Ensemblemitglied, als Teil des Ganzen. Was wohl auch zu seiner menschenfreundlichen Philosophie des Teilens und der Gemeinsamkeit gehört. Den "beautiful people" im Publikum erklärt er, dass er mit seiner Band "beautiful music" spielen wolle, um die Leute glücklich zu machen, und dass es ein Fest der Freude werden solle.

Eine Freude wird es dann tatsächlich. Vor allem auch Santanas Gitarrenspiel, das man gelegentlich schon verloren glaubte an Einfallslosigkeit und sich ewig wiederholende Klischees, das sich heute jedoch trefflich einfügt in den manchmal sehr dichten Salsa-Big-Band-Sound, wo die Gitarre manchmal klingt wie ein Teil der Bläser, wie das fehlende Saxofon.

Santana spielt seine verschiedenen PRS-Gitarren mit dem unverwechselbaren flüssig warmen Klang, mit den typischen gezogenen, lang gestreckten Töne, mit Fingervibrato und Trillern der linken und Tremolo der rechten Hand, mit nur wenig Effektgeräten, manchmal mit dezentem Wah-Wah-Pedal und dosiert eingesetzter Rückkoppelung aus dem seitlich neben ihm positionierten Mesa-Boogie-Verstärker.

Von weichen Melodien gerät er in tosend gischtende Soundcluster und findet doch wieder zurück in ruhigeres Fahrwasser, sanftes Plätschern. Und wenn er in den unterschiedlichsten Songs immer wieder kleine Zitate versteckt - "Land Of 1000 Dances", "You Really Got Me", "Cocaine", "All Along The Watchtower", Hendrix' "Third Stone From The Sun" und Coltranes "A Love Supreme" - dann ist das witziger als "Sunshine Of Your Love" von Cream komplett nachzuspielen. Überhaupt ist vieles originell, was Santana diesen Abend zeigt.

Wenn die raffinierten Arrangements in einem Song von Blues zu Jazz, von Hard-Rock zu Prog-Rock changieren, der Rhythmus von Salsa zu Reggae und zurück. Und die Ansprachen zwischendrin zur Hoffnung auf eine bessere Welt unterscheiden sich gar nicht so sehr von den Predigten einer Patti Smith. Zum Schluss gibt's noch ein bisschen Woodstock mit "Soul Sacrifice" und "Love, Peace & Happiness". Und nach etwa 160 Minuten geht man angenehm überrascht und erfrischt nach Hause.

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