Konzertkritik: Rocky Votolato im Bang Bang Club
Zwischen autobiographischem Fakt und Fiktion: Der Texaner Rocky Votolato erzählt in seinen Songs von Selbstmord, Freiheit und Liebe - und begeistert damit das Publikum im Bang Bang Club.
Es wirkt eher, als wären Freunde in einem großen Wohnzimmer zusammen gekommen. In schwarzem T-Shirt und Jeans erscheint Rocky Votolato fast unbemerkt auf der Bühne des Bang Bang Clubs. Der kleine Raum ist komplett gefüllt, kaum jemand im Publikum ist älter als der 33-jährige Indie-Folk-Musiker. Die Wohnzimmer-Stimmung ist ihm vertraut. Auf seinen "Living Room"-Tourneen in den USA spielt er in den Wohnzimmern seiner Fans und Freunde. Allein mit Akustikgitarre und Mundharmonika steht der Singer-Songwriter auf der Bühne. Wer Angst hat, dass das nicht reicht, um einen ganzen Abend zu füllen, kennt Rockys Stimme nicht. Als er anfängt zu Singen, kriecht sie rau bis in den letzten Winkel des Raumes.
Bei den ersten drei Liedern stehen alle im Publikum einfach still und lauschen. Ausgerechnet bei "Red River" vom neuen Album "True Devotion" fangen die ersten Köpfe und Beine an zu zucken. So viel Energie, Leid und Wut springt von seiner Sandpapier-Stimme auf die Zuhörer über. In dem Song erzählt Rocky von traumatischen Kriegserfahrungen und von Selbstmord. Nach jedem Song prasselt anhaltender Applaus auf ihn nieder, immer wird gejubelt. Der gebürtige Texaner kann es kaum fassen, in Deutschland so empfangen zu werden. Er muss lachen, wenn im Publikum schon bei der Ankündigung seiner Songs einzelne Zuhörer vor Vorfreunde juchzen.
"True Devotion" gegen Depressionen
Sein neustes Album "True Devotion", von dem er viele Stücke spielt, ist seine sechste Solo-LP und erstmals auch bei einem deutschen Label erschienen. Ein roter Anker schwebt auf dem Cover. Der Musiker hat nach Monaten der Depression seinen Halt wieder gefunden. "True Devotion" ist ein Stück Therapie. Es beginnt mit dem Song "Lucky Clover Coin", in dem sein Sohn eine Glücksmünze findet - und Rocky damit zurück in die Musik und ins Leben reißt. Votolato ist verheiratet und Vater zweier Kinder, aufgrund der Depression musste er zeitweise getrennt von ihnen leben. "You can be free, if you decide to be – no one is your enemy / You can choose peace / You’re gonna end up where you started" singt er mit seiner Gänsehautstimme am Ende des Longplayers. Live klingen die Lieder des neuen Albums noch besser, kraftvoller, wenn auch nicht weniger melancholisch
"Anybody here scared of Aliens?" Das Lied "Tinfoiled Heads" habe er nach der Anleitung seines Sohnes geschrieben. Der empfiehlt als Schutz vor Aliens, Hüte aus Alufolie zu tragen. Bei "Suicide Medicine" vom gleichnamigen Album singen auf einmal viele im Publikum mit. Votolato scheint seinen Ohren nicht zu trauen und weicht ein paar Mal wie zufällig vom Mikrophon zurück, um zu hören, ob es wahr ist. In Berlin hat er bereits echte Fans. Sie können seine Texte auswendig.
Votolatos "Father and Son" ist um Längen besser als das von Ronan Keating
An der Grenze zwischen autobiographischem Fakt und Fiktion erzählt er von Selbstmord, Freiheit und Liebe. Votolato kreist jedoch nicht nur um sich selbst und seine Gefühle, in seinen Liedern klingt oft Gesellschaftskritik mit. In "Automatic Rifle" beschreibt er, wie ein Mädchen zur Selbstmordattentäterin wird, weil es als Kind mit ansehen musste, wie ihr Vater ermordet wurde. Nach knapp über einer Stunde kündigt er sein letztes Lied an, als einen "song against materialism". Als der letzte Ton verklungen ist, verlässt er schnell die Bühne. Da der Applaus nicht leiser wird, kommt er nach zwei Minuten wieder. "A few more songs." Und spielt dann noch über eine halbe Stunde. Darunter eine Coverversion von Cat Stevens "Father and Son", in der Mitte verpatzt er den Text. "Damn, I fucked it up." Trotzdem klingt er um Längen besser als die bekannte Version von Ronan Keating - gefühlvoller und dabei nicht annähernd so jaulig.
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