Besuch bei Laibach in Slowenien: Punk ist nicht genug
Laibach ist der deutsche Name der slowenischen Hauptstadt Ljubljana – und so heißt auch die erfolgreichste Pop-Band des Landes. Sie singen auf Deutsch, provozieren in martialischen Fantasieuniformen und mit Nazisymbolik. Im Westen verkauften sie sich damit sehr gut. Jetzt werden sie EU-Bürger. Eine Begegnung.
Freitagnacht in Ljubljana, der slowenischen Hauptstadt. Karaokegesang dröhnt durch den Saal eines kleinen Theaters in der Altstadt. Rot- und Weißwein rinnen aus Metallfässern in Plastikbecher. Vom gebratenen Lamm sind noch der Schädel und ein Berg Knochen übrig. Bald kommt Kuchen aufs Büfett. Die Tanzfläche vor der Karaokebühne ist voll. Mit ihren bauchfreien T-Shirts und Trainingsjacken könnte die Jugend von Ljubljana auch die Jugend von Prenzlauer Berg sein, nur dass die Jugend von Ljubljana wirklich jugendlich ist. Den größten Teil des Programms aber bestreiten alte jugoslawische Schlager. „Pusti pusti modu“, denk nicht nur an Moden, nicht nur an heute, heißt es in einem Lied. Die Tänzer und Sänger sind allerdings sehr nah am Heute. Tito, den 1980 verstorbenen Staatsgründer des sozialistischen Jugoslawiens, besingen sie trotzdem: „Wir hören zwar Rockmusik, aber du kannst dich darauf verlassen: Wenn es darauf ankommt, dann sind wir bereit“, heißt es in einem der Agitprop-Evergreens. Ostalgie à la Slovenija.
Die 20-Jährigen, die hier begeistert mitgrölen, waren noch Kinder, als Slowenien 1991 seine Unabhängigkeit erklärte. Sie sind längst im Westen angekommen, wenn ihr Land am 1. Mai der Europäischen Union beitritt – als wirtschaftlich am weitesten entwickelter EU-Anwärter. Deutsche Zeitungen nennen Slowenien den „Klassenprimus“ unter den osteuropäischen Beitrittskandidaten. Der Tanz der jungen Slowenen ist ein Tanz der Musterknaben. Es ist die Ironie des Westens, die sich das junge Slowenien auf seinen ostalgischen Karaoke-Partys zu Eigen gemacht hat. Sie ist leicht, sie ist folgenlos, sie ist erlaubt, www.karaoke.co.yu.
Am Rand der Tanzfläche steht Ivan Novak, Anfang 40, Fassonschnitt mit Scheitel, New-Wave-Chic. Als er so alt war wie die jungen Tänzer, gehörte die Teilrepublik Slowenien noch zur Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, die hier ironisch verklärt wird. Für Novak war es die Zeit von Punk und New Wave. „Ihr könnt euch darauf verlassen, wir sind nicht bereit“, riefen die Punks von Ljubljana dem Parteivorsitzenden Tito und seinen Nachfolgern entgegen. Ivan Novak hat damals mit ein paar anderen jungen Künstlern die Gruppe Laibach gegründet. Die Band entstand Ende der 70er Jahre. Um sie herum gruppierte sich das Künstlerkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) mit Film- und Theatermachern, Literaten und bildenden Künstlern. 1983 wurden Laibach in ganz Jugoslawien bekannt – und berüchtigt.
Sie gaben dem staatlichen Fernsehen ein Interview. Dort traten sie in Uniformen der jugoslawischen Armee auf und setzten sich mit grimmigen Mienen und markigen Sprüchen in Szene. Das meiste stammte aus dem rhetorischen Arsenal der Politfunktionäre. Laibach assoziierten es kompromisslos mit dem Faschismus. Das war weder erlaubt noch folgenlos: Laibach wurden verboten und mussten sich sogar für kurze Zeit vor dem Zugriff der antifaschistischen Staatsmacht in einem Kloster verstecken. „Sie haben offenbar zu viel von sich selbst in uns erkannt. Und es gefiel ihnen nicht, was sie da sahen“, sagen Laibach heute im Interview. Sie legen Wert darauf, dass keiner von ihnen mit seiner eigenen Stimme spricht, sondern immer das Kollektiv. Auch das Interview ist eine Kunstform für Laibach. Sie müssen sich nun nicht mehr im Kloster verstecken, doch sie verstecken sich hinter dem Spiel mit der Sprache. Sie leben in einem Land, in dem sich die Regierungspartei „Liberaldemokraten“ nennt. Liberale, die aus der früheren Nachwuchsorganisation der Kommunisten hervorgegangen sind. Wofür und wogegen haben Laibach damals gekämpft? Wofür und wogegen kämpfen sie heute, da ihr Land den letzten konsequenten Schritt Richtung Westen vollzieht?
Schon der Name dieser Band war Provokation: Die deutsche Bezeichnung für Ljubljana. So haben die Besatzer aus dem Norden die slowenische Hauptstadt über die Jahrhunderte genannt, zuletzt die Nazis, die Ljubljana im Zweiten Weltkrieg einnahmen. Ihre Vertreibung wurde mit Partisanenblut bezahlt und brachte die mythische Führerfigur Tito hervor, die das Völkerkonglomerat Jugoslawiens zusammenhielt. Als Tito starb, begann ein Zerfallsprozess, der in den Gemetzeln der Balkankriege endete. Die Slowenen hatten Glück. Zwar griff sie die jugoslawische Armee unter der Führung Serbiens 1991 an. Doch der Spuk war schon nach zehn Tagen vorbei. Im Gegensatz zu anderen jugoslawischen Teilrepubliken gibt es hier kaum Serben, die in ein großserbisches Reich einzugliedern wären.
Das Verbot hat Laibach nie geschadet. Im Gegenteil: Die Band hatte bald Erfolg im Ausland. „Mute Records“, die Londoner Plattenfirma, bei der auch die Elektropopper Depeche Mode unter Vertrag sind, verpflichtete Laibach 1987. In gewisser Weise haben sie ihren EU-Beitritt längst hinter sich. Ihr Produkt, die Provokation, ließ sich im Westen gut verkaufen. Es waren Zeiten, in denen Nazi-Anstößigkeiten angesagt waren. Ein Spiel mit „schweren Zeichen“ nannte der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen das. Sid Vicious von den Sex Pistols war mit Hakenkreuz-T-Shirts aufgetreten, während sein Frontmann Johnny Rotten „God save the Queen, the fascist regime“ brüllte.
„Punk hatte eine starke befreiende Kraft, aber das war nicht genug für uns“, sagen Laibach. „Wir haben uns von verschiedenen kulturellen und politischen Einflüssen inspirieren lassen, nicht nur von anglo-amerikanischen Pop-Elementen.“ Auch den deutschen Dadaisten John Heartfield nennen Laibach ein Vorbild, das sie in dem Lied „Herz-Felde“ würdigen. Montage und Aktion, die klassischen Dada-Kunstformen, sind ihnen wichtig. Künstler aus dem Umfeld der Band gewannen in den 80er Jahren einen staatlichen Plakat-Wettbewerb. Der Skandal war groß, als sich herausstellte, dass sie ein Nazi-Plakat verfremdet hatten. Zu Beginn der 90er riefen Laibach kurzerhand den NSK-Staat aus – mit Pässen , Briefmarken und Botschaften im Ausland, etwa auch in der Berliner Volksbühne.
Euro-Disco
Am Abend vor der Karaoke-Party hatten Laibach einen offiziellen Termin im Museum of Modern Art von Ljubljana. Drei ihrer Kunstwerke fanden Aufnahme in die Sammlung. An einer Wand hängt ein monumentales Porträt im Stil des sozialistischen Realismus: Die vier Bandmitglieder posieren in Fantasieuniformen auf dem rostigen Gerippe einer Industrieruine und schauen wie Feldherren in die Landschaft. Neben dem Bild stehen zwei Fernseher, in denen das inkriminierte Interview läuft und eine aktuelle Performance. Laibach sind angekommen. Die Neue Slowenische Kunst wird museal.
Laibach provozieren mit ihren Uniformen heute keine sozialistischen Funktionäre mehr. Sie greifen sich einen Einkaufswagen und gehen uniformiert auf Shopping-Tour. „Good buy Göring“ wäre ein schöner Titel für diese mobile Installation. Warenfetischismus statt Faschismus. Der alte Gegner ist Laibach abhanden gekommen. Der neue ist so leicht nicht greifbar. Das symbolische Partisanentum ist nach dem Untergang des totalitären Staats schwieriger geworden. Die Volksgenossen, die zu Konsumenten wurden, können sich keinen Reim auf den Auftritt machen. Sie stehen und starren. Keine Miliz greift ein. Ein Skandal wie 1983 lässt sich im neuen Slowenien nicht leicht provozieren.
Und wie war das damals? „Sie haben Gedankenfreiheit geschaffen“, sagt Demeter Bitenc über Laibach. Der 81-Jährige ist zur Vernissage ins Museum of Modern Art gekommen. „Film actor“ steht auf der Visitenkarte, die er aus seiner Brieftasche nestelt. Wie zufällig kommt dabei auch ein Foto zum Vorschein, das Bitenc in Wehrmachtsuniform zeigt. Er hat in jugoslawischen Filmen die deutschen Bösewichter gespielt – und bei den deutsch-jugoslawischen Winnetou-Produktionen auch schon mal Dick Stone.
Ivan Novak greift sich das Soldatenfoto und pappt es an den Rahmen des Laibach-Monumentalbilds. Das gefällt auch dem alten Herrn. Er wirkt wenig schneidig, eher dandyhaft mit dem dreiteiligen Anzug und den dichten grauen Haaren. Bitenc preist Laibach als Dissidenten, die ihren Teil zum Untergang des totalitären Jugoslawien beigetragen haben. Eine Meinung, die viele Gäste teilen. Außer Laibach: „Wir haben uns nie als Dissidenten verstanden. Wir haben das jugoslawische Regime nicht gehasst. Wir wollten es auch nicht stürzen.“ Im Gegenteil: Durch ihre Kritik hätten sie es besser und effektiver machen wollen. Aber dazu war es schon zu spät: „Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens und der Krieg sind die logischen Folgen des Endes eines Traums.“ Was ist hier ernst gemeint, was Pose? „Wir vermeiden eindeutige Botschaften“, sagt Novak einer Fernsehreporterin des Hessischen Rundfunks, die nach Ljubljana gekommen ist, um Eindrücke aus der Kunstszene der Stadt zu sammeln.
Das Ambivalente an Laibach verkörpert am deutlichsten der Sänger Milan Fras. Im Museum sieht dieser schmächtige, bebrillte Mensch so anders aus als die martialische Figur, die er als Laibach-Hauptdarsteller gibt. Wenn er bei Auftritten wie zuletzt in der Berliner Volksbühne seine Ledermütze mit Ohrenklappen aufhat und im Kriegsrock mit freiem Oberkörper dasteht, wirkt er wie ein barbarischer Herrscher. Fras’ mit slawischem Akzent vorgetragener Gesang ist das Kontrastelement zum technolastigen Laibach-Sound, den Diedrich Diederichsen einst „Euro-Disco“ genannt hat. Laibach-Songs verstehen sich als Antwort auf die Hegemonie der anglo-amerikanischen Popkultur, die Individualität bloß verspricht. Laibach wollen auch hier Gedankenfreiheit. Mit Streichern und Chören verfremden und denunzieren sie Pop- und Rock-Originale. Die deutsche Sprache hilft ihnen dabei: „One flesh, one bone, one true religion, one race, one hope, one real decision“, heißt es im Queen-Original „One Vision“. In Laibachs Version „Geburt einer Nation“ auf der LP „Opus Dei“ hört sich das dann so an: „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube, eine Rasse und ein Traum, ein starker Wille.“ Wer eben noch die satten Akkorde und schmissigen Rhythmen des Intros genossen hat, gerät spätestens jetzt ins Denken. Aber Laibach kommentieren das Unbehagen nicht. „Wir lieben die deutsche Sprache. Sie ist stark und militant, sexy und romantisch. Sie passt gut zu uns.“
Für die pathetischen Arrangements ist Slavko Avsenik junior zuständig. Sein Vater, Slavko Avsenik senior, hat in den 50er Jahren die Original Oberkrainer gegründet, die in Deutschland immer noch als Inbegriff alpenländischen Kulturschaffens gelten. Avsenik junior wohnt außerhalb Ljubljanas an einem See im Wald. Von seinem Studio aus kann er die Berge sehen, in denen die große Karriere seines Vaters begann. „Slowenien ist international bekannt für zwei Exporte: Laibach und die Original Oberkrainer“, sagt er. Bei Laibachs „Opus Dei“ war er 1987 noch anonym dabei. Er fürchtete den Zorn des Vaters. Dem wäre es lieber gewesen, wenn sein Sohn sich auf die Volksmusik konzentriert hätte. Inzwischen kann er den Vater verstehen: „Slowenien ist ein slawisches Österreich, es hat mit dem Balkan nichts zu tun.“
Avsenik junior wirkt ein wenig wie der Bezirkshauptmann Trotta aus dem „Radetzkymarsch“. Joseph Roth hatte seinem Helden slowenische Wurzeln gegeben, um zu zeigen, dass die Slawen des K.u.K-Imperiums die besseren Österreicher waren. Wer von Kärnten herüberkommt, erlebt Slowenien als Idylle. Ein Land der Skifahrer und Bergsteiger. Im Süden, an der kroatischen Grenze, liegen mondäne kakanische Kurorte. Auch Ljubljana hat noch viel vom alten Charme. Mit ihrer Burg und ihrem Fluss wirkt die Altstadt wie eine Miniaturversion Prags. Der slowenische Architekt Joze Plecnik hat auch in Wien und Prag Kirchen und Häuser gebaut.
Mauerfall im Mini-Berlin
„Wir sind die besseren Deutschen“, korrigieren Laibach. Soll heißen: Wir erlauben uns politisch unkorrekte Dinge, von denen ihr Deutschen nicht einmal träumen dürft. Andererseits erwarten auch Laibach viel von Deutschland im vereinten Europa. „Stabilität in Deutschland ist wichtig für Europa.“ Klingt staatstragend, wenn da nicht wieder diese irritierende Wendung käme: „Schließlich war das vereinte Europa vor nicht allzu langer Zeit ja schon eine große deutsche Idee, für die viele Deutsche gestorben sind.“
Die Geschichte der großen Kriege des vergangenen Jahrhunderts ist in Slowenien stets gegenwärtig. Vor der Bergkulisse im Nordwesten zieht sich türkisfarben ein Fluss durchs weiße Geröll. Die Slowenen nennen ihn Soca, die Italiener Isonzo. Hier lieferten sich Italiener und Österreicher eine der verheerendsten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Hunderttausende Soldaten kamen ums Leben. Hemingway hat das Blutbad in seinem Roman „In einem anderen Land“ beschrieben. An den Ufern des Flusses stehen heute überall Mahnmale für die Toten.
Slowenen mussten auf beiden Seiten kämpfen, je nach offizieller Staatsangehörigkeit. Nach dem Untergang der Habsburger taten sie sich mit Kroaten und Serben zu einem Königreich zusammen, dem die Nazis ein Ende machten. Tito versuchte, sich nach dem Zweiten Weltkrieg möglichst viel vom Golf von Triest zu sichern. Doch auf Betreiben der West-Alliierten blieben Gorizia, die Stadt am Isonzo, und Triest italienisch. Also beschloss Tito, ein Signal für den Aufbruch zu geben: Direkt an der Stadtgrenze Gorizias, die auch die Staatsgrenze zwischen Italien und Jugoslawien war, ließ er eine Stadt bauen: Nova Gorica. Hier die mediterrane Altstadt dort sozialistischer Beton-Realismus. Ivan Novak inspiziert den Burghof von Gorizia. Laibach wollen in einem Monat hier spielen. Hat das mit dem EU-Beitritt zu tun? Nein, sagt Ivan Novak, hier gebe es nur ein paar besonders engagierte Fans. Am Berg gegenüber ist eine Inschrift noch deutlich erkennbar. „Unser Tito“, übersetzt Ivan Novak. „Die Parole sollte die Italiener unten am Fluss provozieren.“ Am Hang unter der Inschrift verläuft in Serpentinen ein Korridor durch italienisches Gebiet.
Am 1. Mai werden Gorizia und Nova Gorica eins. Der Grenzzaun dieses Mini-Berlin am Südrand der Alpen ist bereits eingerissen. Im Dreiländereck weiter nördlich stoßen das romanische, das germanische und das slawische Europa aneinander. „Ich habe uns schon immer als Teil des Westens gesehen“, sagt Slavko Avsenik junior. „Wir waren schon immer international“, sagen Laibach. „Slowenisch sprechen wir nur, wenn wir was zu verbergen haben.“
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