Neues Album: Prince verschickt die Songs bald telepathisch
Prince hat sich endgültig von der Musikindustrie emanzipiert – und vertreibt sein Album „20Ten“ als Zeitschriftenbeilage.
Mit keinem Wort erwähnte Prince sein neues Album, als er vor zwei Wochen in der Berliner Waldbühne sein einziges Deutschlandkonzert gab. Er spielte auch keinen Song aus „20Ten“. Allein sein weißes Seidenhemd mit dem gezeichneten Prince-Porträt stellte die Verbindung zur CD her: Das Motiv ist auf dem Cover seines 27. Studioalbums abgebildet.
Mehr Werbung hat der Mann nicht mehr nötig. In Deutschland überließ er den Promotion-Job gleich ganz der Musikzeitschrift „Rolling Stone“, deren aktueller Ausgabe das Album hierzulande exklusiv beiliegt. Natürlich strahlt der 52-Jährige auch von der Titelseite, die ihm zu Ehren in Lilatönen gehalten ist. Unter seinem Konterfei klebt die sehr dünne Papphülle mit der Disc. Es gibt keine Lyrics, Fotos oder Danksagungen, nur die Songtitel sind auf der Rückseite aufgelistet. Dazu der Standard-Hinweis: „Produced, Arranged, Composed & Performed by Prince“.
Mit diesem unspektakulären Anhängsel demonstriert Prince, dass das Format Tonträger für ihn nur noch von geringer Bedeutung ist. Und er beweist ein weiteres Mal, dass er keine Plattenfirma braucht, um seine Songs unter die Leute zu bringen. Schon „Planet Earth“ (2007) legte er in England gratis einer Zeitung bei – als Appetizer auf seine Konzerte in der Londoner O2-Arena. Vertriebspartner Columbia war not amused und stellte das Album in Großbritannien nicht mehr zur Verfügung. Verglichen mit den Kämpfen, die Prince – aus Protest nannte er sich „Slave“ und „Symbol“ – einst mit Warner austrug, war das eine Petitesse.
Völlig ohne Label ging Prince dann im letzten Jahr vor: Das Triple-Album „Lotusflow3r“ war nur bei einer US-Supermarktkette oder online erhältlich. Für 77 Euro konnte man zwei Prince-Alben und das Debüt der Sängerin Bria Valente herunterladen. Inzwischen gibt es die Website nicht mehr, denn „das Internet ist für uns durch“, wie Prince im „Rolling Stone“ sagt. Es sei Zeit für etwas Neues. Telepathische Songverschickung? Oder Rosinenbomber, die Memorysticks abwerfen? Prince Rogers Nelson ist alles zuzutrauen.
Doch bis dahin setzt er erst mal auf Printprodukte als Vertriebsvehikel. Die Zeitungen „Het Nieuwsblad“ und „De Gentenaar“ klebten am Tag des belgischen Prince-Konzertes „20Ten“ auf ihre Titelseiten. In Frankreich war es das Magazin „Courier International“, das drei Tage vor dem Prince-Konzert in Nizza mit der CD erschien. In England legte der „Daily Mirror“ das Album bei – und bejubelte es auch gleich. Der deutsche „Rolling Stone“ durfte den Meister, der inzwischen wieder von L. A. in seine Heimatstadt Minneapolis zurückgekehrt ist, in dessen Paisley-Park-Studiokomplex besuchen – und freut sich artig über den „frühen Elektrofunk-Spirit“ des Albums.
Der blitzt in der Tat immer wieder auf: In „Sticky like Glue“ und „Lavaux“ schüttelt Prince die funky Gitarrenblitze nur so aus dem Handgelenk. Das ist mitreißend und immer noch ziemlich sexy. Die Synthesizersounds und Beats stecken hingegen so tief in den Achtzigern, dass vor allem zu Beginn der Platte ein Déjà-vu das nächste jagt. Der Opener „Compassion“ erinnert an „Let’s go crazy“, bis ein zackiger Bläsersatz die Geister vertreibt. Nach „1999“ entführt das Synthie-Riff von „Beginning endlessly“, und bei „Future Love Song“ scheint der Drumcomputer noch auf „The Beautiful Ones“ programmiert zu sein. Die Intensität dieser „Purple Rain“-Ballade erreicht der mit viel „Sha La La“ und „Uhhuh“ von drei Background-Sängerinnen angereicherte Schmachtfetzen allerdings nicht.
Ein Lichtblick ist „Act of God“, das in einem grollenden-rollenden Rhythmus dahinbrettert und die Skrupellosigkeit gieriger Banker anprangert. Der Text zeugt zwar von einiger Naivität – ähnlich wie bei der Umweltschutz-Hymne „Planet Earth“ –, doch das Stück geht trotzdem ins Ohr.
„20Ten“ ist kein Geniestreich, eher der aktuelle Arbeitsnachweis eines Mannes, der sein Werk bereits vor zwanzig Jahren geschaffen hat und jetzt entspannt vor sich hin musiziert. Diese Art von Lässigkeit würde auch seiner alten Konkurrentin Madonna gut stehen. Nadine Lange
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