Konzertkritik: Nine Inch Nails: Verschwende dein Selbst
Kurzschluss mit dem eigenen Herzen: Nine Inch Nails traten in der Arena Treptow auf - vor einem überraschend jungen Publikum.
Dieses Bühnenbild ist in Zeiten von CO2-Neutralität ein herrlich auftrumpfender Anachronismus: Ein Raster aus gut 1000 Scheinwerfern überspannt die Bühne der Arena Treptow. Draußen bricht das Sommergewitter los, drinnen das Stromgewitter. Stroboskoptürme schleudern Blitze ins zuckende Publikum. Industrial Rock als Kunstform ist eine geschlossene Großinstallation. Energieverschwendung als ultimative Metapher für Selbstverschwendung. Es ist Trent Reznors historisches Verdienst, die Gewalt von Störgeräuschen, verfremdeten Gitarren und Maschinenbeats mit dem eigenen Herzen kurzgeschlossen zu haben.
In den Hochzeiten waren Nine-Inch-Nails-Konzerte Rituale der Zerstörung. Heute, zwanzig Jahre nach Veröffentlichung des Debüts „Pretty Hate Machine“, werden Zeilen wie „I'd rather die than give you control“ noch immer ekstatisch mitgebrüllt, von einem überraschend jungen Publikum. Reznor ist nicht mehr der von existenziellen Leiden durchdrungene Schmerzensmann, doch wenn der 44jährige in triefnassem T-Shirt aus der dunklen Bühnentiefe ans Mikrofon tritt, hat er eine würdevolle Präsenz. Zu ausgezeichnetem Sound gibt er mit seiner Liveband ein Liebhaberprogramm mit Überraschungen, darunter David Bowies von Reznor produzierter Industrialkracher „Afraid of Americans“.
Höhepunkt ist die von Johnny Cash geadelte Selbstverletzungshymne „Hurt“, das gletscherkalte Herz von Reznors Werk. Die verwehrte Zugabe nach "Head Like A Hole" lässt verstört zurück. Neulich kündigte Reznor an, sich von der Bühne zurückzuziehen. Er drohe sonst durchzudrehen. Es wäre ein letzter Sargnagel für den Alternative Rock der Neunziger.