Eine Begegnung: Marianne Rosenberg: Die Schneekönigin
Auf hohen Hacken, nah am Herzen: Marianne Rosenberg ist mit neuem Album auf Tour – eine Begegnung.
Neulich im Blumenladen am Kottbusser Damm. Kein Witz, ist wirklich passiert! Eine kleine Kundenschlange ringelt sich durch den Laden, die beiden Floristinnen sind in Hektik. „Und was möchten Sie?“, fragt die eine den Mann, der ein paar Minuten zuvor im Schlepptau einer Frau reinkam. Der gehört zu mir, winkt die ab. Da fängt doch glatt die Floristin, handfest, Mitte 50, an zu singen: „Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür“. Und der ganze Blumenladen macht mit. Leben, Alltag, Berlin ist plötzlich ein Musical, dank Marianne Rosenberg. Die sei toll, sagt die Floristin. „Wenn ihre Lieder auf Partys laufen, kennen drei Generationen den Text.“
Neulich im Französischen Dom am Gendarmenmarkt. Allerlei Prominenz von Claudia Roth bis Otto Sander füllt die Reihen, dazu junge Aktivisten der Aktion Sühnezeichen und weißhaarige Sinti und Roma, die die Verfolgung durch die Nazis überlebt haben. Zur Erinnerung an die im KZ ermordeten Schwestern und Brüder liest Marianne Rosenberg aus ihrer 2006 erschienenen Autobiografie „Kokolores“, in der sie nicht nur vom Showgeschäft, sondern auch von der Geschichte ihrer Sinti-Familie erzählt.
Ihre Schwester Petra Rosenberg liest aus den Erinnerungen des Vaters Otto Rosenberg, der Auschwitz überlebt hat und danach viele Jahre im Zentralrat deutscher Sinti und Roma aktiv war. Begleitet von einem Gitarristen singt Marianne Rosenberg zwischendurch. Traditionelle Sinti-Lieder und eigene Chansons, beim Singen ist die Miene kontrolliert fast wächsern, das Motto lautet „Trauriger Stolz“. Ihre kräftige Altstimme ist die dunkle Schwester des hellen Kindfrausoprans, durch den sie mit Hits wie „Marleen“, „Lieder der Nacht“ oder „Ich bin wie du“ die erfolgreichste deutsche Sängerin der Siebziger wurde. Viele Leute weinen in ihr Taschentuch.
Neulich bei Carmen Nebel im ZDF: Marianne Rosenberg sei die Ikone des deutschen Schlagers, eine Dame, eine Diva, sagt die Showmasterin die Sängerin an. Die singt den schmissigen Disco-Schlager „Rette mich durch die Nacht“ von ihrem gerade erschienenen Album „Regenrhythmus“. Wie eh und je als eher hüftsteife Stehtänzerin mit großem Armgestus. Einzig die Windmaschine bringt Bewegung ins sorgfältig gesträhnte Haar. Das Publikum bejubelt die Schneekönigin in der roten Flatterrobe. Mehr als 40 Jahre nach ihrem Hitparaden-Durchbruch mit „Mr. Paul McCartney“ ist die mit Familie in Charlottenburg lebende, 56 Jahre alte Sängerin immer noch den Herzen der Menschen nah. Obwohl sie ihres nur beim Singen auf der Zunge trägt. Sonst gilt sie als unnahbar.
Ihr neues Album verbindet Schlagerballaden mit Dancefloor-Nummern
Zum Treffen im „Hamlet“ in Wilmersdorf kommt sie mit großem Hund, kleinem Hofstaat und hohen Hacken. Die High Heels hat sie auch in ihrer Nach-Schlagerphase als beste Freundin von Rio Reiser oder Marianne Enzensberger, Sympathisantin der Hausbesetzerszene, Indie-Bühnenkünstlerin oder Schwulenikone niemals ausgezogen. Natürlich will sie ins Raucherabteil und natürlich ist sie perfekt zurechtgemacht, aber größer und herzlicher als erwartet.
Die Blumenladen-Episode soll als Eisbrecher dienen. Marianne Rosenberg lächelt milde. Sie kennt die Geschichten, sie kennt die Fragen. Die stilistische Einordnung „Elegischer Elektropop“ für ihr von Synthieklängen nur so sirrendes Album, findet sie immerhin „okay“. Dass es nach der Jazz-CD „I’m a Woman“ von 2008 ziemlich überraschend rüberkommt, freut die Sängerin, die musikalische Veränderungen liebt.
Zu Zeiten ihres Erfolgsproduzenten Joachim Heider, der ihren vom US-Soul beeinflussten Discoschlagersound der Siebziger erfunden hat, fühlte sie sich als Marionette des Musikbusiness. „Ich musste mich freikämpfen als Frau und als Musikerin“, sagt sie. Und ebenso als deutsche Sintezza mit vielen von den Nazis ermordeten Verwandten, wie sie in ihrer melancholischen Biografie schreibt. Jemand mit ihrem Background betrachte die Welt ein für alle Mal anders, sagt Rosenberg. Bezogen auf die „verlogene“ Musikbranche hieße das: „Mir ging die Karriere nie über alles.“ Gemessen an dem, was Leben ausmacht, sei das Theater um den Ruhm nur Kokolores. Aber Schluss mit ihrer Familie. Sie will nicht in einem Atemzug über Pop und Auschwitz reden.
Ihr Album „Regenrhythmus“ verbindet Schlagerballaden mit Dancefloor-Nummern. Alle 13 Stücke hat Rosenberg zusammen mit dem Elektrofrickler Dirk Riegner, der sonst mit Peter Heppner oder den Guano Apes arbeitet, komponiert und produziert, die Texte stammen von ihr. Eingespielt haben sie die Platte in Kreuzberg im Tritonus Studio in der Schlesischen Straße. „Da habe ich schon mit Rio Reiser gearbeitet, da fühle ich mich zu Hause“, sagt sie. Und wieso diesmal Elektro? Sie zuckt die Achseln. Das sei halt gerade der aktuelle Sound der Popwelt, wie bei Katy Perry oder Beyoncé. „Und meine Ohren habe ich noch nicht in den Ruhestand geschickt.“
Gegen den Eindruck, dass es auf „Regenrhythmus“ inhaltlich meist um Liebe gehe, protestiert Marianne Rosenberg heftig. Im Gegenteil, „ist diesmal viel weniger Liebe als sonst“. Na gut, der Song „Lauf Kleine“ kritisiert Castingshows und das Lied „Genau entgegengesetzt“ ist gar systemkritisch, wenn auch stark verklausuliert. Das sei ein Protestsong auf ihre Art, sagt sie. „Unsere westliche Welt hat schon viel Dekadentes. Du spürst, welche Dinge falsch laufen, und machst sie trotzdem täglich wieder.“
Mit dem Altrepertoire, wie sie ihre Schlagerhits von früher nennt, hat Marianne Rosenberg schon 2004 öffentlich Frieden geschlossen. Da brachte sie die ihr jahrzehntelang verhassten Songs im fetzigen Disco-Gewand neu raus. Sich als Volkssängerin zu bezeichnen, macht ihr keinerlei Kopfschmerzen. „Ich singe für die Bunten, Verrückten genauso wie für das einfache, ganz normale Volk.“ Auch auf der Clubtour, die sie Sonnabend ins Huxley’s führt, wird es nicht ohne „Marleen“ und „Er gehört zu mir“ abgehen. Sonst gibt’s Ärger mit den Floristinnen im Publikum.
„Regenrhythmus“ ist bei Edel Records erschienen. Am Samstag, 19. März, tritt Marianne Rosenberg um 20 Uhr in Huxley’s Neuer Welt, Hasenheide 107-108, auf.
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