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Chris Martin zeichnet sich durch tollpatschige Bewegungsabläufe auf der Bühne aus - mehr oder weniger.
© dapd

Coldplay in Berlin: Kleines Warmup für die große Stadiontour

Coldplay spielen vor 15.000 Fans in der Berliner O2 World. Doch obwohl die Band großen Aufwand betreibt, ist der Auftritt keine Sternstunde.

Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie der junge Chris Martin auf Studentenpartys in London herumgehüpft sein mag. Falls er solche Orte vulgären Vergnügens besucht hat. Heute, mit 34, ist der Sänger, Songschreiber, Pianist und Hilfsgitarrist der Band Coldplay und Ehegatte von Gwyneth Paltrow das, was die Kids einen "Körperklaus" nennen: Einer, der sich durch tollpatschige Bewegungsabläufe auszeichnet. Ein verhinderter Ausdruckstänzer, die Springteufelchen-Karikatur eines eleganten Performers.

Doch was soll’s? Wofür man in der Disco ausgelacht würde, kann als Zeichen für Unangepasstheit interpretiert werden, wenn man als einer der bekanntesten Rockstars der Erde vor 15.000 Zuschauern in der ausverkauften Berliner O2 World auftritt. Die Botschaft lautet: Hey, er ist immer noch einer von uns. Keiner, der es nötig hätte, seine Bühnenpräsenz von Choreografen optimieren zu lassen. 

Zudem ist Martin in seiner Band nicht allein, denn auch Gitarrist Jonny Buckland ruckelt grobmotorisch rum, wirft sich beim Solo ins Hohlkreuz und stolziert im Spreizschritt über den Catwalk, der den Massen im Innenraum ein wenig Nähe zur Band suggerieren soll. 

Eigentlich ist die aus dem Indierock entliehene Aura des Authentischen bei Coldplay eine Chimäre. Schon das im Jahr 2000 erschienene Debüt "Parachutes" verkaufte sich fast zehn Millionen Mal, ein Erfolg, den die Band mit jedem ihrer fünf Alben bestätigen konnte. Zuletzt waren die Londoner die zuverlässigste Cash Cow des traditionsreichen Musikkonzerns EMI, konnten den Untergang des leckgeschlagenen Branchenriesen aber auch nicht verhindern. 

Das Fremdeln mit dem großen Business mag Koketterie sein, aber Coldplay ziehen diese Haltung konsequent durch. So stellen sie die Dramaturgie eines Großraumhallen-Gigs auf den Kopf, wenn sie die obligatorischen Showhöhepunkte gleich zu Beginn des Konzerts abspulen: Song 1 – wild blinkende Armbänder, die an die Besucher verteilt wurden, dazu eine Lasershow wie im Zoo Palast der frühen Neunziger. Song 2 – Hunderte riesiger Luftballons kullern von der Hallendecke. Song 3 – Konfettikanonen im Dauereinsatz, bis man die Band nur noch schemenhaft im bunten Gestöber erkennt. 

Leider nützt der Aufwand wenig: Dieser Auftritt wird keine Sternstunde für Coldplay. Natürlich gibt es den bei dieser Größenordnung üblichen Soundbrei – bollerig, viel zu laut, auf pure Effekthascherei hin ausgesteuert. Andererseits lässt die Art und Weise, wie Coldplay ihre Songs interpretieren, die Vermutung zu, dass sie genau diesen Effekt wollen. Vielleicht, um ihrem Image als weichgespülte Balladenonkels entgegen zu treten. So werden die Stücke in vergröberten, beschleunigten Versionen dargeboten, wobei sich vor allem Schlagzeuger Will Champion als rustikaler Prügelknabe erweist und jeglichen Ansatz von Sensibilität erstickt. 

Manche Songs vertragen die Brachialkur: Die Bombast-Hymnen „Hurts Like Heaven“, „Charlie Brown“ und „Paradise“ vom neuen Album „Mylo Xyloto“ oder das schroffe „Politik“. Champions bleischweres Getrommel, Guy Berrymans simple Bassfiguren, Jonny Bucklands effektive Gitarrenarbeit und Martins waidwunder Falsett greifen wie Zahnräder ineinander, und es entsteht etwas, was sonst nur noch Coldplays Vorbilder U2 hinbekommen: stadiontaugliche Gassenhauer zum Fäuste in die Luft recken, bei denen vieltausendstimmige Choräle jedes „Uhuhuu“ und „Ohooohoo“ begeistert mitsingen. Und der größte aller Coldplay-Evergreens, „Viva La Vida“, funktioniert auch dann noch, wenn Will Champion wie der Antreiber einer Sklavengaleere auf eine Kesselpauke eindrischt. 

Doch die permanente Reizüberflutung killt genau die Momente, für die man Coldplay auf Platte auch dann verfallen kann, wenn man keine Überwältigungshymnen mag. Ihr erster Hit „Yellow“ etwa lebt von dem Gegensatz zwischen lyrischen und dynamischen Elementen, was hier gnadenlos planiert wird. Das schöne „Lost!“ klingt nun, als ob zwei Bands im Probenraum aneinander vorbeispielen würden. Selbst das unkaputtbare „Clocks“ geht unter im Krawall. 

Schon vor zwei pflichtschuldigen Zugabensongs und dem nach knapp 90 Minuten Konzertdauer abrupten Ende hat man den Eindruck, nicht nur Chris Martins Gesang klinge immer schiefer und lustloser. Auch seine Bekundungen, wie toll es sei, hier in Berlin dieses besondere Vorweihnachtskonzert spielen zu dürfen, wirken hohl. Vielleicht war die Hallentournee ja nur das Warm Up für die großen Fußballarenen, die Coldplay im kommenden Spätsommer bespielen werden. Nach dieser Vorstellung der Konkurrenz muss Bono nicht gerade vor Angst zittern.

Jörg Wunder

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