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Urgestein des Rock ’n’ Roll. Keith Richards, Gitarrist der Rolling Stones, 67 Jahre alt.
© REUTERS

Rollende Steine: Keith Richards rechnet mit Mick Jagger ab

Nach Jerry Hall hat sich Keith Richards in einer Biografie Mick Jagger vorgenommen. Richards nennt "Control Freak" Jagger "unerträglich".

In den vierziger Jahren spielten sie im Sandkasten zusammen. Dann verloren sie sich aus den Augen, bis sie durch Zufall im Zug von Dartford nach Sidcup ihre Bekanntschaft erneuerten. Es war 1961 und Keith Richards, Kunststudent in Sidcup, schrieb an seine Tante: „Heute Morgen am Bahnhof habe ich einen Kumpel getroffen, den ich im Kindergarten kannte. Er besitzt jede Platte, die Chuck Berry je gemacht hat. Er heißt Mick Jagger.“ So begann eine der erfolgreichsten Partnerschaften der Rockgeschichte, übertroffen allenfalls von Lennon und McCartney.

In seiner Autobiografie, die nächste Woche im Buchhandel erscheint, nennt Keith Richards den alten Freund allerdings „unerträglich“. Seit zwanzig Jahren habe er ihn nicht mehr bei einem Konzert in seiner Garderobe aufgesucht. „Manchmal fehlt er mir. Ich frage mich, wo ist mein Freund geblieben“. Trotzdem schloss Keith Richards nicht aus, dass die Stones, die längst im Rentneralter sind und ihre letzte Tour 2007 abschlossen, noch einmal auf Konzertreise gehen könnten. „Ich denke, es wird geschehen. Ich habe schon mit Ihrer Majestät, Brenda, gesprochen“, sagte Richards der „Times“, die gestern mit dem Vorabdruck der Memoiren begann. „Ihre Majestät“ und „Brenda“ sind Richards’ Spitznamen für Jagger.

„Ich glaube, Mick denkt, dass ich ihm gehöre“, sagt der Stones-Gitarrist über den als „Control-Freak“ bekannten Jagger. Irgendwann Anfang der achtziger Jahre sei Jagger immer unmöglicher geworden. Laut Richards hat Jagger das Buch gelesen. Nur eine Stelle – über Gesangsunterricht, den Mick Jagger genommen habe – wollte Jagger gestrichen haben. Richards ließ es stehen. „Das Buch wird ihm ein bisschen die Augen geöffnet haben“, vermutet Richards in einem Interview mit der „Times“. Das Buch ist in gewisser Weise eine Abrechnung mit Mick Jagger, allerdings eine liebevolle. Etwas strenger ist da das Verdikt von Jerry Hall, Jaggers früherer Ehefrau, die in ihrer Biografie „Jerry Hall – My Life in Pictures“ ihren Ex-Mann als „sexsüchtig“ und untreu schildert.

Der 67-jährige Richards, der sich in Nachahmung des Ostlondoner Arbeiterakzents „Keef“ nennt, ist der legendäre Überlebende der Rock-Ära, Herz und Seele der Stones, der garantierte, dass die Band zur harten Rock-Alternative der Beatles wurde und ihren Wurzeln im amerikanischen Blues der fünfziger Jahre treu blieben. Mit seinem Gesicht wie ein trockengelegter Sumpf, den mit Mascara geschminkten Augen, Röhrenhosen und einer im Alter gewachsenen Vorliebe für Piratenkopftücher ist Keith Richards bis heute der Inbegriff des britischen Bluesrockers. Er ist auch Vorbild für den von Johnny Depp gespielten Käpt’n Jack Sparrow in den „Fluch der Karibik“-Filmen. In der neuesten Folge spielt Keith Richards wieder den Vater Sparrows. Der „Times“ sagte Richards, er habe Johnny Depp bei dessen regelmäßigen Besuchen in seinem Haus für den Drogendealer seines Sohnes gehalten – und das zwei Jahre lang. „Eines Tages beim Abendessen dämmerte es mir plötzlich: ,Hilfe, Edward mit den Scherenhänden’.“

Richards hat auch eine piratenmäßige Metallplatte im Kopf: 2006 fiel er im Drogenrausch von einer Palme und musste am Schädel operiert werden.

4,8 Millionen Pfund Vorschuss bekam der Bürgerschreck für die Lebenserinnerungen mit dem Titel „Life“ auf 527 Seiten. Er plaudert ausführlich über die berühmte „Vierecksbeziehung“ zwischen ihm selbst, Mick Jagger und den legendären Rockerbräuten Anita Pallenberg und Marianne Faithful. Richards’ Drogenkonsum, die zahlreichen Polizeirazzien und Gerichtsverfahren ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Während Dutzende von Rockstars seiner Generation früh gestorben sind, oft an Drogenmissbrauch, denkt Keith Richards nicht daran, „seinen alten Freund Luzifer so schnell zu sehen“, und enthüllt das Geheimnis seines langen Lebens: Er habe immer Drogen der „höchsten Qualität“ genommen. „Und ich habe nie mehr genommen, um ein bisschen mehr high zu werden. Das ist, wo die Leute Mist bauen.“ Seit dem Baumsturz nehme er keine Drogen mehr, sagte er der „Times“, er habe nun alles ausprobiert. „Aber wenn sie etwas Neues erfinden, stehe ich zur Verfügung, um es zu testen.“

Das Buch beschreibt auch, wie Richards und John Lennon drei Tage in Richards’ Bentley S3 Continental Flying Spur „mit einem geheimen Drogenfach im Rahmen“ auf Drogentrip durch England fuhren. Zu Lennon habe er gesagt: „Ich fahre nicht in deinem verdammten psychedelischen Rolls-Royce. Lass uns meinen diskreten kleinen, blauen Bentley nehmen.“ Lennon beschreibt er als „arme Sau“. Er habe Richards’ Haus nie anders als „in der Horizontalen“ verlassen. Einmal sei er neben dem Klo auf dem Boden gelegen und habe gemurmelt: „Lasst mich liegen, die Fliesen sind so schön.“ Eine Razzia auf Keith Richards’ Landsitz Redlands und das anschließende Gerichtsverfahren wurde 1967 zu einem Schlüsselmoment der britischen Sozialgeschichte. Richards’ Chauffeur Patrick verriet Einzelheiten der „News of the World“, auch eine anzügliche Geschichte über die nackte Marianne Faithfull und einen Schokoriegel, die gar nicht stimmte. Ob man nicht davon ausgehen müsse, dass eine nur mit einem Teppich bedeckte nackte Frau in Gegenwart von acht Polizisten „und einem marokkanischen Diener“ sich schämen sollte, fragte Ankläger Morris beim Gerichtsverfahren in Chichester. „Keineswegs“, antwortete Keith Richards. „Halten Sie das etwa für normal?“, hakte der Ankläger nach. „Wir sind keine alten Männer. Wir kümmern uns nicht um kleinliche Moral“, sagte Richards.

Wegen dieser Antwort habe der über 60-jährige Richter Block Richards zu drei Monaten Gefängnis verurteilt – eine Strafe, die sogar die „Times“ schockierend intolerant fand und in einem Leitartikel verurteilte. „Wir merkten, dass das Establishment nervös geworden war und uns ins Visier genommen hatte. Sie verschonten die Beatles, denen sie schon Medaillen verliehen hatten. Mich nagelten sie fest.“ England habe zwei Weltkriege gewonnen, aber nun habe es vor ein paar wilden Rockern Angst bekommen.

Nach der Razzia setzten sich Richards, Brian Jones und dessen Freundin Anita Pallenberg nach Marokko ab – sie fuhren im Bentley durch Frankreich und Spanien. In Valencia begann Richards’ Beziehung mit Pallenberg. Das Paar schrieb sich als „Graf und Gräfin Zigenpuss“ im Hotel ein. „Ich erinnere mich immer noch an den Duft der Orangen in Valencia. Wenn man das erste Mal mit Anita Pallenberg Sex hat, erinnert man sich an diese Dinge.“

Keith Richards, „Life“, Heyne, 26,99 €

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