Pop-Illusionen: Ja, wir schaffen uns!
Der König ist tot, es leben die Prinzessinen: tolle Debütalben von Little Boots und La Roux
Die Geschichte des Pop ist auch eine Geschichte der Medien. Michael Jackson wurde nicht allein durch seinen Perfektionismus und den einzigartigen Tanzstil zum King of Pop (Hatte nicht James Brown den Moonwalk erfunden?). Erst die Illusionsmaschinerien von Videoclip und megalomaner Konzerttechnik erlaubten es, durch die Kontrolle von Projektion und Begehren übermenschliche Größe zu erreichen. Insofern folgt Jacksons Tod auch einer technologischen Zäsur. Das Internet streut die Aufmerksamkeits-Produktionsmittel, und im global geteilten Echtzeiterlebnis geht die Unantastbarkeit unter, die einen Superstar ausmacht. Wer heute nach oben will, lässt sich in die Karten schauen.
Zwei junge britische Do-it-yourself- Sängerinnen machen es vor. Victoria Hesketh, 25, ist Little Boots. Elly Jackson, 21, La Roux. Anfang 2009 kürte eine Jury der BBC sie zu Hoffnungen des Popjahres. Seitdem inszenieren die britischen Medien ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das auch eines der Majorlabel Warner und Universal ist. Und eine Versuchsanordnung. Man nehme zwei Mädchen, die dasselbe Spielzeug haben, den Synthie-Pop der achtziger Jahre: Wer knackt das System?
Vom Interview-Sofa aus kann man durch die offenen Türen ins Berliner Warner-Büro spähen. Die junge Frau am Laptop, ist das nicht ...? Ja, hier arbeitet Victoria Hesketh an ihrer Selbstvermarktung mit – indem sie in ihrem Blog von ihrer Selbstvermarktung erzählt. Berechnend antwortet sie auf Fragen. Die studierte Kulturwissenschaftlerin sammelt Synthesizer und führt sie in Youtube-Clips vor. Als Kombination aus weiblichem Nerd und Pop-Prinzessin bezeichnete sie der „Spiegel“. Mit 16 versuchte Hesketh vergeblich ihr Glück in einer TV-Talentshow, später mit dem kurzlebigen Elektropunk-Trio Dead Disco. Mit Little Boots scheint sie nun entschlossen, alle Zugeständnisse an den Mainstream zu machen, unterstützt von Produzent Greg Kurstin, der mit Kylie Minogue wie mit Peaches arbeitete.
Das Vertrauen stilbewusster Clubgänger erwarb sie sich letztes Jahr mit der Italo-Disco-Nummer „Stuck on Repeat“. Mit ihrem Album „Hands“ droht sie es nun allerdings gleich wieder zu verspielen, indem sie die Eleganz mäandernder Giorgio-Moroder-Synthielines stumpfem Großraumdisko-Geboller unterordnet. „Ich mag es, Gefühle verschlüsselt auszudrücken“, sagt Hesketh. Wäre ja schön – wenn es funktionieren würde.
Das Stück „Symmetry“, für das sie Philip Oakey von Human League als Duettpartner gewinnen konnte, ist an sich eine Glanzleistung in Achtziger-Epigonentum. Doch gerade Oakeys Stimme verdeutlicht, was Heskeths Gesang fehlt: der Echoraum für Fantasien, den man Seele nennen könnte. Das Album ist eine konsequent durchgeführte Rechnung. Doch am Ende geht sie nicht auf. Schon in der zweiten Woche fiel das Album in England von Platz fünf auf vierzig.
Wenn Victoria Hesketh die um Aufmerksamkeit buhlende Streberin ist, dann ist Elly Jackson die coole Stilikone in der letzten Reihe, die verträumt zum Fenster rausguckt. Mit sechs drückte ihr Vater ihr eine Gitarre in die Hand, mit 12 begann sie Songs zu schreiben. Ihre Visitenkarte für die Clubs hieß „Quicksand“, erschien auf dem trendsetzenden Kitsuné-Label und verzauberte mit einem Gesang, der so überdreht klingt wie ein aufflatternder Ara oder ein mit Helium aufgepumptes Geburtstagskind. Anstelle von Heskeths Mitteilsamkeit präsentiert Jackson starke Bilder, allen voran ihre knallrote Haartolle über einem alabasterhaften Gesicht mit der aristokratischen Entrücktheit Tilda Swintons.
Die zweite (unsichtbare) Hälfte von La Roux ist der Produzent Ben Langmaid, dessen kalt peitschende Beats sich an Depeche Mode und Yazoo orientieren. Aber wehe, man steckt La Roux vorschnell in die Retro-Schublade! „Bisher wurde zu oft nur schlecht kopiert“, kanzelt die 21-Jährige das Achtziger-Revival der letzten Jahre ab. Sie sieht sich auch beeinflusst von neueren Künstlern wie Justice und The Knife, die tatsächlich die Möglichkeitsräume elektronischer Musik weit über die Achtziger hinaus vermessen haben. La Roux raffen das Material charmant auf Mainstreamtauglichkeit. Musikalisch entsteht da auch manche Redundanz.
Doch als Gesamtkunstwerk erneuern La Roux das größte Versprechen der Achtziger: die Freiheit grenzenloser Selbsterfindung. Disqualifiziert sich Hesketh im Video zur aktuellen Single „New in Town“ mit einer geschmacklosen Obdachlosen-Choreografie, so jagt Jackson in „In For The Kill“ in einem Knightrider-Wagen durch eine retro-futuristische Landschaft. „Let’s go on to make me“, singt sie und schafft damit eine clevere Reflektion über Persönlichkeit im Zeitalter ihrer digitalen Produzierbarkeit.
Für ihre Live-Auftritte verspricht Elly Jackson Keyboarder auf Leuchtkuben. Superstar-Effekte in Indie-Clubs: So muss es sein!
La Roux spielen am 6.7. im Lido und am 17.7. auf dem Melt Festival in Ferropolis
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