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Wu-Tang
© dpa

Hiphop: Im Tempel des Todes

Nach sechs Jahren macht der Wu-Tang Clan doch noch ein Album. „8 Diagrams“ ist die beste Hiphop-Platte der Saison.

Sie waren Teenager und kamen aus Brooklyn. Aus den beengten Sozialhilfe-Siedlungen, in denen die armen, kinderreichen Familien der schwarzen Unterschicht lebten. Von dort ist es ein weiter Weg für zwei 14-jährige Burschen zum Times Square und zu den anrüchigen 24-Stunden-Kinos auf Manhattans 42. Straße. Aber Robert Diggs und sein Cousin Russel Jones nahmen ihn auf sich. Und sie sahen Mitte der Achtziger „Eight-Diagram Pole Fighter“ und andere Kung-Fu-Filme, die ihnen die Augen öffneten und sie einweihten in die Geheimnisse der 36 Kammern, der Shaolin-Bruderschaften. Wie man auf der Straße einen Gegner verprügelte, lehrte sie die Martial Art aus Hongkong nicht. Zu kompliziert. Dafür aber vermittelte sie den beiden Jungs, was ein Ehrenkodex ist. Das sollte sich auszahlen.

Mit „8 Diagrams“ erscheint dieser Tage das fünfte und vermutlich letzte Album des sagenhaften Wu-Tang Clan, den Robert Diggs alias RZA, gesprochen Rizza, 1991 mit seinen beiden Cousins GZA und Ol’ Dirty Bastard als Rap-Crew aus der Taufe hob. Es rundet die Saga von den neun Kriegern, die sich zu einem Klan verbünden, mit dem Besten ab, was der Hiphop in diesem Jahr hervorgebracht hat. Lässig verschliffene Sample-Beats, pumpende Funk-Bässe, pointierte Lyrics und immer wieder wie zufällig eingestreute Gitarren-Figuren, die dem düsteren Grundton etwas Helles, Verschmitztes, betörend Nervöses entgegensetzen. Natürlich fehlen auch die Reminiszenzen ans Kung-Fu-Kino nicht, das der Wu-Tang- Truppe stets unerschöpfliche Quelle ewiger Weisheiten war: „The heart is the general“, wird einem diesmal bedeutet, das Herz sei der Feldherr, die Augen seine Späher, die Fäuste sind Pfeile und der Körper ein Bogen. Soso. Sei’s drum: Was als schrullige Begeisterung von zwei schwarzen Vorstadtkids für asiatische Kampfkünste begann und zum millionenschweren Marktimperium wurde, findet hier, da man es schon nicht mehr erwartete, noch einmal zu einem künstlerischen Höhepunkt.

Denn seit 2001 ist kein Album des Wu-Tang Clan mehr erschienen. Vor drei Jahren starb zudem mit Ol’ Dirty Bastard einer der kreativsten Köpfe des Kollektivs, über dessen musikalischen Output RZA von jeher ein eisernes Regime führte. Als die Freigabe von „8 Diagrams“ nun öfters verschoben wurde und sich seine Mitstreiter Reakwon und Ghostface Killah über ihn als „Hiphop-Hippie“ beklagten, der zu viel Gitarren einsetzen würde, musste man den endgültigen Zerfall des Klans befürchten, der immer mehr war als eine Rapper-Band.

Nämlich ein Businessplan. Schlagwörter wie Loyalität und Ehre kaschierten nur halbwegs, dass so unterschiedliche MCs wie Reakwon, Ghostface, Method Man, Inspecta Deck, U-God und Masta Killa eigentlich ihrer eigenen Wege gehen wollten. Aber als Einzelgänger hatten sie keine Chance. Erst als RZA & Co. die aufgepumpten, hormonsatten und kleinkriminellen Hasstiraden des Gangsta-Rap Mitte der neunziger Jahre um die Idee eines Mafiabundes erweiterten und einen neuen, fiebrigen und rohen Straßensound entwickelten, der angesichts seiner irren Verschwörungsemphase etwas zutiefst Verstörendes hatte, waren sie genau da, wo sie hin wollten. Die Gründung eines Modelabels war dann nur noch der nächste Schritt. Angestachelt von den wahnwitzigen Wortschwällen seiner Gefährten, bastelte RZA zwei Alben, die wegen der offensiven Verwendung von Samples, überzeichneten Erzählungen und mythischen Versatzstücken wie ein Irrenhaus der Postmoderne wirkten. „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ von 1993 und das 1997 erschienene Album „Wu- Tang Forever“ sind Klassiker des Genres.

Tatsächlich hat sich das Versprechen erfüllt: Der Wu-Tang Clan ist zur Weltmacht geworden – allerdings auch durch schiere Masse. Eine Klausel in ihrem Vertrag erlaubt es den Musikern, bei anderen Labels nach Belieben Soloplatten herauszubringen, wovon sie regen Gebrauch machten. Obwohl RZA auch diese oft produziert hat, waren sie selten Wu genug, um über den Mangel an echten Klan-Alben hinwegzutrösten. Zuletzt kamen sie dessen Veröffentlichung sogar in die Quere, wie Ghostface Killahs aktuelle CD „The Big Doe Rehab“ zeigt (Def Jam/Universal).

Heute ist Hiphop wieder in der Krise. Die Musik hat sich abgenutzt. Nichts mehr ist passiert, seit Eminem sie als weißer Ghetto-Spross für den white trash erobert hat. Hiphop ist, wie RZA lakonisch bemerkt, zu einer Spielart des R’n’B mutiert. Dagegen ist „8 Diagrams“ das Gegengift. Kein einziger Radio-Hit findet sich unter den 16 Songs, die unter Mithilfe so illustrer Gäste wie Mister P-Funk George Clinton, Sunny Valentine, Erykah Badu und John Frusciante entstanden. Die Gangart ist gemächlich, der Beat hat Swing, er zerfließt, statt sich schroff aufzurichten und in markanten Riffs zu verbeißen. Mal sind RZAs Klangkonstruktionen leicht und luftig wie in dem großartigen „Take It Back“, dann wieder schwer und wuchtig wie in „Rushing Elephants“ und „Weak Spot“. Elegisch wird es in „Life Changes“ und hypnotisch in „Windmill“. Ein rollender Bass und darüber eine verwehte, wimmernde Gitarrenfigur – das sind die Kraftfelder, zwischen denen sich der eigenartige Magnetismus dieses Albums entwickelt.

Und so hätte es auch bei „The Heart Gently Weeps“ sein müssen, geht der Song doch immerhin auf den Beatles-Klassiker „While My Guitar Gently Weeps“ zurück, der Urform des wehmütig entrückten Melodie-Fragments. Aber das wÄre zu einfach gewesen. Obwohl der Wu-Tang Clan sich der ungebrochen stoischen Weigerung der Nachlassverwalter beugen musste, Beatles-Songs für Samples frei zu geben, kam den Hiphoppern der Sohn George Harrisons zu Hilfe und erwirkte, dass das Stück zumindest nachgespielt werden durfte. So verhüllt sich der Song nun, indem die weinende Gitarre vom Piano imitiert wird. Ein Trick, ein Witz. Oder ein Komplott. Bei Wu-Tang Clan kann man nie wissen.

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