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Neues Album: Guns N’Roses: Folge deiner Illusion!

„Chinese Democracy“: Es sollte die beste Platte aller Zeiten werden. Nach fünfzehn Jahren erscheint an diesem Freitag das neue Guns N’Roses-Album. Aber hält das Werk, was die Wartezeit verspricht?

Natürlich ist der Mann eine Witzfigur. Größenwahnsinnig und ein bisschen einfältig. Seit über einer Dekade geht sein musikalischer Output gegen Null, er ist nur ein paar mal aufgetreten und hat sich mit seinen ewigen Ankündigungen des sechsten Guns N’Roses-Albums komplett lächerlich gemacht. Dessen Titel „Chinese Democracy“ war eine Steilvorlage für zahlreiche Scherze, genau wie sein Bart und die Zöpfchenfrisur.

Sicher hat Axl Rose diesen Spott verdient. Schon allein, weil er sich selbst immer so verdammt ernst nimmt. Doch wer ihn nur auslacht, macht es sich mit dem Sänger, Gründer und einzigen verbleibenden Originalmitglied von Guns N’Roses zu einfach. Der immer noch vor aggressiver Energie vibrierende 46-Jährige ist für viele Menschen eine unantastbare Ikone. Einer der letzten Rockgötter, einer, dem immer noch alles zuzutrauen ist. Es ist unvergessen, wofür dieser rothaarige Kerl aus Lafayette, Indiana, zusammen mit seiner Band Ende der Achtziger einmal stand: die letzte Blütezeit des Hardrock. Auf den Spuren von Aerosmith und Alice Cooper exerzierten Guns N’Roses die ironiefreie, machistische Sex-and- Drugs-and-Rock’n’Roll-Nummer noch einmal mit allen Schikanen durch. Ihr Debüt „Appetite for Destruction“ ist ein Klassiker, der sich weltweit 20 Millionen Mal verkaufte. Ihre frühen Shows in Los Angeles sind legendär. Doch dann beendeten Streit, Suchtprobleme und ein Haufen Holzfällerhemd-Träger aus Seattle die Party. Grunge war das neue Ding. Dagegen konnte auch der nie dagewesene Charterfolg der 1991 zeitgleich veröffentlichten Doppelalben „Use your Illusion I“ und „Use your Illusion II“ nichts ausrichten. Dieses vor Aufgeblasenheit strotzende Werk des Quintetts war der Anfang vom Ende. Die Band, deren Namensrechte sich Rose gesichert hatte, kurvte nach einer Welt-Tournee noch eine Weile auf und ab, um dann auseinanderzufallen.

Während drei seiner ehemaligen Bandkollegen 2002 Velvet Revolver gründeten und zwei passable Alben veröffentlichten, hielt Axl Rose die Hoffnung wach, er werde das ganz große Ding landen. Seine Zurückgezogenheit und die endlosen Terminverschiebungen befeuerten sie. Ein wenig erinnerte Rose an einen anderen kalifornischen Mythos: Brian Wilson, der sich mit dem legendären „Smile“-Album der Beach Boys ebenfalls völlig verzettelte. Beide Musiker verschanzten sich in Studios (bei Rose 14 an der Zahl), verschlissen eine lange Liste von Musikern und schraubten sich immer tiefer in ihren Wahn, das „perfekte Album“ aufzunehmen. Waren beim Ober-Beachboy auch Drogen im Spiel, hält sich Rose inzwischen von illegalen Substanzen fern. „Smile“ – das berühmteste „lost album“ der Popgeschichte – kam als „Brian Wilson presents Smile“ vor vier Jahren tatsächlich noch heraus, 37 Jahre nach Beginn des Projekts. Axl Rose ist somit vergleichsweise früh dran: 15 Jahre sind seit dem letzten Guns N’Roses-Werk, dem Cover-Album „The Spaghetti Incident“ vergangen. Und 17 seit dem letzten Album mit Originalversionen – damals war George Bush Senior Präsident der USA.

„Chinese Democracy“ ist nun nicht das größte Album aller Zeiten, sondern ein maßlos überkandideltes Bombast-Rock- Werk, das fast platzt in seinem Anspruch, „klassisch“ zu sein. Gleichzeitig will Rose beweisen, dass ihm neue Entwicklungen wie etwa Nu Metal nicht entgangen sind, weshalb immer wieder elektronische Spielereien zu hören sind.

Ganz klar im Zentrum stehen die Gitarren. In mindestens drei Spuren pro Song brettern sie los, riffen und gniedeln, was das Zeug hält. Fünf Gitarristen (darunter Buckethead, Robin Finck und Paul Tobias) wirkten an der Platte mit, und jeder hat seinen großen Auftritt. Soli sind Pflicht. Hier vermisst man dann Slash, den genialen Saitenquäler mit dem braunen Lockenvorhang. Gegen sein quäkiges Intro bei „Sweet Child O’Mine“ wirkt die gesamte Gitarrenarbeit auf „Chinese Democracy“ wie Phrasendrescherei.

Hits wie „Paradise City“ oder „Welcome to the Jungle“ finden sich nicht auf der Platte, in die Geffen rund 13 Millionen Dollar gesteckt hat. Ihr fehlen einfach die großen Melodien, die Guns N’Roses einmal ausgemacht haben. Symptomatisch etwa das vorab veröffentlichte Titelstück: Es stellt ein mittelmäßig originelles Vier- Akkord-Riff mit protziger Geste in den Raum, als sei es die Neuerfindung des Schießpulvers. Anschließend jault Axl Rose auf und reiht die Strophen aneinander – doch es gibt keinen Refrain! Nur Bridges, die nirgendwohin führen. Das als interessante Rockklischee-Verweigerung zu deuten, hieße allerdings, Rose zu überschätzen. Er will Größe, um jeden Preis. Das zeigen besonders die Balladen, bei denen Rose offenbar versucht hat, seinen Schmachtfetzen „November Rain“ von „Use your Illusion I“ zu übertreffen. So arbeitet etwa „Street of Dreams“ mit den gleichen Zutaten: Elton-John- Klavier, sehnsüchtige Streicher, hallige Sologitarre. Doch auch hier: keine vernünftige Hookline. Ein bisschen näher kommt Rose der Sache dann in der Sechseinhalb-Minuten-Nummer „There was a Time“, die bei aller Opulenz (Frauenchor, XXL-Gitarrensoli) endlich einmal Prägnanz und Eingängigkeit entwickelt.

Axl Rose ist gut bei Stimme und beherrscht auch sein berühmtes Kreisch-Falsett noch. Sein Gesang wird oft vervielfältigt, sodass er mit sich selbst im Chor singt. In den Texten geht es größtenteils um die Liebe, wobei er sich frauenfeindliche Ausfälle diesmal spart. Ein bisschen erwachsener scheint der notorische Hitzkopf tatsächlich geworden zu sein. Erstaunlich dezent ist auch das Albumcover: eine Schwarzweiß-Fotografie eines Fahrrads mit Korb, das an einer Wand mit Guns N’Roses-Graffiti lehnt. Den alten Fans wird das sicher gefallen, und sie werden „Chinese Democracy“ auf Platz 1 der Charts befördern. Allein schon, um zu erfahren, was der alte Rockgott die ganze Zeit getrieben hat.

Guns N’Roses: „Chinese Democracy“ erscheint heute bei Universal.

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