Die andere Seite des Superstars: Grönemeyer: Kraut und Mythen
Wie Herbert Grönemeyer mit seiner Londoner Plattenfirma Grönland deutschen Pop nach England bringt.
Der Eisbär hat seine Arbeit getan. Entspannt streckt er sich auf der Ablage aus und blickt hinab in den Raum. Das hohe Tier kommt jedem Besucher sofort bekannt vor. Es ist das Originalkostüm aus dem Video zu Herbert Grönemeyers Hit „Mensch“. In seinem zweiten Leben wurde der Eisbär Maskottchen bei Grönland-Records in London. Während Grönemeyer in Deutschland wieder die Charts anführt, entwickelt seine Plattenfirma in ihren Räumen im Szeneviertel Shoreditch die Popmusik von unten weiter. Deutsche Musik oder Musik mit deutschem Einfluss macht einen wichtigen Teil des Grönland-Repertoires aus. Künstler wie die Songwriterin Kira, die Berliner Psychedelic-Pop-Band Pet oder die Elektronik-Legende Roedelius veröffentlichen bei Grönland.
„Wir sind ein europäisches Label“, sagt der Managing Director René Renner und erzählt von der Arroganz anglo-amerikanischer Plattenfirmen, die nicht interessiere, was auf dem Kontinent passiert. Renner hat lange für EMI gearbeitet und Grönland auch zunächst in Kooperation mit dem Musikkonzern gemanagt. Jetzt ist Grönland unabhängig, ein echter Indie, eine Botschaft der europäischen Musik in der Pop-Hauptstadt London, wo Herbert Grönemeyer lebt. Angefangen hat alles mit Neu! Grönemeyer gelang, woran andere gescheitert waren: Er überredete Klaus Dinger und Michael Rother, die heillos zerstrittenen Gründer der Krautrockband Neu!, ihre drei legendären Alben aus den siebziger Jahren von 2001 an erstmals auf CD zu veröffentlichen. „Herbert hat uns verstanden, weil er selber Künstler ist“, sagt Michael Rother. Mit Neu! war Grönland in Großbritannien angekommen. „Neu! That’s what I call music“, schrieb der „New Musical Express“ und listete Fans und Schüler auf – von David Bowie über Johnny Rotten bis zu The Orb.
Gerade beschäftigte sich der NME wieder mit Neu!: „Das ist Punk, aber nicht, wie ihr ihn kennt“, schrieb das Magazin im Jahr des dreißigjährigen Sex-Pistols-Jubiläums. Beim Punk komme es auf die radikale, unabhängige Haltung an, nicht auf den Drei-Akkorde-Krach. Deshalb seien Neu!, ihr monotoner, effektgeladener Gitarrensound, ihr hypnotischer Non-Groove eindeutig Punk. „Das ist wohl so“, sagt Klaus Dinger. „Nichts liegt mir ferner“, sagt Michael Rother. Neu! lebt von der kreativen Spannung der beiden Musiker. Obwohl sie sich jahrelang über Rechte, Verträge und vieles mehr gestritten haben, kann sich Dinger vorstellen, mit Rother ein neues Album aufzunehmen. Mit Grönemeyer haben sich die beiden schon darüber unterhalten. Sinngemäß sagen aber beide, es hänge vom jeweils anderen ab, ob daraus etwas wird.
Bis es so weit ist, pflegen andere Grönland-Acts das Erbe von Neu! Zum Beispiel Fujiya & Miyagi. Die Band kommt nicht etwa aus Japan, wo Neu! auch eine große Fangemeinde haben, sondern aus der südenglischen Küstenstadt Brighton. Fujiya & Miyagi haben gerade ihr Debütalbum „Transparent Things“ bei Grönland veröffentlicht. „Warum wird solche Musik nicht in Deutschland gemacht?“, fragte Grönemeyer, als er die Band zum ersten Mal hörte. In Großbritannien hat die elektronische Schule des Krautrock mehr Anhänger als in Deutschland.
Wie kommt ein junger Mann aus Brighton auf deutsche Elektronikpioniere? David Best, der Sänger von Fujiya & Miyagi, ist ein großer Fan der englischen Band The Fall. Über deren Lied „I Am Damo Suzuki“ war er auf die Kölner Krautrockband Can und deren japanischen Sänger Damo Suzuki aufmerksam geworden. Von Can ist der Weg zu Neu! nicht weit. An dieser Musik aus Deutschland liebt Best „die Aufmerksamkeit für jedes Detail, nichts ist da, was nicht da sein muss“.
Wie auf einem Breitwandbild von Andreas Gursky ist in den Songs von Fujiya & Miyagi jedes Element gleich viel wert. Auch die Stimme ist ein weiteres Instrument. Niemand drängt sich in den Vordergrund. Der obskure Name der Band soll die Identität ihrer drei Mitglieder verwischen. Fujiya ist eine japanische Firma für Hifi-Equipment, Miyagi eine Figur aus dem Film „Karate Kid“. Der Sound der drei Briten wirkt unaufdringlich, aber dynamisch, demokratisch, aber nicht beliebig. Musik für alle, die Oasis und ihre Britpop-Nachahmer nicht für die Krönung der Popkultur halten.
Der Begriff „krauty“, der sonst bei Briten eher unangenehme Assoziationen von Sauerkraut und Bombenkrieg auslöst, ist bei Verwendung in englischen Musikkritiken unbedingt positiv zu verstehen. Als „Krauty garage psych-rock“ lobt das Londoner Magazin „Time Out“ die letzte Fall-CD. „Krauty? Das bedeutet für mich: elektronischer, repetitiver, treibender Rock“, sagt „Time Out“-Musikkritiker Chris Parkin.
Das Label „Krautrock“, das ihnen anhaftet, gefällt den strengen Individualisten Dinger und Rother nicht – darin sind sie sich sogar einig. „Ich mag solche Begriffe nicht“, sagt Michael Rother. „Ich finde den Begriff zum Kotzen“, sagt Klaus Dinger. Was wäre treffender? „Deutschrock! Hm. Klingt auch wieder scheiße.“
Ist nun Grönland das offizielle Krautrock-Label? „Time Out“ nennt Herbert Grönemeyers Plattenfirma „Krautrock-obsessed“ (von Krautrock besessen) und meint das uneingeschränkt positiv. „Ursprünglich wollten wir uns mit unserem Programm nicht einengen“, sagt René Renner. „Aber wir haben gelernt, dass wir eine Identität brauchen. Der Rapper aus Brixton, der uns vom Vorstadtleben erzählt, wäre wohl eher nicht der Richtige für uns.“ Wie der Krautrock, will Grönland mit seinem Programm langfristig wirken. „Wir sind heute nicht en vogue und morgen nicht out of fashion“, sagt René Renner. David Best drückt das etwas anders aus: „Krautrock is never not cool“, sagt der Sänger.
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