HipHop: Gil Scott-Heron: Ich bin hier nochmal neu
Beat’n’Rap: Über die Großvaterschaft des Rap gibt es keinen Zweifel. Als Ahnherr gilt unangefochten Gil Scott-Heron. Der kehrt jetzt zurück.
Auch in der Popmusik, wo alles erlaubt scheint, gibt es so etwas wie Blasphemie. Als sich unlängst der Rapper Kanye West in seinem Blog mit Gil Scott-Heron verglich, da war das nicht nur dem britischen „Guardian“ und der „New York Times“ eine Kulturnachricht wert. Selbst unter den West-Fans regte sich Unmut. Denn in der schwarzen Musik sind die Herrscherrollen klar verteilt. Die Kronen der Königsdisziplinen tragen Michael „King of Pop“ Jackson und James „The Godfather“ Brown. Darüber, wer der legitime Monarch des Rap ist, schwelt jedoch ein lange währender Streit. Über die Großvaterschaft hingegen gibt es keinen Zweifel. Als Ahnherr gilt unangefochten Gil Scott-Heron.
Seine neue Platte „I’m New Here“ ist schon deshalb ein Ereignis, weil 16 Jahre kein neues Album mehr erschienen ist. Die CD bietet die Chance, einen Künstler kennenzulernen, der hierzulande seltsam unbeachtet geblieben ist. Das liegt vermutlich daran, dass die amerikanische Bürgerrechtsbewegung eher aus der Ferne wahrgenommen wurde und auch die Spoken-Word-Tradition in Deutschland erst relativ spät als Poetry Slam ankam. In beiden Kulturen ist Scott-Heron zu Hause.
Auf der neuen Platte ist der 1949 in Chicago geborene Afro-Amerikaner ganz bei sich selbst. Sie beginnt mit einem autobiografischen Intro, und vor allem das Stück „Comin’ From A Broken Home“ entwickelt die für ihn so typische Sozialkritik aus der schwarzen Erfahrungswelt des 20. Jahrhunderts. Scott- Heron kann als ihr Kronzeuge sprechen. Die Kindheit in einer zerrissenen Familie hat er am eigenen Leibe erfahren. Der Sohn eines jamaikanischen Fußballers wuchs in den Südstaaten der USA bei seiner Großmutter auf, die er im neuen Album auf anrührende Weise besingt. Gemessen an der politischen Radikalität der frühen Jahre wirkt er geradezu gemäßigt, ins Persönliche gekehrt. Sogar einen leichten Country-Einschlag erlaubt er sich. Damals war der junge Scott vor dem Rassismus aus Jackson, Tennessee, in die Bronx geflohen.
Seine Musik war denn auch stark von urbaner Kultur beeinflusst. Früh kam Gil Scott-Heron mit der Beat-Bewegung in Kontakt. Im Unterschied zu den weißen Hipstern aus dem East-Village war er von Anfang an politisch engagiert. Noch bevor er Musik aufnahm, schrieb er Gedichte. Sein 1970 erschienener Lyrikband enthielt das Stück „The Revolution Will Not Be Televised“, das nach der Vertonung auf dem im gleichen Jahr veröffentlichten Plattendebüt zum geflügelten Wort wurde.
„Small Talk At 125th & Lennox Ave“ hieß das Album. Die Straßenecke in Harlem war dabei nicht zufällig gewählt: Hier treffen sich der Martin-Luther-King-Jr.- und der Malcolm-X-Boulevard. Genau zwischen diesen Heroen schwarzen Emanzipationsstrebens platzierte sich Scott-Heron mit seiner Sozialkritik, und auch auf den Folgealben besang er ungeschönt das Leben in den urbanen Ghettos der amerikanischen Großstädte.
Das vielfach gecoverte Funkstück „The Bottle“ rechnet mit König Alkohol ab, andere Lyrics wenden sich gegen die Macht der Drogen. Dem Kampf gegen den mächtigen Gegner Kokain schien Scott-Heron persönlich allerdings nicht gewachsen. Nach dem Album „Moving Target“, das ihn Anfang der Achtziger mit eingängigem Jazz-Funk noch einmal auf der Höhe der Zeit zeigte, kam der Absturz. Mehrere Verhaftungen wegen Drogenbesitzes, lange Gefängnisaufenthalte und seltene Konzerte, auf denen er stark von der Sucht gezeichnet erschien – schließlich wurde es still und stiller um ihn.
Das Titelstück „I’m New Here“, eine Coverversion des Indiefolk-Einmannprojekts Smog, ist daher durchaus programmatisch zu verstehen. „Turn around“, fordert er in der Unplugged-Nummer, die eher an das sanfte Geklimper der Singer-Songwriter erinnert als an die nervösen Soundgewitter des Funk. Der britische Produzent und Labelbesitzer Richard Russell soll Scott-Heron im Knast von Rykers Island zur Zusammenarbeit überredet haben.
Auf der Platte klingt Scott-Heron hörbar gealtert. Seine Stimme hat das Timbre der jungen Jahre verloren, dazu hat sich ein eigentümliches Lispeln eingeschlichen. Seiner Aura tut das aber keinen Abbruch: Der Sturm und Drang der jungen Jahre ist einer Autorität der Lebenserfahrung gewichen. Gelegentlich aber findet Scott-Heron zur alten Kraft zurück, etwa in zwei druckvollen elektronischen Titeln, die sich auch auf den Tanzflächen behaupten mögen. Dann tönt es, als wolle er den selbst ernannten Nachfolgern vom Schlage Kanye Wests zurufen: Junger Mann, mit mir ist noch zu rechnen. Was uns zu wünschen wäre.
Gil Scott-Heron: „I’m New Here“ ist bei XL Recordings/Rough Trade erschienen
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