Vampire Weekend: Eine kleine Weltmusik
Keine Angst vor großen Tönen: "Contra", das zweite herausragende Album von Vampire Weekend.
Woher Musik kommt, lässt sich heute kaum noch an ihr selbst erkennen. Akustische Topografien lösen sich im Dickicht digitaler Vernetzung auf. Das müsste man als Unübersichtlichkeit beklagen, wenn die Resultate nicht so grandios wären. Die Postmoderne, so scheint es, beschert uns ein Durcheinander kreativer Höhenflüge.
Dafür steht gleich zu Beginn des neuen Jahres das zweite Album von Vampire Weekend. Die New Yorker Band um den Gitarristen und Sänger Ezra Koenig löste mit ihrem unbetitelten Debüt vor zwei Jahren einen Trend zum Afro-Pop aus. Nachdem das Quartett, zu dem neben Koenig auch Rostam Batmanglij an den Keyboards, Chris Baio am Bass und Drummer Christopher Tomson gehören, in Songs wie „Cape Cod Kwassa Kwassa“ westafrikanische Highlife-Gitarren und Afrobeats mit dem spröden Gestus von College-Studenten verbanden, war eine Trennlinie überschritten. Plötzlich bedienten sich eine ganze Reihe von Indie-Bands, darunter Foals aus England oder Fool’s Gold aus Los Angeles, des flirrenden Busch- Sounds aus Mali, Nigeria und Ghana.
Vampire Weekend waren nie in Afrika. Sie hatten lediglich Paul Simons legendäres „Graceland“-Album von 1986 wieder ausgegraben, genau studiert und befunden, dass die dort von echten Südafrikanern gespielten Plinker-Akkorde und treibend synkopierten Rhythmen frappierend gut zu ihrem kühlen Indie-Geschrammel passen würden. Sie bauten sie im Proberaum hingebungsvoll nach, komponierten ein Cembalo und Streicher hinzu, und schon hatten sie Pole zusammengespannt, die weiter voneinander entfernt nicht sein konnten: Die sublime Formstrenge Europas harmonierte plötzlich mit dem polyrhythmischen Geflecht afrikanischer Tribalbeats. Und die für ihre Kopflastigkeit berüchtigte Rockmusik von Kunststudenten hatte Tempo und Groove.
Echt war das natürlich nicht. Wie auch? Doch statt im artifiziellen Charakter dieser globalisierten Second- Hand-Emphase den Geist der Freiheit aufzuspüren, sind die Musikmagazine und Feuilletons seither vor allem damit beschäftigt, den Dresscode der Musiker zu entschlüsseln und auf sein rebellisches Potenzial hin abzuklopfen. Ezra Koenig, Spross einer jüdischen Mittelstandsfamilie, die von jeher nur über Stipendien in den Genuss höherer Bildung gelangt, trägt Hemden mit Windsor-Kragen von Ralph Lauren oder tief geknöpfte Strickjacken. Zu dem Song „Mansard Roof“, der von den Vorzügen guter Wohnlagen erzählt, drehten sie ein Video auf einem Segelboot. In weißen Hosen. Schnell waren Vampire Weekend als Stylisten verschrien, die den bürgerlichen Ivy-League-Chic in den modisch gerade wieder verwahrlosenden Artschool-Rock trugen. Im „New Yorker“ ließen sie sich über die Semiotik des Preppy-Look aus. Und die „Village Voice“ befand: „Glückselig belesener Yacht-Punk“.
Wenn die vier Musiker ihre Instrumente in die Hand genommen hatten, um einen Unterschied in der Welt zu markieren, so war jedenfalls nicht zu sehen, welcher. Die Sache ist mit „Contra“, so der Titel des jetzt erschienenen Albums, nicht einfacher geworden. Auf ein Klangbett aus summenden Gitarren pflanzt Koenig die Bemerkung, dass es besser sei, sich nicht für eine Seite zu entscheiden. „Never pick sides/ Never choose between two“, trällert er und klingt dabei wie ein Minnesänger, der sich auf einer Blumenwiese ausstreckt. Umgeben vom Gesumm der Insekten.
Nicht erst dieser balladeske Ausklang, der von der Entfremdung von einst unzertrennlichen Geistesbrüdern erzählt, macht „Contra“ zu einer phänomenalen Platte. Weder sagen sich Koenig & Co. vom Afro-Touch als einer geschickt gewählten, taktisch wirkungsvollen Referenz los, noch genügen sie sich in der Wiederbelebung des african turn von 1980, als mit den Talking Heads schon einmal eine New Yorker Intellektuellen-Band den Afrobeat entdeckte. „Contra“ schwelgt in wild hüpfenden, durcheinanderlaufenden Rhythmen, die Gitarren plirren, Streicher schwirren wie hysterische Bienen durchs Bild und ein kongolesisches Daumenklavier versprüht den Charme des Einfachen und Handgemachten.
Gleichzeitig künden Songs wie das aufbrausende „Horchata“, das minimalistische „Taxi Cab“ oder das überkandidelte „Cousins“ von einer bis dahin unerreichten Komplexität. Einflüsse vom Reggaeton aus Puerto Rico, von Dancehall und Elektro spielen mit hinein. Und Koenig entwickelt sich in seinen Texten zum versierten Erzähler. Es macht Spaß, ihm bei dem unablässigen Bemühen zuzuhören, seinen Gedankensplittern einen vor ihm selbst verborgenen tieferen Sinn abzuluchsen. Fast immer geht es um Verlusterfahrungen, die mit der Kraft der Imagination aufgefangen werden müssen. Sei es, dass Koenig in „White Sky“ poetische Polaroids aus den Straßen Manhattans aufsammelt, oder sich in „Holiday“ die Frage stellt, ob Ferien auch gut gegen Ängste vor Krieg und Terror sind.
So abgehoben und sorglos sich Vampire Weekend auch anhören mögen, aus Zeilen wie „Every Dollar counts/ And every morning hurts/ We mostly work to live/ Until we live to work“ spricht das Bewusstsein für eine Schroffheit des Lebens, die diese wunderbar verspielte Musik nicht glätten kann. Dafür ist sie dann doch zu distanziert. Zu klug. Vielleicht ist diese Reserviertheit aber auch nur der Preis für die Indifferenz, mit der Vampire Weekend zwei so antagonistische Felder wie Indie-Rock und Weltmusik zusammenführen.
Pop war zwar schon immer ein globales Phänomen, das die Art, wie Gefühle effizient angesprochen und verstärkt werden konnten, überall auf der Welt beeinflusste. Aber dass sich das anglo-amerikanische Vokabular mit seinen Strickmustern, Stilen, Kleiderordnungen und der Vorstellung, dass alles Wichtige auch gesungen werden könne, als dominierende Emotionskultur ausbreitete, beschwor immer wieder auch Gegenkräfte herauf. Darunter Weltmusik, die auf der ethno- kulturellen Integrität und regionalen Bindung von Klängen beharrte. Sowie Independent-Rock, der zwar ebenso von lokalen Traditionen entkoppelt agiert wie Pop insgesamt. Aber skrupulöse Selbstfindung zur geistigen Weltformel erhebt. In dem Bemühen um lebensechte Musik wird so nun in Johannesburg, Portland/Oregon, Montreal oder Malmö nach demselben Muster musiziert. Vampire Weekend ist die Verschränkung beider Universen gelungen. Afrobeat riecht nicht mehr nach Dritte-Welt-Laden und Indierock nicht mehr nach Widerstand.
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