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Altrocker: Durch den Wind: Abschiedskonzert der Scorpions

45 Jahre Rock: Das Berliner Abschiedskonzert der Scorpions in der Berliner O2 World.

Diesen Abend ist viel von Rock und Rock ’n’ Roll die Rede, obwohl ein Großteil der Besucher in der gut gefüllten O2 World gar nicht danach aussieht. Nicht die üblichen Träger von bauchigen T-Shirts mit martialischen Heavy-Metal-Motiven, keine exzessiven Bierschlucker und Bratwurstverzehrer. Eher gediegene, unauffällige, vorwiegend ältere Fans sind gekommen, um vielleicht ein letztes Mal Deutschlands international erfolgreichste Band zu sehen. Die Scorpions haben 45 Jahre nach ihrer Gründung und zum Erscheinen ihres neuesten Albums „Sting In The Tail“ beschlossen, aufzuhören, verabschieden sich aber mit einer auf zwei Jahre dauernden Welttournee von ihren Fans. Also wird noch einmal der Rock ’n’ Roll beschworen, besprochen und besungen.

Die Scorpions tragen Mützen oder raspelkurze Stachelhaare, so wie Bandgründer Rudolf Schenker. Der fetzt gleich mächtig in eine seiner zahllosen Flying-V-Gitarren, während der bemützte Matthias Jabs auf der anderen Bühnenseite in eine seiner unzähligen Explorer-Gitarren drischt. Zwischendrin steht Pawel Maciwoda, mit 43 Jahren der Jüngste der Band, und schüttelt seinen Bass. Und hinten, hoch oben, wie auf dem Dach eines Wachturms knattert der Amerikaner James Kottak in sein Schlagzeug – mit zwei Bass Drums, versteht sich.

Klaus Meine trägt eine Art Zirkusuniform mit goldenen Tressen und singt: „Save me from myself before I’m going down“, ein seltsames Bekenntnis, und wieder ist vom Rock ’n’ Roll die Rede: „I think I’m gonna be a rock ’n’ roll star“.

Das aber ist er doch längst, spätestens seit den achtziger Jahren, als die Scorpions weltweit zu Superstars wurden, im Ausland immer populärer als in Deutschland. „Sting In The Tail“, der Titelsong des neuen Albums, rockt sehr schön und monoton auf einem Akkord, bis ein zweiter kommt, und auch ein zweiter Song gleich drangetackert. Wild rennt Schenker die lange Distanz von einer Bühnenseite zur anderen, und gemeinsam rennen sie alle auf den Steg, der ins Publikum hineinragt, aus dem sich hunderte Arme recken, während oben Schenker den Windmühlenflügel dreht, Jabs mit der Talk Box gurgelt und Meine unzählige Trommelstöcke an die Fans verteilt. Als Vorteil erweist es sich auch bei Meine, dass die Stimmen von Hardrock- und Metal-Sängern mit dem Alter an schriller Schärfe verlieren und nachdunkeln. „Loving You Sunday Morning“ beginnt sachte wie eine Ballade, aber dann? Rockt es natürlich. Wie auch „We’ll Burn The Sky“ zu glutrotem Himmel auf der Bühnenrückwand. Beide Songs haben die Scorpions schon 1979 bei ihrem Auftritt im legendären, winzigen Berliner Kant-Kino gespielt, wo sie damals schon ein bisschen komisch altmodisch wirkten zwischen all den anderen dort damals auftretenden Bands wie Graham Parker, Mink DeVille, Herman Brood, The Jam. Kurz darauf allerdings ließen die Scorpions alle hinter sich, über 100 Millionen Platten haben sie inzwischen verkauft. Hardrock ist ein internationaler Dauerbrenner. Die Muster sind seit Deep Purple und Black Sabbath gleich geblieben. Die Riffs wiederholen sich, zitieren sich gegenseitig, schaukeln sich hoch. Dabei sind die Ureinflüsse nicht die übelsten. In „Is There Anybody There“ steckt ein bisschen „Eleonor Rigby“ der Beatles, in „Raised On Rock“ ein verschrägtes „All Day And All Of The Night“-Riff der Kinks und in den Balladen versteckt sich immer ein wenig „Stairway To Heaven“. Alles gediegenes Handwerk auf solidem Niveau. Meine widmet dem vor kurzem gestorbenen Rainbow- und Black-Sabbath-Sänger Ronnie James Dio die Ballade „Send Me An Angel“. Eine Unplugged-Version auf dem Ende des Stegs mit dem Drummer vorne dabei, der einen Spezialstuhl beklopft wie ein Cajon. Später darf er natürlich noch das obligate Schlagzeugsolo mit vollem Besteck darbieten, während auf der Bildwand die wichtigsten Plattencover der Scorpions zu einer filmischen Coverstory verarbeitet werden.

Das einst skandalträchtige Cover zur LP „Virgin Killer“ von 1976 fehlt allerdings. Die Erfolgstory begann erst 1979 mit dem sechsten Album „Lovedrive“ und endet 1990 mit „Crazy World“. Danach verloren die Scorpions tatsächlich etwas den Faden. So kommt es nicht von ungefähr, dass die meisten Songs auf der Abschiedstournee aus den siebziger und achtziger Jahren stammen und natürlich vom neuen Album. Sogar die große Erfolgsschnulze „Wind Of Change“, die im Konzert einen angenehm rauen Ton bekommt, der sie vor Kitsch bewahrt, ist schon zwanzig Jahre alt. Vielleicht ist es doch eine gute Idee, jetzt aufzuhören.

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