Konzert: Die Zukunft von Sex
Endlich befreit vom Teeniestar-Image, endlich King Of Pop: Justin Timberlake gibt ein großartiges Konzert in Berlin
Der Vollbart steht ihm gut. Genau wie die zarten Falten, die manchmal über seine Stirn huschen. Justin Timberlake wirkt inzwischen wie ein erwachsener Mann und nicht mehr wie ein netter Bubi. Dazu trägt vor allem die Souveränität bei, mit der er seinen Auftritt inszeniert: Mühelos bespielt er alle Seiten der in der Mitte der Max-Schmeling-Halle aufgebauten Bühne. Trotz siebenköpfiger Band, vier Background-Sängern und neun Tänzern ist er immer der Mittelpunkt des Geschehens. Und selbst wenn ihm das weiße Hemd am Oberkörper klebt und die schwarzen Hosenbeine von Schweiß durchtränkt sind, sieht er noch immer lässig aus. Doch es geht dem 26-Jährigen bei dieser Tour offensichtlich um mehr als coole Optik und gutes Entertainment: Er will jetzt auch als Musiker ernst genommen werden. Deshalb spielt er immer wieder selber Keyboard, Klavier und akustische Gitarre, und gerade am Klavier schlägt er sich beachtlich.
Um das Bild vom ernsthaften Musiker zu unterstreichen, hat er seine Tanzaktivitäten deutlich zurückgeschraubt. Ein Jacko-Gedächtnis-Solo zu „My Love“ und einige Synchron-Choreografien mit seiner Mini-Compagnie müssen reichen. Es ist, als wolle Timberlake seine stark vom Tanz geprägte frühe Karriere im Mickey Mouse Club und bei der Boygroup *NSYNC endgültig hinter sich lassen. Zur Emanzipation vom sauberen Teenie-Image gehört auch der inflationäre Gebrauch des Wortes „Sex“ auf seinem zweiten Album „Futuresex/Lovesounds“, der ihm sogar einen Eltern-Warn-Sticker eingebracht hat. Doch Sexyness ist das Einzige, was man Timberlake an diesem Abend nicht abnimmt. Da ist er weit von Prince, seinem zweiten großen Vorbild, entfernt. Als sich seine Tänzerinnen zu „Damn Girl“ in Strapsen an der Bühnenkante räkeln und er eine von ihnen von hinten antanzt, ist das die einzige Peinlichkeit der Show.
Leider gleicht der Sound dem einer provinziellen Großraumdisko. Die glamouröse Klang-Brillanz von Timberlakes futuristischen R’n’B-Alben ist nur zu erahnen. Auch die Feinheiten, der zum Teil stark veränderten Arrangements verhallen an der Decke der Arena. Besonders bedauerlich ist das bei Timberlakes bester Ballade: „What goes around...comes around“ verkommt zu einem Brei.
Wie durch ein Wunder bessert sich der Sound vorübergehend, als plötzlich noch ein Sänger auf die Bühne kommt: Es ist Producer-Gott Timbaland, der maßgeblich für den Erfolg von Timberlakes zwei Solo-Alben verantwortlich war. Zusammen singen sie „Chop me up“, dann verschwindet Timberlake kommentarlos für eine Viertelstunde von der Bühne. Timbaland steht hinter einem Tastenturm in der Bühnenmitte. Er ruft, dass er die Sache jetzt mal auf ein „ganz anderes Level“ bringen wird – und das tut er. Nur unterstützt von einem MC, bringt er zum ersten Mal das komplette Publikum zum Aufstehen. Beide spielen ein kühnes Medley aus Timbaland-Songs gemischt mit Zitaten von Michael Jackson, Missy Elliott bis Coldplay.
Justin Timberlake profitiert nach seiner Rückkehr von der lebhafteren Atmosphäre und performt seinen 2002er-Tanzknaller „Rock your Body“. Auffällig selten singt er in dem für ihn sonst so typischen Falsett, das ihm früher viele Michael-Jackson-Kopie-Vorwürfe eingebracht hat. Inzwischen hat er seine Stimme gefunden - auch das zeugt von seiner gewachsenen Souveränität. Genau wie das fantastische Finale nach knapp zweieinhalb Stunden: Aus einem schmockrockigen Songende schält sich langsam das Riff der Hit-Single „Sexyback“ – gespielt von einer E-Gitarre statt vom Synthesizer. Timberlake zelebriert mit viel Power und Freude den lasziven Groove des Stücks. Spätestens jetzt ist klar: Er ist der neue King of Pop.
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