Musik: Die Stahlbaronin
Besuch in Las Vegas: Céline Dion gibt ihre Show auf – mit einem neuen Album. Im nächsten Sommer tritt die Sängerin auf die Berliner Waldbühne.
Das warme Licht, die schmeichelnde Lounge-Kulisse, der höfliche Countryrock und das helle Ding-Ding-Ding der Automaten – einen Schritt nur ins Labyrinth des Casino-Hotels Caesars Palace in Las Vegas, und es ist, als sei man in einen Wattebausch gelaufen.
Und einen Schritt weiter steht man vor den Stufen des Colosseums, wenn man sie denn findet zwischen den Spielmaschinen und blinkenden Automaten. Manchmal setzt sich Elton John hier ans rote Klavier, hingestellt aber wurde die Riesenrotunde für Céline Dion. Fünf Jahre lang trat sie in Las Vegas auf, vor 4100 Zuschauern täglich, fünfmal in der Woche. Im nächsten Monat soll Schluss sein mit der ersten Vegas-Show, die abgesetzt wird, während sie noch ausverkauft ist. Denn heute bringt die Franco-Kanadierin, die in dieser Zeit anderthalb Milliarden Dollar eingenommen haben soll, ihr neues Studioalbum heraus; nächstes Jahr folgt eine ausgedehnte Welttournee, die sie auch nach Deutschland führen wird.
Klein und zierlich ist Céline Dion, aber auch scharfkantig und aufmerksam. Sie hat sich ihren Erfolg erarbeitet, zäh und mit Fleiß. „Ich hatte nie Zeit nachzudenken“, sagt die Jüngste von vierzehn Geschwistern beim Gespräch in ihrer Las-Vegas-Suite, in der man sich verlaufen kann. Als sie 14 war, verpfändete René Angélil, heute ihr Ehemann, sein Haus und machte mit dem Geld ihre erste Platte möglich. Dion wurde eine der erfolgreichsten Sängerinnen überhaupt: über 100 Millionen Tonträger hat sie verkauft. 2003, als die Verkaufszahlen zurückgingen, unterschrieb sie in Vegas – weil sie ihrem Sohn René-Charles, damals zwei Jahre alt, statt des Wanderhaushalts einer reisenden Sängerin ein solides Zuhause bieten wollte. In Las Vegas?
„Es gibt durchaus ein normales Leben in Vegas. Wir wohnen ja nicht am Strip, sondern 35 Minuten von hier entfernt, an einem Golfkurs.“ Doch auch am Strip ist die konservative Sängerin kein Fremdkörper, sondern ein Symbol. Die Stadt der Spieler, Crooner und Gestrandeten, das Abstellgleis für Alt-Entertainer, der Ort, an dem man auch ohne Stil glamourös scheitern kann, diese Stadt verwandelt sich seit Jahren schon in einen glitzernden Themenpark. Riesige Hotels prägen das Disneyland für Erwachsene heute mit Pyramiden, Eiffeltürmen und singenden Gondolieri.
Auch Dions Show ist eine durchprogrammierte Darbietung mit viel Zutat, aber wenig Seele, Zugeständnis an einen waghalsigen Terminplan. Wenn sie im Duett singt mit einer Frank-Sinatra-Videoeinspielung, da wünscht man sich, Dion könnte die strenge Präzision, an der sie festhält wie ein unsicheres Kind, gelegentlich abstreifen für ein paar freie, ungepflegte Zwischentöne.
Tags darauf lädt Célines Ehemann zur Hörprobe ins Pure, jenen exklusiven Nachtclub, in dem Britney Spears an Silvester so tief eingeschlafen war, dass sie herausgetragen werden musste. „Célines neue Platte wird euch überraschen“, sagt er, und was dann aus den Luxuslautsprechern klingt, lässt tatsächlich aufhorchen. Auf der Suche nach dem perfekten Gefäß für ihre Stimme strebte Dion stets nach Klassizität und hing daher bis zuletzt jenem an- und abschwellenden Balladenstil an, der jedes ihrer Stücke nach einer sehr schweren Geburt klingen ließ. Selbst im europäischen Grand Prix, den sie 1988 für die Schweiz gewann, hat dieser Stil schon lange keine Lobby mehr; an ihr aber blieb er haften wie ein verschlepptes Leiden, nachdem ihre Titanic-Hymne „My Heart Will Go On“ um die Welt gegangen war. „Taking Chances“ aber, ihr neues Album, überrascht mit zeitgenössischem Frauenpop, der sie in eine Reihe stellt mit Shania Twain, Shakira oder Christina Aguilera. Doch Céline Dion, aus der Wüste zurück und die langen Haare wild auftoupiert, will Königin sein unter den Pop-Prinzessinnen.
Wenn nur das Gerücht eines neuen Albums die Runde macht, erklärt ihr Gatte, schicken Songwriter von überall ihre Lieder ein. „Jedes Mal hoffe ich auf Uptempo-Songs“, sagt Céline . „Aber sie schicken immer nur Balladen.“ Den Entschluss, das seichte Terrain hinter sich zu lassen, haben sie ihr nun aber doch abgenommen. 100 Songs kamen in die engere Wahl, 16 schafften es aufs Album. Dave Stewart (Eurythmics), Ben Moody (Evanescence) und die schwedische Hitfabrik Anders Bagge gehören diesmal zu den Erwählten, was „Taking Chances“ allerdings wie ein Best-Of-Album klingen lässt – jedes Stück ein großes Ausrufezeichen.
Als sie sich mit einer großen Poolparty bei den Mitarbeitern ihrer Show bedankt, ist das nicht anders. Alle Gäste haben in Schwarz oder Weiß zu erscheinen, Smoking ist Pflicht, Masken auch. Roter Teppich, rote Kerzen, rote Rosen weisen den Weg zum Apollo-Pool hinter dem Hotel, das Areal ist mit überdimensionierten weißen Schals verhängt. Ein Auftrittssteg liegt auf dem Wasser, im Hintergrund ein heller Bühnenaufbau. „Love“ steht da in geschwungenen Buchstaben. Céline Dion begrüßt die Gäste einzeln und im weißen Brautkleid.
Dions Gesang und ihre Karriere, die Lieder, die Show und auch diese Feier – alles gehorcht demselben unbedingten Perfektionismus. Die Anstrengungen der letzten Jahre haben ihrem Gesang Schärfe gegeben. Stahl war schon immer darin. Nun aber ist der Samt fast ganz verschwunden.
„Taking Chances“ von Céline Dion erscheint heute bei SonyBMG. Die Sängerin tritt am 12. Juni in der Waldbühne auf.
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