Konzertkritik: David Byrne: Das beste Talking-Heads-Konzert ohne Talking Heads
Ein Abend für‘s Guinness-Buch der Rekorde: Bei David Byrnes Konzert im Tempodrom wurden gefühlte Bestleistungen aufgestellt.
Zum Beispiel der ekstatischste Jubel in Relation zur Größe des Publikums: Die vielleicht 2000 Zuschauer veranstalten einen Lärm wie sonst höchstens drei- bis viermal so große Auditorien. Oder die maximale Übererfüllung hoher Erwartungen: Angekündigt sind „Songs of David Byrne and Brian Eno“. Byrne war aber vor allem Sänger und Songschreiber der Talking Heads. Man kann anhand der Altersstruktur davon ausgehen, dass ein Großteil des Publikums aus ehemaligen Talking-Heads-Fans besteht. Doch selbst Optimisten dürften kaum erhofft haben, dass Byrne mehr als die Hälfte des zweistündigen Auftritts mit Songs seiner alten Gruppe bestreitet. Seine aus vier Instrumentalisten und einem dreiköpfigen Backgroundchor bestehende Begleitband stellt die Klassiker zudem so souverän in die Gegenwart, dass selbst Nostalgiker nichts zu murren haben.
Der Reihe nach: Wie die Band komplett in Weiß gewandet, richtet Byrne, ganz der zerstreute Ostküsten-Intellektuelle, erst ein paar linkische Sätze ans Publikum. Nach dem Opener „Strange Overtones“, einem Gospel-Blues, der viel strahlender als auf Platte wirkt, wird das Tempo angezogen: „I Zimbra“ ist eines der zeitlosen Afro-Funk-Wave-Monster vom 1980er Talking-Heads-Meisterwerk „Remain in Light“. Drei junge Tänzer betören mit humorvollen Choreografien, die die ganze Band einbeziehen. Zwischendurch wird das Energielevel noch mal runtergefahren, doch ab dem fiebrigen, von Byrnes britzelnder Gitarre zersäbelten „Born under Punches“ hält es niemand mehr auf dem Sitzen. Enthemmte Fortysomethings tanzen die wilden Tänze ihrer Jugend, junge Menschen wetteifern mit gleicher Emphase.
David Byrne ist der perfekte Entertainer. Mit einer Mischung aus gespieltem Irrsinn, Disziplin und spätjugendlichem Charme zieht der 56-Jährige das Publikum in seinen Bann. Als Sänger, dessen Stimme zwischen Hysterie und Schmelz oszilliert, ist er sowieso eine Klasse für sich, aber auch seine Gitarrenkünste sind beachtlich. Das Motto des Abends interpretiert er locker. Fällt das hymnische „Once in a Lifetime“ noch unter die Vorgabe des Titels, so war Eno bei älteren Talking-Heads-Stücken wie „Heaven“, „Life during Wartime“ oder dem Al-Green-Cover „Take me to the River“ nur als Produzent tätig.
Schließlich spielt Byrne sogar „Burning down the House“: der größte Hit der Talking Heads, ganz ohne Eno. Völlig egal, denn bei einer guten Party darf man auch irgendwann auflegen, was man will. Nach diesem Wir-drehen-alle-durch-Höhepunkt erjubelt sich das Publikum eine dritte Zugabe. Byrne, sichtlich gerührt, schickt einen mit der weltumarmenden, geschmeidig schnurrenden Ballade „Everything that happens“ in die Nacht hinaus. Ohne die Talking Heads wären die frühen Achtziger nicht zum Aushalten gewesen. Ihr ehemaliger Frontmann schenkt Berlin ein fantastisches Konzert. Das beste, das die Talking Heads nie gegeben haben. Ganz großes Dankeschön, für damals und für heute!
Jörg W, er