Musik: Das Lied von der schwarzen Gitarre
Hip-Hop ist tot, heißt es. Dabei zeigen neue Alben von Blakroc, Rihanna und Kid Cudi, was alles möglich ist.
Als vor drei Jahren der New Yorker Rapper Nas erklärte, Hip-Hop sei tot, war das ein geschickter rhetorischer Kniff, auch in eigener Sache: Nas konnte sich so gleichermaßen als Totengräber wie als gutes Gewissen des Genres präsentieren. So beschwor er auf seinem damaligen Album die goldenen Zeiten, da Hip-Hop das ideale Medium für die Erzählungen aus den heruntergekommenen Vierteln mit überwiegend schwarzer Bevölkerung war, da ein Plattenspieler, eine Beatbox und ein Mikrofon für ein gutes Album reichten, da das Genre noch nicht durch und durch kommerzialisiert war.
Nicht zuletzt aber ist „Hip-Hop is Dead“ eine Formel, die man von anderen Spielarten von Pop kennt. Insbesondere Rock ’n’ Roll ist in den letzten fünfzig Jahren regelmäßig für tot erklärt worden, nur umso glänzender Wiederauferstehungen feiern zu können. Insofern markiert die kokette Bedenkenträgerei eines Nas nur den Reifeprozess eines im Vergleich zur Rockmusik viel jüngeren Genres.
Tatsächlich scheint Hip-Hop ästhetisch, in Sachen Produktionsdesign, zu einem vorläufigen Höhe- oder Endpunkt gekommen zu sein, nachdem Produzenten wie die Neptunes und Timbaland ihre Cyber- und Pünktchenbeats, ihre Verbindung von hoch komplexen Synkopierungen mit eingängigen Melodien in den letzten Jahren wie vom Fließband rollen ließen. Damit beglückten sie auch weiße Superstars wie Justin Timberlake und Madonna.
Hört man sich jedoch aktuelle Hip-Hop-Produktionen an, deren Veröffentlichungstermine aus kommerziellen Erwägungen inzwischen geballt in die Vorweihnachtszeit gelegt werden, dann überrascht vor allem die Vielfalt des Hip-Hop und seines Nachbargenre R&B, ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen, ihr Liebäugeln mit anderen Genres, insbesondere Rock, aber auch Dubstep, Elektro oder Märchenpop. Zu den üblichen Verdächtigen wie Jay-Z und Kanye West gesellen sich diesen Winter wieder ein paar Rapper und eine R&B-Sängerin, die aus dem Umkreis der Genannten kommen oder von ihnen entdeckt worden sind, wie die 21-jährige Rihanna und der 25-jährige Kid Cudi. Oder solche, die sich schon immer auf einem anderen Planeten des Genres befunden haben, wie die nicht mehr ganz so jungen 50 Cent und Wu-Tang-Clan.
Sie alle stehen für unterschiedlichste Hip-Hop-Modelle. Und sie alle bringen auf unterschiedlichste Weise ihre Biografie in die Musik mit ein – ein Element, das den Hip-Hop seit seinen Anfängen mitkonstituiert, gerade im Unterschied zum gängigen weißen Mittelschichtsrock. So gibt es aktuell also den Newcomer mit seiner zu Herzen gehenden Familiengeschichte, Kid Cudi, der nach dem Krebstod seines Vaters im Alter von 11 Jahren begann, Songs zu schreiben. Dann den Gangster mit seiner nicht gerade zu Herzen gehenden, aber erfolgreichen Gangstermasche, 50 Cent. Dann die scheinbar gelangweilten Altmeister, die sich lieber mit anderen Musikern zusammentun und andere Sounds ausprobieren, wie der Wu-Tang-Clan und Mos Def.
Und schließlich gibt es noch Rihanna, die nach ihrem 2007er-Überhit „Umbrella“ die vielleicht weltumspannendste Pop-Figur aus den Genres Hip-Hop und R&B ist. Rihanna wurde im Alter von 16 Jahren entdeckt und hat mit „Rated R“ (Defjam/Universal) gerade ihr viertes Album veröffentlicht. Doch auch in Sachen Image-Building hat sie schon einige Phasen durchlaufen, von der Pop-Prinzessin ohne besondere Eigenschaften (höchstens viel Ehrgeiz, nicht ganz so viel Talent) über das „Bad Girl“ hin zum überdrehten Sex-Monster, als das sie sich im Booklet zu „Rated R“ inszeniert – in Stacheldraht gewickelt, mal in S&M-Posen, mal als Cyber-Figur. Im richtigen Leben wurde Rihanna zuletzt selbst zum Opfer männlicher Gewalt, als ihr junger R&B-Kollege und Ex-Freund Chris Brown sie bei einem Beziehungskrach übelst zurichtete und ein Foto ihres ramponierten Gesichts um die Welt ging. Eine traurige Angelegenheit, die Rihanna aber nun zusätzlich feministische Glaubwürdigkeit verschafft und ihrem Album mit seinen zum Teil düsteren, bohrenden Stücken die besondere, bei aller Künstlichkeit trotzdem authentische Note verleiht. Vermutlich noch verstärkt werden soll diese Note durch bratzende Schweinegitarren in so manchem Track, insbesondere in „Rockstar 101“, wo Rihanna von Guns ’n’ Roses-Gitarrist Slash unterstützt wird. In diesem singt sie, ihrem Auftrag als selbsternannte sexy Postfeministin entsprechend: „I never play the victim/I'd rather be a stalker“. Darin singt sie aber auch: „The only thing I missing/Is a black guitar“.
Diese spezielle Versöhnung von schwarzer Musik und Rock ist natürlich auch ein Griff in die Mottenkiste des Pop: Von Run DMC (mit ihrem Album „King of Rock“ oder mit dem Aerosmith- Cover „Walk This Way“) in den achtziger Jahren über den Soundtrack zu „Judgement Night“ (wofür 1993 Alternative Rocker und Rapper jeweils einen Song zusammen einspielten) bis zu der jüngsten Kollaboration von Jay-Z mit U2 vor dem Brandenburger Tor gibt es da inzwischen eine ganze Ahnenreihe. Das kann man als Rückeroberungsszenario deuten, als Rache dafür, dass sich der Rock ’n’ Roll einst so schamlos bei der schwarzen Musik bedient hat. Und als Sehnsuchtsfantasie, so wie bei Rihanna, die in ihrem Stück beschwört: „Oh Baby, I’ m a rockstar“.
Diese Rap-Rock-Verbindung lässt sich aber auch locker und ohne popdiskursiven Überbau handhaben, so wie es Mitglieder des New Yorker Hip-Hop-Kollektivs Wu-Tang-Clan und ein paar andere Rapper demonstrieren, die sich mit den zwei jungen weißen Musikern von den Black Keys zusammengetan und ein Album unter dem beziehungsreichen Namen „Blakroc“ (V2/Universal) eingespielt haben. Schlurfiger wie hier hat der Blues lange nicht geklungen und damit seine Verwandtschaft zur Hip-Hop-Kultur offengelegt. Angenehm verschlafen und neben der Kappe rappen die MCs zum verhalten krachigen Gitarren- und Schlagzeug-Spiel der Black Keys.
Gerade der Wu-Tang-Clan interessiert sich auch für diverse andere Popspielarten, erscheint doch in diesen Tagen auch ein Album, das Wu-Tang-Rapper mit britischen Dubstep-Musikern eingespielt haben, „Wu Tang Meets the Indie Culture, Vol.2“ (Groove Attack). Der Gangster-Rapper 50 Cent dagegen bleibt mit seinem lang erwarteten, immer wieder verschobenen Album „Before I Self Destruct“ (Interscope/Universal) streng bei seinen Leisten. Zu den ewig gleich schlichten und dumpfen Beats erzählt 50 Cent die ewig gleich schlichten und dumpfen Geschichten von Mord und Totschlag – ein Album, das ästhetisch und stofflich aus der Zeit gefallen und höchstens für Puristen interessant ist.
Für solche Hip-Hop-Liebhaber, die mit einem Neuling wie Kid Cudi nichts anzufangen wissen, weil dieser nicht von Drogenhandel und Drive-By-Shootings rappt, sondern Gefühle und Liebeskummer in den Mittelpunkt seiner Musik stellt. „Man On The Moon: The End Of Day“ (Universal) heißt Kid Cudis Debütalbum, auf dem sich Indierock- und R&B-Einsprengsel genauso finden wie Elektropop- und Dance-Einflüsse. Manchmal fühlt man sich hier wie in einer Märchenwelt, aus der erst wieder die kühlen Synthieläufe von Stücken wie „Enter Galactic“ oder die Clubversion von „Day ’n’ Nite“ herausführen. Kid Cudi schiebt die Grenzen des Hip-Hop ganz weit in die Regionen von Pop, und dessen Totenglöckchen ist bekanntermaßen noch nie geläutet worden.
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