Band-Porträt: Dakota Days: Voodoo in Zeitlupe
Im Tourbus freundeten sich Ronald Lippok und Alberto Fabris an. Im Schlafzimmer der Oma nahmen sie ein tolles Album auf. Jetzt treten Dakota Days zum ersten Mal in Berlin auf.
Okay, niemand hat erwartet, dass eine entfesselte Käuferschaft ihre CD stapelweise aus den Elektromärkten tragen würde. Aber ein bisschen mehr kommerzielle Resonanz hatten sich Ronald Lippok und Alberto Fabris schon erhofft, als sie im Mai das unbetitelte Debütalbum ihres Bandprojekts Dakota Days veröffentlichten. Immerhin ist Ronald Lippok als Mitglied der in Indie-Kreisen international beachteten und bestens beleumundeten Bands To Rococo Rot und Tarwater kein Unbekannter. Und auch von Alberto Fabris dürften Szenekenner als zeitweiligen Mitstreiter von John Zorn oder John Lurie schon gehört haben.
Doch nada, niente: „Alberto war im Sommer im Rough Trade Shop in London, und nicht mal dort hatten sie unsere Platte“, erzählt Lippok – und das, obwohl sie mit einer Jubelrezension in „The Wire“ bedacht wurde, dem Fachblatt für elektronische Avantgarde. Auch in Deutschland ist das Debüt von Dakota Days ein Nischenprodukt. Ein bekanntes Internetkaufhaus listet die CD auf Platz 82 285 seiner Verkaufscharts und mahnt: „nur noch fünf Stück am Lager – jetzt bestellen.“
Derzeit sind Dakota Days dabei, den Vertrieb neu zu organisieren, wobei Ronald Lippok ihre Mailänder Plattenfirma ausdrücklich von Kritik ausnehmen möchte: „Titti Santini von Ponderosa war der Erste, der uns unbedingt auf seinem Label haben wollte. Also haben wir das gemacht.“ Ohnehin ist Norditalien bislang eher die künstlerische Heimat einer Band, die in Berlin beim Summerize Festival in der Kulturbrauerei erstmals begutachtet werden kann. „Wir hatten schon ein paar Auftritte in Italien. Das bot sich an, weil nicht nur Alberto und unser Tour-Gitarrist Andrea Rabufetti von dort kommen, sondern auch Dodo NKishi von Mouse On Mars, der bei allen Konzerten Schlagzeug spielt, zurzeit in Mailand lebt.“
Der Sound von Dakota Days hat sich während der Proben hörbar gewandelt: „Wir haben eine Woche in Mailand geübt, die Songs sind dabei viel offensiver, direkter geworden. Ich habe jahrelang nicht mehr in einer richtigen Rockband gespielt – es muss sich ungefähr so angefühlt haben“, meint Lippok, dessen auf Kompaktkassetten und Amateurvideos dokumentierte Rockvergangenheit als Mitbegründer der legendären DDR- Punkbands Rosa Extra und Ornament & Verbrechen tatsächlich im Dunkel einer fast vergessenen Ära liegt.
Man darf die Transformation der Songs mit Spannung erwarten, denn auf Platte sind Dakota Days ähnlich weit von Rock oder gar Punk entfernt wie es 1975 Brian Enos LP „Another Green World“ von den ersten Aufnahmen der Ramones war. Neben dem bittersüßen Spätwerk von Velvet Underground und der Unbefangenheit des jungen Jonathan Richman ist Enos zartes Artpop- Meisterwerk eine der Referenzen, die einem beim Hören von wunderbaren Songs wie „Planet Of The Apes“ oder „Without A Stone“ einfallen. Und das nicht nur wegen Ronald Lippoks schwebendem, von jeder Körperlichkeit befreiten Gesang, der bisweilen an den Roxy-Music-Dissidenten erinnert.
Was nicht nur auf Gegenliebe stößt: So charakterisierte ein russischer Interviewer die Vocals des 47-Jährigen als seelenlos, bezeichnete ihn als Mann ohne Eigenschaften. Dabei ist der nichtexpressive, sich den Emotionalisierungsritualen des Rock verweigernde Gesangsstil Teil einer Traditionslinie in der elektronischen Musik. „Gerade jemand wie ich, der kein geborener Sänger ist, muss seinen Stil finden. Ich sehe meinen Gesang eher als Ordnungselement, das bewusst viel Raum für andere Sachen lässt.“
Aus der unangestrengt mäandernden, dabei niemals ziellosen Musik von Dakota Days glaubt man den Entstehungsprozess herauszuhören. Ronald Lippok und Alberto Fabris lernten sich kennen, als sie mit dem italienischen Starpianisten Ludovico Einaudi auf Europatournee waren. Als Percussionist (Lippok) und Keyboarder (Fabris) waren sie Mitglieder seiner Liveband und verbrachten viel Zeit im Tourbus: „Wenn du so eng aufeinanderhockst, fängst du an, dich über alles Mögliche zu unterhalten. Dabei haben wir gemeinsame Vorlieben entdeckt, etwa dass wir beide den slicken Softrock von Fleetwood Mac sehr schätzen.“
Nachdem Fabris ihm erzählt hatte, dass er sich im ehemaligen Schlafzimmer seiner Großmutter ein kleines Studio eingerichtet hatte, idyllisch gelegen im Dörfchen Comerio am oberitalienischen Lago di Varese, war Lippok begeistert von der Idee, dort aufzunehmen. Was als Solo-Ding gedacht war, entwickelte sich bald zum Gemeinschaftsprojekt: „Wir hatten gar nicht vor, eine Band zu gründen, aber es hat so viel Spaß gemacht, die Songs auszuhecken und nachts im Regen um den See zu fahren und die neuen Sachen im Auto anzuhören, dass das eine Eigendynamik bekam“, so Lippok.
Überhaupt sei das Arbeiten im ländlichen Refugium ganz anders gewesen als erwartet: „Früher hatte ich immer einen Horror, wenn ich von Bands gehört habe, die zum Aufnehmen aufs Land ziehen: Man hockt den ganzen Tag zusammen und kann sich auch abends nicht aus dem Weg gehen.“ In Comerio aber, wo Lippok ein improvisiertes Nachtlager neben dem Schlagzeug beziehen musste, wirkte sich nicht nur die Konzentration aufs Wesentliche, sondern auch die zeitliche Begrenzung der Sessions produktivitätssteigernd aus: „Wir hatten uns nur drei Wochen von anderen Verpflichtungen frei gemacht, und in dieser Zeit ist das ganze Album entstanden. Morgens hatten wir nichts als eine vage Idee, abends oft einen fertigen Song. Selbst die Texte habe ich zwischendurch geschrieben – wie in einer Eremitenzelle.“
Im Sog der Abgeschiedenheit kommt man dann auch auf schräge Ideen. Etwa die, nicht nur eine Zeitlupen-Voodoo- Coverversion von Kylie Minogues Discohit „Slow“ auf die Platte zu nehmen, sondern auch eine freie Assoziation auf die Titelmelodie der TV-Serie „Loveboat“, entdeckt auf einer angestaubten CD aus Alberto Fabris’ Altbeständen.
Letztlich sind es aber doch die heimischen Großstädte – Mailand für Alberto Fabris, Berlin für Ronald Lippok –, die den Musikern entscheidende Inspirationsquellen bieten. „Ich gehe nicht mehr oft tanzen, aber gern in Läden wie das 8 mm, wo man immer spannendes Zeug zu hören bekommt. Sachen, die man vor vielen Jahren mal in anderen Zusammenhängen gehört hat oder welche, die man gar nicht kennt. Es ist toll, wenn gerade junge Leute so eine Art von Musikarchäologie betreiben, die einen neue Sachen entdecken lässt.“
Dass er immer noch vom Musikmachen leben kann, hält Ronald Lippok für ein Privileg, wobei die Erträge aus Plattenverkäufen schon länger nicht mehr ausreichen. Doch durch ordentlich honorierte Aufträge für Hörspiele, Theatermusik und Filmsoundtracks bleibt das Multitalent gut aufgestellt und kann sich schrullige Nebenprojekte wie Dakota Days leisten. Ein Segen, denn sonst wäre uns eine der schönsten Platten des Jahres entgangen. Jörg Wunder
KONZERT: Do 9.9., 21.30 Uhr, Kulturbrauerei, Kesselhaus
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