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Konzertkritik: Chef, ahoi!

Die Gorillaz geben ein fantastisches Konzert im Berliner Velodrom - es ist das erste in der Stadt und der einzige Deutschland-Auftritt der Band überhaupt.

Nun hat das Versteckspiel ein Ende. Damon Albarn tritt zum ersten Mal vor die Comicfiguren, die seit neun Jahren und drei Alben für ihn die Pop-Band Gorillaz darstellen. Murdoc, Noodle, 2D und Russel dürfen aber natürlich trotzdem mitmischen beim ersten Berlin-Konzert und beim einzigen Deutschland-Auftritt der Band: Auf einer riesigen Leinwand im Bühnenhintergrund flimmern die bekannten Videos sowie allerlei neue Abenteuer des Chaoten-Quartetts – gezeichnet von Gorillaz-Miterfinder Jamie Hewlett.

Zu Beginn darf Snoop Dogg sich formatfüllend auf dem Bildschirm ausbreiten. Ausgestattet mit Fernrohr und historischer Kapitänsuniform, nuschelt er den Text von „Welcome to the Plastic Beach“. Er wird jedoch sogleich übertrumpft von der achtköpfigen Bläsergruppe am linken Bühnenrand, die das normalerweise von einem Keyboard gespielte Signatur-Motiv mit einer irren Macht in den Raum knallt. Damon Albarn hält sich derweil noch im Hintergrund, erst beim zweiten Song tritt er gut gelaunt an den Bühnenrand. Dort bleibt er nicht lang allein, denn schon für „Stylo“ – die erste Single vom aktuellen Album „Plastic Beach“ – übernimmt Bobby Womack das zweite Mikrofon.

Überhaupt ist die Gästeliste spektakulär: Für „Kids with Guns“ kommt Neneh Cherry auf die Bühne des nicht ganz ausverkauften Velodroms. Ihren eher kleinen Part („Push it real, push it real“) peppt sie mit einem kleinen Hüpftanz und einer Schrei-Einlage im lärmigen Finale auf. Anschließen sind die Hip-Hop-Urgesteine von De La Soul wieder da, die schon im Vorprogramm mit einer tollen Old- School-Performance begeistert haben. Es würde nicht mehr verwundern, wenn sich auch noch Lou Reed ins Geschehen einmischen würde – schließlich singt er ja das wunderbare „Some Kind of Nature“ auf der neuen Platte. Doch so weit geht es dann doch nicht mit der Starparade.

Ganz unauffällig läuft hingegen eine musikhistorische Mini-Sensation ab: Die Hälfte von The Clash steht hier auf der Bühne – fast 25 Jahre nach dem Ende der legendären Band. Links an der Gitarre Mick Jones, rechts am Bass Paul Simonon, dem ständig der Gurt vom Instrument abreißt. Das hält den berühmtesten Bass-Zertrümmerer der britischen Rock- Geschichte aber nicht davon ab, all die fantastischen Licks zu spielen, die für den Gorillaz-Sound so zentral sind.

Die beiden Clash-Männer tragen – genau wie die sieben Streicherinnen – weiße Uniformmützen zum maritimen Outfit. Jones sieht in seinem Anzug aus wie der erste Offizier und Simonon mit seiner Lederjacke wie der Maschinist. Als fröhlicher Schiffsjunge im schwarz-rot gestreiften Shirt springt Albarn zwischen ihnen umher und freut sich über den Trubel an Bord. Auf Deutsch kündigt er die nächsten Gäste an: Das Syrische Nationalorchester, das ein Intermezzo auf traditionellen Instrumenten spielt und dann bei „White Flag“ auf zwei Rapper trifft. Das fügt sich erstaunlich gut zusammen wie der gesamte Abend. Es ist eine genre- und kontinenteüberspannende Kaperfahrt, die das derzeit kreativste Genie der westlichen Pop-Welt im vorläufigen Zenit seines Schaffens zeigt. Seine Zeit als Frontmann der Brit-Pop-Helden Blur erscheint plötzlich unendlich weit weg.

Wie Damon Albarn vom Spaßsong bis zum ergreifenden Duett mit Little Dragon (inklusive Kniefall) einfach alles überzeugend hinbekommt, das ist schon beeindruckend. Noch dazu geht der 42-Jährige mit einer ansteckenden Leichtigkeit und Freude zu Werke. Die rund hundert Konzertminuten vergehen rasend, was auch an der geschickten Dramaturgie liegt. Fällt die Spannung bei einem melancholischen Stück wie „Broken“ für einen Moment lang ab, wird sie anschließend sofort wieder von einem Hit wie „Dirty Harry“ emporgezogen.

Den Zugabenteil beschließen die Gorillaz mit dem Gospel-trifft-Reggae von „Demon Days". Die Comicfiguren auf der Leinwand werden in bunten Kirchenfenster-Tableaus gezeigt, die Schweinwerfer simulieren einfallendes Licht. Ja, dieser muntere Schiffsgottesdienst war der perfekte Sonntagsausklang.

Nadine Lange

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