Plattenkritik: Britney Spears: Zeig’ mir deine Kniestrümpfe
"Mama, ich bin in einen Kriminellen verliebt", singt die bald 30-Jährige. Ein bisschen brav, ein bisschen keck: Britney Spears und ihr Dance-Pop-Album "Femme Fatale".
Erst mal hören, was sie selbst sagt: „Starke Tanzplatte ... Clubtunes ... Musik, die man vor dem Ausgehen im Auto anmacht ... definitiv mein schärfstes und erwachsenstes Album ... revolutionäre Sounds, die man noch nirgendwo gehört hat ... drückt aus, wo ich heute als Frau stehe ... hat sich aus mir heraus entwickelt ...“ Das twittert Britney Spears, die kleine Blonde mit den vielen Psychoproblemen, mit den Glatzenbildern, den fehlenden Slips und dem Ärger mit dem Vormundschaftsgericht. Eine Femme Fatale eben, so heißt auch ihr neues, siebtes Album. Sie findet es besser als das vorhergegangene „Circus“, eher so wie das vorvorletzte Album „Blackout“, auf dem sie Pharell Williams vom erfolg- und talentreichen Produzententeam „The Neptunes“ mitmachen ließ und fast alles in die Hände von Timbaland-Kumpel Nate „Danja“ Hills legte. Der hat auch bei „Femme Fatale“ wieder mitgemischt.
Man kann in diesen Anstrengungen und Ankündigungen auch den verzweifelten Versuch sehen, doch noch einmal eine Linie in die einst so viel versprechende Karriere zu ziehen. Britney Spears hatte 180 Millionen Tonträger verkauft, sie galt bereits als Madonnas legitime Nachfolgerin. Dann der Absturz. Drogen und Alkohol, Spears ließ sich in einem Frisiersalon in L. A. eine Glatze rasieren, wurde in eine Reha-Klinik eingewiesen, verlor das Sorgerecht für ihre Kinder. Seit 2008 arbeitet sie nun daran, als Musikerin wieder ernst genommen zu werden.
Sie versucht es mit Clubsounds. Beim Hören blitzt einem die Lightshow in die Augen, dazu hopsen kleine Mädchen in Paillettenminikleidern und kurzhaarige Jungs in weißen T-Shirts durch die Großraumdisco. Die Singleauskopplungen „Hold It Against Me“ und „Till the World Ends“, die in der gleichen Tonart ineinanderwabern wie von einem DJ zusammengemischt, wummern mit ihrem straighten Up-Beat sicher bereits durch diverse Fitnessstudios. Bei beiden hat Max Martin mitgeschrieben und -produziert, der bereits an Britneys legendärem Debütalbum „... Baby One More Time“ beteiligt war. Bei fast jedem Song war zudem der New Yorker Musiker und Produzent „Dr. Luke“ Gottwald dabei, der auch für Katy Perry und Pink arbeitet. Bewährte Kräfte sollen den gefallenen Star wieder in die Top Ten bringen.
Die Platte ist eine einzige glitzernde, elektronisch stark verfremdete, oberflächliche Dance-Sause, aus der ein paar Songs herausstechen, wie das merkwürdig spießige, auf eine Flötenmelodie gesungene Schlussstück „Criminal“. Es enthält die Zeilen „Mama I’m in love with a criminal / and this kind of love isn’t rational, it’s physical / Mama please don’t cry I will be alright“, bei denen Brit offensichtlich vergessen hat, dass sie ja in diesem Jahr 30 wird. Das erinnert an den Anfang ihrer Karriere, als es große Verwirrung über ihr wahres Alter gab. Mit den „revolutionären“ Sounds dagegen könnte Britney Spears die lustige Toncollage bei „How I Roll“ meinen, deren Rhythmus aus elektronischen Stör- und Rückkopplungsgeräuschen zusammengebastelt ist. Wenn ihre glattgemischte, tausendfach gedoppelte, mädchenhafte Roboterstimme nicht zum wiederholten Mal übers Tanzen singen würde, dann wäre das ein irgendwie interessantes Stück Musik.
Auf „Circus“, dem Vorgänger von „Femme Fatale“, hatte Spears noch selbst mitgeschrieben. Vielleicht war es auch wieder nur Getwitter, aber sie erzählte oft von einem Klavier, an dem sie eigenhändig Songs komponiert habe, vier davon sind auf „Circus“ zu finden, bei denen ihr Name – neben anderen – in den Credits gelistet ist. Bei „Femme Fatale“ wurde sie vermutlich erst zum Einsingen gerufen und konnte danach wieder gehen, mal ihre Kinder treffen, sich über ihre Exfreunde, den erfolgreichen Südstaatenbeau Justin Timberlake und den Hirni Kevin Federline ärgern, Parfum erfinden, eine Entziehungskur machen oder was Leute, die all zu jung Opfer eines übersteigerten Medieninteresses wurden, sonst so in ihrer Freizeit treiben. Währenddessen schmirgelten die Produzenten die Songs zurecht, fügten Lady-Gaga-Ideen und Eminem-Beats hinzu und pumpten den Bass hoch, damit zu den Millionen verkaufter Britney-Alben noch ein paar dazukommen.
Statt per Nervenzusammenbruch oder Drogen-Eskapaden aus dem Popzirkus auszubrechen, hat Britney Spears sich diszipliniert und in die Rolle der Hitmaschine gefügt. Dabei glaubte man 2007 bei dem etwas wackeligen Comeback- Auftritt bei den MTV- Awards noch, dass sie vielleicht auch Abgründe hat. Dass sie irgendwann genug haben würde von dem Sexy-Schoolgirl- mit-Kniestrümpfen-Appeal und den blöden Geschichten über ihrer Jungfräulichkeit, die sie angeblich bis zur Hochzeitsnacht retten wolle. Das verklemmte Amerika liebt solche Stories, und Britney Spears hört nicht auf, sie zu produzieren. Auch auf „Femme Fatale“ singt sie wieder „Show your knee socks“, „Wanna taste forbidden fruit“ oder „If you want my love / you can find it on the dancefloor“. Kein Wort über irgendetwas von Belang. Warum erzählt sie nicht von den Dramen, die sie erlebt hat? Wie ihre Kollegin Rihanna, die von ihrem Prügelfreund sang.
Dabei bemüht sich Spears durchaus um Normalität. Sie fällt schon seit Monaten in der Öffentlichkeit nicht mehr aus der Rolle, geht ganz nüchtern mit dem Freund zum Baseballtraining ihres Sohnes, zieht sich Gummilatschen an, wenn sie öffentliche Toiletten aufsucht. Denn eine der vielen irren Meldungen über Britneys angebliches Fehlverhalten drehte sich darum, dass sie barfuß aus einem stillen Örtchen taperte und dabei fotografiert wurde. Das Bild zog Kreise, von Fußfetischistenseiten über Barfußdogmatiker bis hin zum angeekelten Normalo-Amerikaner.
Klatsch dieser Art überdeckt häufig die Musik. Britney ist als Person nicht so kompromisslos wie Lady Gaga, stimmlich nicht so ausgebufft wie Pink. Einen Song wie die immerhin in Ansätzen gesellschaftskritische Linda-Perry-Produktion „Beautiful“ von Christina Aguilera hat sie nicht im Repertoire. Ihre Skandälchen konnte sie nie zu ihrem Vorteil nutzen, sie litt lediglich darunter. Und die Jüngste ist sie – im schnelllebigen Popgeschäft – auch nicht mehr. Mit der Never- change-a-winning-team-Strategie von „Femme Fatale“ ist Britney himmelweit entfernt von ihrem Vorbild Madonna, die sie auf der Bühne einmal küssen durfte. Das unterscheidet Mädchen von Frauen: Frau Ciccone war immer gut darin, sich neu zu erfinden. Britney bleibt sich lieber gleich.
„Femme Fatale“ erscheint am heutigen Freitag bei Sony Music
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