Malcolm McLaren: Böse ist gut
Der große Rock’n’Roll-Schwindel: zum Tod von Malcolm McLaren, dem Manager der Punk-Band Sex Pistols.
Mitte der siebziger Jahre hatte sich das Publikum an exzentrische Popstars gewöhnt. Noch zwanzig Jahre zuvor schien der Hüftschwung des ehemaligen Lkw-Fahrers Elvis Presley den Untergang des Abendlandes zu bedeuten. Später zerschmetterten Gitarristen ihre Instrumente oder setzten sie in Brand. Sänger entstiegen Särgen, riefen zur Revolution auf oder entblößten ihre Genitalien. Rockbands zertrümmerten Hotelzimmer, propagierten Drogenkonsum oder Promiskuität – alles halb so wild.
Doch als 1976 vier bleiche Vorstadtjünglinge aus London ihre ersten öffentlichen Auftritte hatten, stand Großbritannien Kopf. Den Sex Pistols und ihrer zur Schau gestellten Aggression, ihren gegen die heiligsten Institutionen des Königreichs gerichteten Tabubrüchen, ihrer ostentativen Verwahrlosung und ihrer rigorosen Ablehnung gesellschaftlicher Grundwerte schlug eine Woge bürgerlichen Hasses entgegen. Spätestens als Gitarrist Steve Jones am 1. Dezember 1976 in der TV-Show „Today“ zur besten Sendezeit eine Tirade unflätiger Schimpfwörter losließ und in der britischen Presse einen Sturm der Entrüstung entfachte, wusste der Mann hinter den Sex Pistols, dass er sein Ziel erreicht hatte.
Malcolm McLaren war keineswegs der „Erfinder“ des Punk. Doch er war derjenige, der das subversive Potenzial der entstehenden Bewegung am deutlichsten erkannte. Seine Aktivitäten für die Sex Pistols gingen weit über das Berufsbild des Managers hinaus: Er formte und manipulierte seine kaum der Pubertät entwachsenen Schützlinge, sorgte für ihren Bürgerschreck-Look mit zerfetzten Klamotten und durch die Wangen gebohrten Sicherheitsnadeln, jagte sie durch skandalträchtige PR-Aktionen wie die legendäre, von Polizeibooten gestoppte Themse-Fahrt zur Veröffentlichung ihrer Single „God save the Queen“, provozierte den Rauswurf des braven Bassisten und ersetzte ihn durch den talentfreien, aber zur Punk-Ikone prädestinierten Sid Vicious.
Dass er sich durch die rücksichtslose Ausbeutung der Musiker nicht nur den Ruf eines Sklaventreibers einhandelte, sondern auch den baldigen Zerfall der Band befeuerte, war McLaren egal: „Die Sex Pistols waren ein Kunstwerk. Mein Material ist nicht Farbe oder Ton, sondern Menschen. Ich benutze sie, missbrauche sie, manipuliere sie, weil ich an meine Idee glaube. Die Sex Pistols waren eine Idee, keine Band. Und sie waren das schillerndste, spektakulärste Scheitern, das ich je erlebt habe, einfach großartig.“
Nachdem sich der Vater früh von der Familie getrennt hatte, wuchs der 1946 im Londoner Norden geborene Malcolm McLaren vorwiegend bei seiner jüdischen Großmutter auf. Von ihr, einer erklärten Nonkonformistin, stammt der Satz „Böse sein, ist gut. Gut zu sein, ist langweilig“, eine Art Punk-Credo. McLaren flog von Schulen, schloss sich Banden an, trieb sich mit Beatniks herum und überwarf sich in den frühen Sechzigern mit seiner Mutter. Sein Interesse für Popkultur konzentrierte sich auf Kleidung und Stil der Teds, deren antibürgerlichen Gestus er schätzte, während die zeitgenössische britische Popmusik vor den Beatles wenig Eigenständiges zu bieten hatte.
Im Herbst 1964 begann McLaren mit dem Studium an der Londoner Harrow Art School eine Phase, die Jon Savage in seiner Punk-Historiografie „England''s Dreaming“ als „siebenjähriges Treibenlassen in den Institutionen der höheren Schulbildung“ bezeichnete. Der Möchtegern-Bohemien begeisterte sich für die Ideen der französischen Situationisten, deren politisches Potenzial er durch spontane Aktionen wie Sit-Ins oder Hörsaalblockaden auslotete.
Vor allem aber traf er in dieser Zeit seine langjährige Lebensgefährtin, die Modedesignerin Vivienne Westwood, mit der er 1971 die Boutique „Let it rock“ eröffnete. Der Laden entwickelte sich unter wechselnden Namen zum Versuchslabor der Londoner Subkultur, in dem die Stilinsignien des Punk – Anleihen bei der S/M- und Fetisch-Mode, Nazi-Chic, Slogans als T-Shirt-Motive – an einem experimentierwilligen Publikum getestet wurden. Zudem lernte McLaren hier nicht nur die künftigen Sex Pistols, sondern auch die New York Dolls kennen, deren Transvestiten-Hardrock der radikalste Pop-Entwurf des Jahres 1973 war. Als Kurzzeit-Manager scheiterte McLaren mit dem Versuch, das streitbare Ensemble auf die Erfolgsspur zu dirigieren. Der US-Markt war noch nicht bereit für die Kunst der gezielten Provokation.
Mit den Sex Pistols war McLaren auch deshalb umso erfolgreicher, weil die großen Plattenfirmen das kommerzielle Potenzial der neuen Jugendbewegung erkannten und jede Band unter Vertrag nahmen, die genügend Schlagzeilen garantierte. Doch nach dem lautstarken Streit in der „Today“-Show setzte die EMI die Band vor die Tür, und bei A & M flog sie heraus, nachdem die Musiker Sekretärinnen der Firma belästigt und Büros verwüstet hatten. Ihr einziges Album veröffentlichten die Sex Pistols dann bei Virgin. Alles was danach kam, inklusive des Konzertfilms „The Great Rock’n’Roll Swindle“, war die von McLaren clever inszenierte Resteverwertung des Phänomens.
Nach dem Ende der Sex Pistols blieb der Punk-Zampano nicht lange untätig. Er machte dem Pistols-Fan Adam Ant die Band abspenstig und formierte sie zur Ethno-Wave-Combo Bow Wow Wow um, für die er eine 14-jährige Sängerin engagierte – dank freizügiger Plattencover immerhin ein kleiner Skandal. Natürlich war der visionäre Universaldilettant Malcolm McLaren klug genug, auf die Veränderungen der Popwelt zu reagieren. In den Achtzigern experimentierte er, endlich unter eigenem Namen und dank Hits wie „Buffalo Gals“ oder „Double Dutch“ mit großem Erfolg, als einer der ersten mit Stilmixturen aus Hip-Hop, afrikanischen Stammesrhythmen, Opernarien, Square Dance, Chanson und Wiener Walzer – womöglich war McLaren auch noch der Erfinder des Bastard Pop.
Außer einem kurzen Ausflug in die Politik, bei dem er seine Kandidatur als Bürgermeister von London ankündigte und wieder zurückzog, war es in den letzten Jahren still geworden um den Meister des kalkulierten Skandals. Am Donnerstag ist Malcolm McLaren im Alter von 64 Jahren in einer Schweizer Klinik an einer Krebserkrankung gestorben.
Jörg Wunder
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