Schunkeln im Rotlicht: An Englishman in der Mehrzweckhalle
Sting, ewiger Popheld und britischer Gutmensch spielt „mit seinen berühmtesten Songs“ und Orchesterbegleitung in der Berliner O2-World.
Den Maestro hält es nicht mehr auf den Maestro-Füßen. Er wackelt, federt in den Knien, hüpft, als ob er von oben gedribbelt wird, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Er schleudert die Arme herum, steuert ein unsichtbares Theremin. Der Maestro heißt Steven Mercurio, dirigiert dieser Tage das Royal Philharmonic Concert Orchestra aus London, und zwar mit dem Programm „Symphonicity“: Sting, ewiger Popheld und britischer Gutmensch mit Komturkreuz (zwei Stufen unter dem Ritterorden, aber auch schon ganz schön elegant), spielt „mit seinen berühmtesten Songs“ und Orchesterbegleitung in der Berliner O2-World. Und da geht die Misere schon los: Leider hat die Großarena genau das nicht zu bieten, was klassische Klassik eigentlich braucht – einen schönen Hallenklang. Die O2-World an sich klingt nach nichts, sie darf nach nichts klingen, weil sie eine Mehrzweckhalle ist, und somit Shakira, den Eisbären und Kiss abwechselnd die richtige akustische Umgebung zu liefern hat.
Wenn also ein vielköpfiges klassisches Orchester dort spielt, mit Instrumenten, deren Lautstärken- und Klangunterschieden man normalerweise durch eine vorteilhafte und sensible Aufstellung im Raum gerecht wird, so muss es sich ausschließlich auf die Technik verlassen. Alles muss verstärkt werden, und irgendwie ist dann auch alles gleich laut: Die Blechbläser, die Holzbläser, die vielen Streicher, die Begleitband mit Gitarre und Bass, die Backgroundsängerin, die beiden Percussionisten. Euphemistisch gesagt kann man alle gut hören, und das sitzende Publikum weiß das zu goutieren, ist vom ersten „If I ever lose my faith in you“-Takt an dabei und gibt schon beim zweiten Song „Every little thing she does is magic“ begeistert das „Eee-aaw-ooh“ zurück, das Sting, ganz nonchalanter Massenanimateur, einfordert. Abgehen kann man das trotzdem nicht nennen, aber man ist ja auch nicht mehr das jugendlich-stürmische Postpunkpublikum, das man mal war, als The Police „Outlandos D’Amour“ herausbrachten, und wer an diesem Abend unter 40 ist, das wird in der langen Pause zwischen den Sets beim Bierholen schnell klar, der arbeitet hier.
Das Erstaunliche ist, dass bei vielen Songs nach einem meist ausgesprochen furios arrangierten und mit selbstbewusstem Pathos vollgestopften Beginn gar nicht mehr so viel zu hören ist von der großen und firmen Besetzung: „An Englishman in New York“ lieferte eh im Original bereits jede Menge zupfende Streicher und das notorische Sopransaxophon, „Moon over Bourbon Street“ ebenfalls. Und „Roxanne“, das Sting anstatt in seiner fies-vertrauten Kopfstimme einfach ganz ruhig und gemessen eine Oktave tiefer intoniert, wird nicht schlechter durchs Orchester, aber auch nicht besser. Zwischen den Stücken erzählt Sting kleine Geschichten, und eine ist wirklich interessant: Er schreibe immer zuerst die Musik und dann den Text eines Songs, weil schon die Musik narrative Strukturen habe und ihm quasi einchannelte, worum es gehen soll.
Einmal habe sein Unterbewusstsein gewollt, dass er über „eine männliche transsexuelle Prostituierte“ schreibe, kolportiert er dem verschämt kichernden Publikum. Sting kichert ein bisschen mit, um dann ein Beispiel seiner Toleranz zu geben. Obwohl er den Song nach dieser Erkenntnis erst mal liegen lassen wollte, habe sein Unterbewusstsein keine Ruhe gegeben: „Du schreibst doch auch über Heterosexualität, warum nicht über einen Transsexuellen?“ Und so sei eben „Tomorrow we’ll see“ herausgekommen. Doch abgesehen davon, dass Transgender nichts mit sexueller Orientierung zu tun hat, ist die Musik bezeichnend. Der Text mit seinen unzähligen Klischees von nassen Straßen, kurzen Röcken und freigiebigen Freiern spiegelt tatsächlich die Musik.
Vielleicht ist genau das sein Trick. Sting macht es einem, jedenfalls seit er solo ist, so verdammt einfach. Wenn er über Russen singt, collagiert er ein Stück Prokofjew, singt er über New York, muss das Saxofon mit ins Boot, kommen leichte Mädchen um die Ecke, wird der Sound groovy. Aber es gefällt der gut gefüllten, wenn auch nicht ausverkauften Halle. Minutenlang wird, in manchen Reihen sogar mit versunken geschlossenen Augen „Be yourself, no matter what they say“ skandiert, was frappierend an den tollen „Das Leben des Brian“-Dialog der Monty Pythons erinnert: „Ihr seid alle Individuen!“ – „Wir sind alle Individuen!“. Nach den irischen Einlagen in „This Cowboy Song“ gibt es stehende Ovationen, und am Ende hat der symphonische Popspießer alle beseelt, die sich beseelen lassen wollten. Was soll’s, geschadet hat er schließlich noch nie jemandem.
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