Grönemeyer-Konzert: 21.000 Menschen
So viel Innigkeit war selten: Herbert Grönemeyer feiert in der Waldbühne mit seinen Fans.
Es ist kurz vor zwölf auf den beiden elektronischen Leinwand-Uhren rechts und links von der Bühne, als sich in Block C der restlos ausverkauften Berliner Waldbühne ein junger Grönemeyer-Fan gar nicht mehr einbekommen will. „Mensch, da isser, der Herbert! Herbert, Herbert! Hier! Das ist ja Wahnsinn, der schaut genau zu uns rüber!“ Ob der Herbert den Mann in schwarzem T-Shirt mit groß „DWS-Investment-Fonds“ und klein „VFL Bochum“ vorn drauf wirklich gesehen hat? Vermutlich nicht, doch spielt das auch keine Rolle. Denn „der Herbert“, der dürfte schon lange vorher bei diesem Fan gewesen sein, Stunden, Tage, Monate, wenn er nicht gar immer bei ihm ist. Und er ist es ja dann sofort auch für die nächsten zweieinhalb Stunden, mit Leib und Seele, Herz und Stimme.
Kein Blatt Papier passt zwischen Grönemeyer und seine Fans, was für eine Innigkeit! Schon beim ersten Stück erheben sich 21 000 Menschen, klatschen mit, tanzen, schwenken die Arme, singen jede Zeile, und das geht bis zu den allerletzten Zugaben so, bis zu „Flugzeuge im Bauch“ und „Zur Nacht“. Und das Schöne ist: Die Lage der Nation, der Klimawandel, das Elend der Welt, die großen Fragen von „Wann ist ein Mann ein Mann?“ über „Wie wird der Mensch ein Mensch?“ bis zu „Warum gibt sich ein Fan als Werbeträger einer Investmentgruppe her?“, all das bleibt (fast) außen vor. Dieser Abend gehört Herbert Grönemeyer, der hier seine „Zwölf“-Tour beendet. Und seinen Fans.
So wirkt es mehr wie eine Pflichtübung, als Grönemeyer dann doch einmal vom Glück spricht, „dass wir hier alle so schön beieinander sind“, gerade bei all dem Murks sonst so in der Welt. Es ist seine Einleitung für das Stück „Marlene“, in dem es um die unzureichende Verteilung von Aids-Medikamenten in Afrika geht, und während dieses Stückes bleibt es auffällig ruhig, der Schwere der Thematik angemessen. Der ganze große Rest aber ist eine einzige Seligkeit, eine große perfekte Harmonie zwischen Künstler und Publikum. Und Grönemeyer macht das ja auch wirklich gut: Wie er da klein, x-beinig und etwas pummelig in Hemd über der Jeanshose auf der Bühne und dem Steg davor unentwegt herumzappelt! Wohlwissend, nicht tanzen zu können, aber immer tanzen zu wollen, Kopf hoch, Mund zu, tanzen halt. Einer von uns! Wie er andauernd seine Ergriffenheit, sein Überwältigtsein verbalisiert, gerade vor dem Hintergrund seiner Nervosität vor diesem Auftritt ausgerechnet hier in seiner Teilzeitheimatstadt! Keiner von uns, aber bodenständig! Und wie er für jeden Schnack zu haben ist: „Eigentlich bin ich ja hergekommen, um mich mit euch zu unterhalten, ihr seid ja alle da.“ Über seinen Haarschnitt, das Können seines Saxofonisten, die Beweggründe, auf Konzerte wie diese zu gehen, vielleicht ja, um jemanden kennenzulernen: „Wir spielen auf jeder Hochzeit, die sich hier anbahnt.“ Das kommt an, das passt.
Es stört da kaum, dass manches Stück unangemessen bombastrockig ist, dass Grönemeyer Hits wie „Bochum“ oder „Mensch“ eher weggrölt als hersingt, dass das achtköpfige Streicherensemble gegen ihn und seine Rhythmusgruppe keine Chance hat, dass besagter Saxofonist einen Hit wie „Alkohol“ geradezu zerbläst. Und es stört auch nicht, dass Grönemeyer kein großer Witzbold ist, Witze wie über seine Roadies eher danebengehen („Das ist Thorsten, der sieht super aus, deswegen geht er gleich wieder“). Dafür hat er sich ja einen wie den Hamburger Rapper Dendemann als Vorband mitgebracht. Dieser prollt die offensichtliche Missachtung seiner Musik und seiner Band seitens des Publikums einfach hanseatisch weg. Und macht zu Beginn seines Sets den besten Witz an diesem Abend: „Hallo Zielgruppe!“ Gerrit Bartels
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