Mangelhafter Klimaschutz in der Musikindustrie: Pop ohne Plastik
Clubs, DJs und Festivals wollen ökologischer werden. Doch viele Versuche und Neuerungen enttäuschen. Und ein unsicherer Mietmarkt verhindert Investitionen.
Selbst die Nachfahren der Hippies konnten das Plastik nicht verhindern. Ende Juni wollte das Glastonbury Festival in Großbritannien an seine Flower-PowerTradition anschließen und sprach ein Verbot für Flaschen sowie Einwegbesteck aus Kunststoff an den Verkaufsständen aus. Der große Tierfilmer David Attenborough trat auf die Bühne der Großveranstaltung und motivierte die Festivalgänger zum Verzicht.
Und was passierte? Die Leute brachten ihr eigenes Plastik von zu Hause mit. Nicht ohne Schadenfreude verbreitete etwa die britische Boulevardzeitung „The Sun“ Bilder von „Öko-Kriegern“, die in ihrem eigenen Kunststoffmüll schliefen. Die Veranstalter berichteten zwar stolz von einer Million eingesparter Flaschen, doch es blieb der Eindruck eines gescheiterten Experiments.
Musikindustrie und Umweltverschmutzung, das lässt sich anscheinend nicht trennen. Kein Wunder: Clubbesucher, die am Wochenende die Ekstase auf der Tanzfläche suchen, haben wenig Zeit, parallel an die eigene CO2-Bilanz zu denken. Hoffnung machte lange der Umstieg von klassischen Tonträgern auf Streamingdienste.
Wer kein Produkt in der Hand hält, kann auch keinen Abfall verursachen, so der Gedanke. Tatsächlich schlüsselte noch 2010 eine Studie auf, dass durch Musikdownloads im Vergleich zur CD zwischen 40 und 80 Prozent des CO2-Ausstoßes eingespart werden können.
Eine neuere Analyse kommt hingegen zu einem deutlich negativeren Urteil. In seinem diese Woche veröffentlichten Buch „Decomposed: The Political Ecology of Music“ warnt der an der Universität Oslo forschende Musikwissenschaftler Kyle Devine: Die Digitalisierung der Musikkultur ist mit enormen Energiekosten für Rechenzentren verbunden.
Doppelt so hohe Emissionen
War die Musikindustrie zur Jahrtausendwende in den USA noch für 157 Millionen Tonnen an Treibhausgasen verantwortlich, könnte sich dieser Wert nach Devines Schätzung bis 2016 mehr als verdoppelt haben. Demnach habe die Branche mit dem Speichern und Verarbeiten von Songdaten in dem Jahr zwischen 200 und 350 Millionen Tonnen Treibhausgase produziert.
„Der Sinn dieser Forschung ist es nicht, einen der großen Genüsse dieser Welt zu ruinieren“, kommentiert Devine seine Arbeit. Stattdessen gehe es darum, Nutzer zu „mehr Neugierde bei ihren Konsumentscheidungen zu motivieren“.
Deshalb betont Devine auch die Vorteile des Musikstreamings. Von dem seit einigen Jahren vorherrschenden Vinyl-Trend würden nicht zuletzt die Ölkonzerne profitieren, die den Rohstoff für die Platten liefern. Schellack sei nicht besser, er sei in der Vergangenheit aus dem globalen Süden importiert worden – hergestellt von Frauen und Kindern unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen. Zudem sei der Plastikverbrauch durch das Aufkommen der Musikdownloads seit der Jahrtausendwende von 61 Millionen auf nur noch 8 Millionen Tonnen zurückgegangen.
DJs machen Druck
Einige Musiker wie Eli Goldstein von der Bostoner DJ-Combo Soul Clap setzen sich mittlerweile für mehr Umweltbewusstsein in der Elektrokultur ein. Das heißt: Sie wollen Veranstalter davon überzeugen, mehr lokale Musiker zu buchen. Zumindest bei einigen Festivals sei das bereits auf Anklang gestoßen.
Goldstein ist Teil der Aktivistengruppe DJs for Climate Action. Bei seiner Arbeit steht er einem System gegenüber, das geradezu darauf basiert, klimaschädlich zu sein. Denn in der Clubszene ist es üblich, dass Künstler für ihre Auftritte ohne große Pause von Metropole zu Metropole fliegen. Er selbst versucht mittlerweile vermehrt, mit dem Zug zu Konzerten zu reisen. Vor einer Weile ist er aufs Land gezogen, um mit seiner Nachbarschaft eigenes Gemüse anzubauen. Er ist sich sicher: „Wenn sich genug DJs für Veränderungen einsetzen, wird die Industrie folgen.“
Unsichere Mietverhältnisse verhindern Klimaschutz
Am Mittwoch beschäftigte sich das Future Party Lab im Berliner Club About Blank damit, wie solche Veränderungen konkret aussehen könnten. Veranstaltet von Interessensgruppen aus der Clubszene und dem Bund für Umwelt und Naturschutz, ging es um die zentrale Frage, wie das Partymachen klimaneutral werden kann. Warum nicht Indoor-Gärten anlegen, um mit dem CO2 Pflanzen zu versorgen, ein stadtweites Clubkollektiv für Solaranlagen gründen oder zumindest die Wärmedämmung erneuern?
Ideen bei den Betreibern seien da, sagt Jakob Turtur. Das Mitglied der Lobbygruppe Clubcomission war auch bei der Gründung des Kreuzberger Clubs Jonny Knüppel dabei. „Die meisten unserer Baumaterialien damals waren wiederverwertete.“ Auch weil Gelder fehlten. Alles, was nicht eigens neu produziert werden muss, ist schon mal ein Beitrag zum Klimaschutz, lautet die Überzeugung beim Future Party Lab .
Das große Problem für die Clubs sei nicht der Wille zu Investitionen, es seien die unsicheren Mietverhältnisse, die sie zögern lassen. „Viele Betreiber wissen nicht, ob sie in zwei Jahren noch am selben Ort sind“, sagt Turtur – keine gute Grundlage für Maßnahmen zum Klimaschutz.