Pop-Star Miss Platnum: „Plötzlich stand ein Bär vor meiner Mutter“
Sie liebt Tom Waits und ging putzen, um bei Jocelyn B. Smith das Singen zu lernen. Miss Platnum über lautes Feiern in Berlin und die Stille der karpatischen Wälder.
Miss Platnum, 32, landete gerade mit dem Lied „Lila Wolken“ auf Platz eins der Charts, die Sängerin hat davor drei Alben veröffentlicht. Als Ruth Maria Renner wurde sie im rumänischen Temeswar geboren, später ging sie in Berlin zur Schule. In ihrer Musik vermischt sie Soul mit Rap und Balkan-Pop. Renner lebt in Kreuzberg
Frau Renner, es tut uns leid: Wir haben keinen Selbstgebrannten.
Es wird auch so gehen.
Sonst hilft er Ihnen in allen Lebenslagen?
Ja. Selbst gebrannter Schnaps bringt den Geist in Schwung. In Rumänien sagen wir: Für jedes Wehwehchen kann man ein Gläschen trinken. Ob gegen Kopf- oder Bauchschmerzen, sogar gegen Liebeskummer. Wenn wir zurück nach Rumänien fahren …
… Sie sind mit acht Jahren 1989 nach West-Berlin übergesiedelt …
… dann gibt es Schnaps als Geschenk, meist Pflaume, seltener Apfel oder Pfirsich, abgefüllt in Zwei-Liter-Plastikflaschen. Man sollte den Schnaps bald umfüllen, denn der Alkohol löst nach einer Weile das Plastik auf.
Und es besteht die Gefahr, im Kühlschrank zur falschen Flasche zu greifen.
Das ist mir passiert, als ich sieben war und Wasser trinken wollte. Das hat wahnsinnig gebrannt!
Ihren Hit „Lila Wolken“ haben Sie zusammen mit den Rappern Marteria und Yasha aufgenommen. Womit haben Sie darauf angestoßen?
Zuerst mit Champagner. Dann waren wir im Magnet an der Oberbaumbrücke und im Mysliwska an der Schlesischen Straße. Da wurden wir rausgeworfen, weil die Barfrau sauer auf uns war. Wir hatten eine große Runde Wodka bestellt, die wurde nur teilweise abgeholt. Sie ließ sich nicht beruhigen, obwohl ich alles bezahlte. Wir sind noch ins Cake in der Oranienstraße, das war’s.
Sie sind ein Schützling von Peter Fox, Ihre Produzenten sind The Krauts, noch zwei Männer. Sind Sie gern die Henne im Korb?
Ich fühle mich wohl mit Männern. Mir wird nachgesagt, dass ich ein Problem mit Frauen habe.
Kein Wunder, Sie sagen: „Viele Frauen haben einen Stock im Arsch.“
Das hat sich ein bisschen geändert. Es gibt mehr Frauen, die sich trauen, die Sau rauszulassen. Denen es egal ist, wie man beim Feiern aussieht, dass die Haare vielleicht nicht mehr so toll sitzen oder das Make-up um die Augen verschmiert ist. Ich kann bestimmte Frauen nicht leiden, wenn ich merke: Da geht’s jetzt gerade nicht um mich, sondern darum, welchen Musiker ich kenne, ob sie durch mich an Marteria rankommen.
Sie sitzen für Ihre neue, deutschsprachige Platte gerade im Studio. Steht Ihr Name drauf: Ruth Maria Renner?
Der Name klingt nach Schriftstellerin, nicht nach diesem Rauen, Versoffenen in meiner Stimme. Deutsch zu singen ist, als ob ich eine neue Sprache lerne. Ich habe mir meine letzten Alben angehört …
… englischsprachige Musik mit Soul- und Balkan-Einflüssen …
… und gedacht: Ich habe mit einem großen Balkan-Orchester aufgenommen, das war das große Ding der Platte, was soll ich jetzt noch machen? Mit Marteria taste ich mich langsam an die Sprache heran. Deutsche Texte müssen echt sitzen.
Tun sie’s?
Ich habe einige Perlen wie auf dem Lied „Königin Balkan“. Da heißt es: Meine Kinder sind Vampire und mein Mann ist ein Graf, meine Freunde sind Diebe und mein Vater ein Zar. Solche Sachen kommen von mir, das feier ich dann sehr ab.
Und was finden Sie öde im Studio?
Das Editieren der Aufnahmen. Als wir für die letzte Platte mit Musikern in Belgrad aufgenommen haben, brauchten wir eine Woche für die Aufnahme und drei für das Schneiden. Manchmal verliere ich dabei die Geduld. Zum Beispiel wenn ich bestimmte Drums haben will, die Produzenten spielen mir stundenlang Beats vor und fragen: Findest du diese besser oder diese? Ich sag dann: Ich hör das nicht mehr, ich muss hier raus!
Wofür das alles?
Damit Miss Platnum ihren eigenen Sound bekommt. Einen Stilmix aus Balkan-Musik, Soul und R’n’B, das bin ich. Wiedererkennbare Muster finde ich wichtig. Tom Waits’ Stimme erkenne ich auch nach einer Sekunde.
Tom Waits – eine Inspiration für Sie?
Auf jeden Fall! Der erzählt richtige Geschichten, manchmal brüllt er. Das ist faszinierender als Beyoncé, die singt, wie unabhängig eine Frau sein soll, warum sie heiraten will und welche geilen Sachen sie sich kauft. Bei der habe ich das Gefühl, die schreit mir die ganze Zeit uninteressantes Zeug ins Gesicht.
Das Studio liegt in Kreuzberg, wo Sie in der Nähe des Görlitzer Parks wohnen.
Nicht mehr. Jetzt wohne ich im Bergmannkiez. Nach zwei Jahren in der Wiener Straße wurde mir die Gegend zu laut und zu hip.
Nun übertreiben Sie.
Nein. Als Berliner geht man auch mal in ranzigen Klamotten auf die Straße. Das geht nicht, wenn es um dich herum wie auf einem Laufsteg aussieht. Da hieß es für mich: Schnell rein in den Späti und sofort wieder hoch. Ich kam mir immer ein bisschen scheiße vor. Das Schlimmste war die Lautstärke.
Sie lassen es doch selber krachen. Dort zu wohnen, muss ein Traum für Sie gewesen sein.
Unbedingt, nur nach zwei Jahren reichte es. Abends mussten wir uns an Touristengruppen vorbeiquetschen, und um vier Uhr morgens schmissen die Besoffenen mit Flaschen um sich.
Haben Sie die Polizei gerufen?
Nein, deswegen wohnt man doch in Kreuzberg und nicht in Zehlendorf. Ich habe mich auch aufgeregt, wenn um zwei Uhr die von oben an die Heizungsstäbe geklopft haben, weil wir zu laut waren. Es gibt doch Ohropax! Und wir waren nicht so wie Marteria, der in seiner Wohnung an der Schlesischen Straße die Musik auf Clublautstärke aufgedreht hat. Das waren legendäre Partys, alle schwitzen, alle tanzen, eine Stimmung wie in einem großen Club, dabei feierten wir nur mit zehn Leuten.
Aufgewachsen sind Sie ja in völliger Stille, auf einer Wetterstation in den Karpaten.
Wir haben in einem großen Haus gelebt. Daneben stand eine Hütte, in der die Waldarbeiter im Sommer übernachteten, wenn sie Holz holten oder ihr Vieh auf die Weide trieben. Der nächste Ort war vier Stunden zu Fuß entfernt, es gab keine richtige Straße hinauf zum Haus.
Welches Geräusch hat Sie da nachts geweckt?
Das Bellen der Hunde, wenn ein Bär in der Nähe war.
Hat Sie mal einer überrascht?
Mich nicht, aber meine Mutter. Sie wollte mich im Krankenhaus im Dorf besuchen, als ich einen Blinddarmdurchbruch hatte. Als sie durch den Wald ging, stand plötzlich ein Bär vor ihr auf dem Schotterweg. Er hat sich aufgerichtet, meine Mutter bekam einen Schock, blieb sofort stehen. Zum Glück war das Tier recht jung, erschrak sich auch und lief weg. Meine Mutter hat noch im Krankenhaus gezittert und ist bei jedem Hundegebell zusammengezuckt.
Ein gefährliches Leben. Wieso haben sich Ihre Eltern das angetan?
Beide waren Meteorologen. Sie haben mir mal gesagt, der Beruf war ihre einzige Möglichkeit, sich in Rumänien frei zu fühlen. Es gab keine bekloppten Nachbarn, die irgendwas der Polizei meldeten. Sie mussten sich nicht in einer Bäckerei anstellen, sondern konnten ihr eigenes Brot backen. Das war für sie der einzige Fleck, wo sie sich ihre Freiheit nehmen konnten.
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat über das Rumänien der 80er Jahren gesagt: „Feigheit und Kontrolle waren allgegenwärtig.“
Das ist richtig. Meine Eltern hatten viele Schriftsteller oder Journalisten als Freunde. Kamen die zu Besuch, tranken die oft was und wetterten gegen Ceausescu. Das durfte nie nach außen dringen. Uns Kindern wurde eingetrichtert, dass wir nichts nachplappern durften. Das fiel mir wahnsinnig schwer – weil ich doch gemerkt habe, wie viel Spaß das meinen Eltern machte, diese schlimmen Dinge zu sagen, das wollte ich auch mal tun.
Sie besuchten einen deutsch-rumänischen Kindergarten. Wollten Ihre Eltern Ihnen Deutschland als wahre Heimat nahebringen?
Nein. Mein Vater ist zwar deutschstämmiger Rumäne, sein Vater hat ihm aber nicht die Sprache beigebracht. Er kam nach dem Krieg in ein sowjetisches Arbeitslager, so wie meine Großtante auch – einfach weil sie Deutsche waren. Sie haben nie darüber gesprochen, mein Großvater hat für sich beschlossen: Schluss, ich rede kein Wort Deutsch mehr!
Die Flucht von Rumänien nach Ungarn haben Ihre Eltern von langer Hand geplant.
Es gab bereits früher die Idee, als mein Bruder zwei war und meine Mutter mit mir schwanger. Sie wollten mit einem Boot über die Donau nach Jugoslawien. Das war aber zu gefährlich. Der Gedanke blieb, und dann sind sie in der Nacht vom 23. August 1988 durch ein Maisfeld geflohen. Sie haben an der Grenze gewartet, bis eine große Gewitterfront kam. Als es richtig schüttete, sind sie durch das Feld gelaufen, die Grenzsoldaten haben sie wegen des starken Regens nicht gesehen. Zwei Tage später kam ein Anruf aus Ungarn, dass sie es in ein Flüchtlingslager geschafft haben.
Hatten Sie Angst, sie nie wiederzusehen?
Nein, wir haben uns gefreut, als wir hörten, dass es geklappt hat. Die Wohnung wurde aufgelöst, wir zogen zu meiner Großmutter und erzählten allen, meine Eltern seien auf einer Fortbildung.
Acht Monate später durften Sie nach Schönefeld fliegen.
Den ganzen Flug über hat die Stewardess uns mit Gummibärchen und Cola vollgestopft! Meine Mutter hatte schon einen Pass, holte uns ab und wir fuhren mit ihr rüber nach West-Berlin.
Ihr nachhaltigster Eindruck?
Es war bunt. Die Häuser, die Kleidung der Menschen, die Regale in den Supermärkten.
Wollte Ihre Familie zurück, als im Dezember 1989 die Ceausescus exekutiert wurden?
Als die Bilder im Fernsehen kamen, riefen meine Eltern: Endlich ist er weg! Die hatten noch in Berlin Albträume, dass sie wieder nach Rumänien fahren und nicht mehr rausgelassen werden. Aber zurück, nein, sie hatten in Deutschland bessere Chancen, obwohl ihr Abschluss nicht anerkannt wurde. Meine Mutter hat sich zur Krankenschwester ausbilden lassen, mein Vater wurde Verwalter des Zentrallagers einer Klinik.
Die Moderatorin Palina Rojinski kam zur selben Zeit aus St. Petersburg und sagte: „Kreuzberg war so multikulti, dass ich nie das Deutschsein wahrnahm.“
Wir haben in Lichterfelde gewohnt. Das war piefig und gediegen. Die Familien verdienten mehr als der Durchschnitt, dementsprechend waren die Kinder ausgestattet oder angezogen. Teure Rucksäcke, Skateboards, Fahrräder, so was hatten wir alles nicht. Ich hatte die falsche Federtasche, eine von Aldi anstatt von Scout. Für mich war die ein Traum, dieses Ding, das ich drei- oder vierfach aufklappen konnte, mit den ganzen Filzstiften drin. Und die Lehrer waren so anders.
Nicht so streng?
In Rumänien wurde mir mit dem Lineal auf die Fingerspitzen gehauen. Wir hatten eine Doppeltür im Klassenraum, da mussten sich Schüler zur Strafe hineinstellen, ohne Licht und mit wenig Sauerstoff. Dadurch war ich diszipliniert, nicht so frech wie die deutschen Kinder. Die kleinen Pupser haben einen erwachsenen Menschen aus der Fassung gebracht. Ich fand das respektlos. Uns wurde eingebläut, ältere Menschen zu respektieren.
Sie haben mit 18 einen Auftritt der Sängerin Jocelyn B. Smith gesehen und anschließend bei einem Workshop mit ihr mitgemacht.
Das hat 300 Mark gekostet – wahnsinnig teuer! Ich habe in einem Kindergarten geputzt, um den Gesangsunterricht zu finanzieren. Auch nach der ersten Platte wieder, die nicht so lief, wie ich hoffte. Harte Arbeit, dafür war ich mir nie zu fein. Davor habe ich Jingles eingesungen oder als Backgroundsängerin gearbeitet. Das wollte ich nicht mehr.
Kennen wir einen Ihrer Jingles?
„An-ten-ne Mecklenburg-Voooor-pommern …“ Marteria kommt aus Rostock, der kannte den Jingle und konnte gar nicht glauben, dass ich das war. Später habe ich einer Eurodance-Produktion meine Stimme geliehen, Angel One hieß die und landete sogar in den Top Ten. Im Video rannte eine andere Frau mit meiner Stimme rum. Fand ich lustig. Ich wollte ja sowieso nichts mit dem Mist zu tun haben. Dahin zurückzugehen, das wäre ein größeres Opfer als das Putzen gewesen.
Was haben Sie bei solchen Jobs gelernt?
Meine Stimme zu beherrschen, mich zu disziplinieren, ein paar Studiotricks.
Verraten Sie uns welche?
Wenn man doll lächelt, klingt die Stimme sehr hell. So kann man bestimmte Frequenzen hervorholen. Es gibt kleine Übungen, um die Stimme aufzuwecken. Einfach ein leichtes huuuuu, der Luftstrom erwärmt die Stimmbänder.
Der Erfolg kam mit der zweiten Platte. Das Album kam auch in die rumänische Hitparade. Wurden Sie mit offenen Armen empfangen?
Zuerst wusste ich vorher nicht, ob die meinen Humor verstehen und in der Lage wären, sich über die eigenen Macken lustig zu machen: dass wir angeblich faul und chaotisch seien, nicht mit Geld umgehen können. Doch die Leute mochten mich und waren überrascht, dass ich keinen amerikanischen Akzent hatte.
Warum sollten Sie?
Ausgewanderte Rumänen dichten sich gern einen an, um sich interessanter zu geben.
Angeblich ist es in Rumänien ein Kompliment, wenn man sagt: Du bist schön dick.
Wenn das jemand zu mir sagen würde, müsste ich ihm leider eine Ohrfeige geben.
Lady Gaga trat gerade in einem Fettanzug auf – Klatschblätter hatten Gewichtszunahme gemeldet.
Vorher trug sie 34, jetzt vielleicht 36. Wenn sich Beth Ditto nackt fotografieren lässt, das ist eine andere Aussage.
Hat man Sie schon mal um Nacktfotos gebeten?
Nein. Ich würde das vielleicht sogar machen.
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