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Wissen teilen ohne Hörsaal. Der Architekt Liam Young zeigt bei der Transmediale seine spekulative Smart-City-Vision einer total vernetzten Stadt der Zukunft.
© Transmediale

Transmediale: Plaudern im Panikraum

Das Medienkunst-Festival Transmediale sucht im Berliner Haus der Kulturen der Welt nach einer neuen Diskussionskultur.

Die Transmediale eröffnete am Mittwochabend im Haus der Kulturen der Welt nicht wie sonst mit Reden. Stattdessen begrüßte Festivalleiter Kristoffer Gansing die Gäste zu einer experimentellen Talkshow. Kunstkritiker Fredrik Svensk sollte in die Themen des Festivals einführen, eine Gruppe von „fiesen Usern“ war aufgefordert dazwischenzureden und das Publikum sollte als allwissendes Lexikon fungieren, als kollektive Intelligenz, falls Begriffsschwierigkeiten auftauchen.

Es stellte sich heraus, dass das Publikum und die fiesen User sich wenig zu sagen haben, und Redner Svensk verweigerte nach einiger Zeit den Dienst. Die Internetkultur im Liveformat endete in Ratlosigkeit, schlechter Laune und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Und doch: Chapeau, Transmediale! An Mut zum Experiment mangelt es nicht. Und die missglückte Talkshow ließ alle Anwesenden am eigenen Leibe spüren: Wir müssen reden. Aber wir wissen nicht wie.

Rund 200 Medienkünstler, Soziologen, Aktivisten, Ökonomen, Filmemacher und Geeks treffen bis Sonntag im Haus der Kulturen der Welt aufeinander. Rund 80 Veranstaltungen sind angesetzt. „Conversation Piece“, zu Deutsch „Konversationsstück“ lautet der programmatische Titel der Veranstaltung. Das bezieht sich auf eine Malereigattung des 18. Jahrhunderts, die eine neue, aufgeklärte Gesprächssituation im eigenen Salon oder draußen unter Bäumen propagierte. „Angesichts zahlreicher Probleme und globaler Krisen müssen wir uns fragen, wie eine Gesprächskultur im digitalen Zeitalter aussehen kann“, sagt Gansing. Das Wort „Festival“ hat er gestrichen. In diesem Jahr trifft man sich in „Panic Rooms“, veranstaltet „hybride Events“ und lernt in „Co-Curriculars“.

Die Struktur aus Ausstellung, Film- und Diskussionsprogramm, wie man sie aus den vergangenen Jahren kannte, wurde zugunsten einer partizipativeren Form aufgelöst. Die Transmediale, seit 29 Jahren ein Ort der klugen Diskurse, mit ständig wachsenden Besucherzahlen und einer soeben bis 2022 verlängerten Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes, will sich neu erfinden. „Wir müssen uns fragen, wie ein postdigitales Kulturevent in Zukunft aussehen kann“, sagt Gansing.

Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt haben die Architekten von Raumlabor das Mobiliar des ehemaligen Kongresszentrums zu Kommunikationsinseln gruppiert. Vorbild war das Forum Romanum, sozusagen als Urzelle der diskursiven Architektur. Ein Dutzend blaue Sessel sind zum Kreis zusammengerückt – ein Stadion. Aufeinandergestapelte Stühle, konfrontativ gegenübergestellt, bilden eine Arena. Ein von Baustrahlern beleuchtetes Stück grünen Kunstrasens geht als Circus durch. Am Eröffnungsabend okkupierten die Gäste dann auch ohne Zögern diese „Tempel der Konversation“. Man schoss Fotos zwischen aufgestapelten Tischbeinen und lümmelte plaudernd auf dem Plastikrasen herum. Wie schon beim Talkshow-Format mischen sich beim Beobachten solcher Szenen Freude und Abwehr. Ist das Diskutieren im Forum Romanum eine selbstbestimmte Aneignung oder fügen sich die Besucher nur brav in eine vorgegebene Struktur?

Der Drang zu handeln und zu teilen ist groß

Wie wollen wir in Zukunft miteinander reden, fragt die Transmediale. „Im internationalen Wettbewerb zwischen Staaten, Unternehmen, Netzwerken und Individuen werden wichtige globale Angelegenheiten auf Worthülsen reduziert“, sagen die Macher. Wir sprechen von Flüchtlingskrise, Finanzkrise, Klimawandel, Big Data, dabei ist längst nicht klar, worüber wir reden. Wie tauscht man in einer global vernetzten Medienwelt Argumente und Ansichten über hochkomplexe Sachverhalte aus? 

In Zeiten sich überlagernder Krisen möchten viele Menschen aktiv werden. Aber wie? Die Ambivalenz zwischen Tatendrang und Resignation bildet den inhaltlichen Nährboden dieser Transmediale. „Anxious to Act, to Make, to Share, to Secure“, so formulieren es die Veranstalter. Der Drang zu handeln und zu teilen ist groß, gleichzeitig wissen wir nicht, wie wir es richtig machen können, ohne etwa Großkonzernen in die Hände zu spielen. Über diese Ängste soll geredet werden.

Die Berliner Medienkunst-Szene seit den Sechzigern wird analysiert

Bereits zur Eröffnung waren viele junge Gesichter zu sehen, viele verschiedene Sprachen zu hören. In diesem Jahr sind im Rahmen des „Co-Curricular“-Programms viele Studierende zur Transmediale eingeladen, zum Beispiel von der Athener National und Kapodistrian Universität. Das Institut für Zeitbasierte Medien der Berliner Universität der Künste hat in einem der Räume eine sehenswerte Ausstellung installiert. „Atlas of Media-Thinking and Media-Acting in Berlin“ nennt sich das umfassende Recherche-Projekt. Die Studierenden haben die Berliner Medienkunst-Szene seit den 60er Jahren analysiert, unter anderem ist eine digitale Stadtkarte zu sehen, auf der alle wichtigen Galerien, Projekträume, Institutionen und Clubs der Stadt verzeichnet sind.

In der großen Halle im Haus der Kulturen der Welt findet keine zentrale Ausstellung statt, sondern Konversationsexperimente. Eines ist das „Radio Picknick“, zu dem der Bildhauer Ralf Homann am Samstag einlädt. Er sieht das Picknick und das Piratenradio als Möglichkeiten, öffentlichen Raum zu besetzen. In seiner Performance geht es um die Ursprünge des Picknicks und des alternativen Radios, dazu zeigt er Filme und Malerei. Klingt irgendwie romantisch, aber für pure Kontemplation ist die Lage wohl zu ernst.

Haus der Kulturen der Welt, Fr–Sa 10–21 Uhr, So 10–20 Uhr

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