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Olympische Eröffnungsfeier in Pyeongchang, mit Vertretern der Delegation aus Nordkorea.
© Pisarenko/AP/dpa

Südkorea und die Winterspiele: „Pjöngjang handelt völlig rational“

Die Chance der Olympischen Winterspiele: Gespräch mit dem südkoreanischen Schriftsteller Hwang Sok-yong über eine neue Friedensordnung und die Defizite in seinem Land.

Herr Hwang, wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Gespräche zwischen Nord- und Südkorea?
Was im Moment geschieht, sind Schritte in eine völlig richtige Richtung. Denn nach wie vor existiert kein Friedensvertrag zwischen den beiden koreanischen Staaten, wir leben seit dem Ende des Koreakrieges 1953 in einem Zustand des bloßen Waffenstillstands. Die neue südkoreanische Regierung unter Präsident Moon Jae-in möchte endlich zu einer solchen Friedensvereinbarung mit dem Norden kommen.

An Gesprächen führt kein Weg vorbei?
Nein, dazu gibt es keine Alternative, auch wenn uns das System des Landes nicht behagt. Denn was hat die Politik der Konfrontation, die der Westen seit Jahrzehnten betreibt, wirklich erbracht? 1991 wurden beide koreanische Staaten in die UNO aufgenommen und man war seinerzeit im Vorfeld übereingekommen, dass die Sowjetunion und China Südkorea diplomatisch anerkennen sowie die USA und Japan Nordkorea. Russen und Chinesen haben Wort gehalten, aber die USA und Japan nicht. 1994 eskalierte die Lage schon um ein Haar, als der damalige US-Präsident Clinton kurz vor einem Angriff auf Nordkorea stand. Zu jener Zeit begann das Regime im Norden mit dem Aufbau seines Atomprogramms auf Kosten der Zivilbevölkerung.

Mit schrecklichen Folgen ...
Drei Millionen Menschen verhungerten in den folgenden Jahren in Nordkorea. 2005, in einer Phase der Ausgleichsbemühungen, sind die Sechsergespräche mit den genannten Mächten gescheitert, weil die USA neue Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea verhängt haben. Während der Norden weiter Atom- und Wasserstoffbomben entwickelt hat, ließ Präsident Obama den Dingen ihren Lauf. Die konservativen Regierungen in Südkorea zwischen 2008 und 2017 haben vorhandene Kommunikationskanäle mit Pjöngjang unterbrochen und gemeinsame Programme gestoppt. Dies ist auch ein entscheidender Grund dafür, dass wir kein System der Krisenbewältigung mehr haben und die Situation im letzten Jahr eskaliert ist.

Was bedeuten vor diesem Hintergrund die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang?

Die Einigung auf einen gemeinsamen Einzug der nord- und südkoreanischen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier und das gemeinsame Eishockey-Damenteam sind bereits ein erster wichtiger Erfolg. Wir sehen dies auch daran, dass nun viele Staaten Vertrauen gefasst und ihre Athleten angemeldet haben. Auch im Hinblick auf die nächsten Olympischen Spiele in unserer Region, im Sommer 2020 in Tokio und im Winter 2022 in Peking, sollten wir den jetzt begonnenen Prozess weiterführen. Zudem jähren sich dieses und nächstes Jahr bedeutsame geschichtliche Ereignisse: Im August und September 1948 wurde die Teilung Koreas durch die Gründung der beiden Staaten besiegelt, im März 2019 gedenken wir der Unabhängigkeitserklärung der koreanischen Opposition gegen die japanische Besatzung unseres Landes vor 100 Jahren, der Aufstand wurde später blutig niedergeschlagen.

Das sind alles weit zurückliegende Ereignisse. Spielt das noch eine Rolle?
Aber bei vielen Menschen in Korea sind diese historischen Daten sehr präsent. Wir sollten sie zusammen mit den Sportereignissen als Anlass dafür nutzen, um gemeinsam mit unseren Nachbarn eine dauerhafte Friedensordnung in der Region Nordostasien ohne Nuklearwaffen zu etablieren. Und wenn es wirklich gelungen ist, einen Friedensvertrag mit Nordkorea auszuhandeln, können wir versuchen, nach einer Phase intensiven gegenseitigen Austauschs vielleicht über den Zeitraum einer Generation hinweg als letzter Station zu einer Wiedervereinigung zu kommen.

Glauben Sie wirklich, dass Nordkorea Interesse an einem Frieden hat?

Nordkorea hat ein großes Interesse am Frieden. Es will überleben. Und dabei handelt die Regierung in Pjöngjang völlig rational und keineswegs so unberechenbar, wie es im Westen immer wieder heißt. Es geht ihr um internationale Anerkennung ihres staatlichen Existenzrechtes. Deshalb ist die Kriegsgefahr in Korea auch ganz und gar nicht so groß, wie sie im Ausland oft gemacht wird. Ich hoffe nur, dass es den Europäern gelingt, die Hardliner in den USA zu bändigen.

Im Wirtschaftssystem unserer westlichen Gesellschaften herrschen starke und immer weiter wachsende Leistungsanforderungen an die Einzelnen. Gerade von Südkorea weiß man, dass hier der Leistungsdruck besonders massiv ausgeprägt ist. Der in Berlin lehrende koreanische Philosoph Han Byung-chul spricht in diesem Zusammenhang von der „Müdigkeitsgesellschaft“. Was müsste sich ändern, um die Gesellschaft humaner zu gestalten?

Es ist richtig, dass wir in unserer Gesellschaft bedenkliche Entwicklungen zu beobachten haben. Südkorea verzeichnet eine der höchsten Selbstmordraten der Welt. Die Jungen müssen aufgrund beruflicher Anforderungen auf vieles verzichten, sie finden häufig keinen adäquaten Wohnraum und Kinder zu bekommen ist oft sehr schwierig. Insofern lässt sich das Wort von der "Hölle Korea" nicht ganz von der Hand weisen. Ich habe hier natürlich kein Patentrezept parat, aber ich hoffe, dass wir uns über eine intensivere Vernetzung mit unseren Nachbarvölkern und im Zuge eines Annäherungsprozesses an Nordkorea verändern. Die andere Seite wird sich verändern, aber wir ebenfalls. Es wäre sehr zu wünschen, dass wir darüber auch zu neuen Ideen von Wachstum und Leistung finden.

Hwang Sok-yong, ein kultureller Botschafter.
Hwang Sok-yong, ein kultureller Botschafter.
© Malte Heidemann

Sie waren länger im Ausland. Haben Ihre Einblicke in die westliche Kultur, in Berlin und in New York, später in Paris und London, Ihr Denken, Ihr Empfinden und Schreiben verändert?

Oh ja, mit der tiefgreifenden Veränderung der Welt seit 1989 bin auch ich zu einem anderen Menschen geworden und schreibe anders als zuvor. In Berlin habe ich den Mauerfall miterlebt, in den USA einen Aufstand von Afroamerikanern, in London die Bombenanschläge von 2005 und im selben Jahr in Paris den Aufstand Jugendlicher in den Vorstädten. All dies sehe ich nicht als Einzelereignisse, sondern als eine in sich verbundene Entwicklung. Ich habe Themen wie Modernisierung, Flucht oder die soziale Problematik in meinen Romanen verarbeitet.

Sie haben die Jahrzehnte der Militärdiktatur in Südkorea durchlitten, sie saßen mehrmals in Haft, und Sie haben sich persönlich und in Ihrem Werk immer wieder für eine Demokratisierung eingesetzt. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Stärke der gegenwärtigen Demokratie Ihres Landes ein?

Südkorea hat noch nicht das demokratische Niveau von Ländern wie Deutschland oder Frankreich erreicht. Vor allem unsere Wirtschaft muss demokratischer werden. Das Steuersystem ist nicht ausreichend nachvollziehbar und das Prinzip, dass derjenige mehr Steuern zahlen muss, der auch mehr verdient, ist nicht vollständig durchgesetzt. Das betrifft insbesondere die großen Unternehmen. Mit höheren Steuereinnahmen könnten wir vor allem für unsere junge Generation mehr tun. Ein anderer Punkt, der die weitere Demokratisierung unseres Landes behindert, ist das „Nationale Sicherheitsgesetz“. Es regelt den Umgang mit Nordkorea und führt zu Intransparenz und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Es wird höchste Zeit, dieses Gesetz abzuschaffen.

Malte Heidemann

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