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Vorstellungsrunde. Der Neuköllner Daniel Heitzler, 23, fordert mehr Mut zum Experiment.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Videoporträts beim Bachmannpreis: Performe dich selbst!

Sie schreien, spielen Tennis oder inszenieren sich als Fahrer: In Videoporträts stellen sich die Teilnehmer in Klagenfurt vor. Manchmal lässt das Rückschlüsse auf die Texte zu.

Auf die Frage, was er in seinem Bachmannpreis-Video tun wolle, antwortete der jüngste Teilnehmer des diesjährigen 14-tägigen Feldes, der 23 Jahre alte Daniel Heitzler: keine Ahnung. „Und ein paar Tage später dann“, so lautet der nächste Satz in dem Video, begleitet von ein paar James Blake-Soundschnipseln: „vielleicht Tennis spielen“. Folglich sieht man Heitzler auf einem Tennisplatz den Schläger schwingen und danach was aus seinen Leben berichten. Er plaudert drauf los und erzählt Sachen, die kein etablierter Autor mehr so sagen würde, dass er etwa Fan von David Foster Wallace oder den Doors oder Kerouac sei, einfach so. Er macht jedoch viele Sympathiepunkte damit, ganz zu schweigen von seinen langen schwarzen Haaren, den schwarz lackierten Fingernägeln und dem Joy-Division-T-Shirt (Videos finden Sie hier: https://bachmannpreis.orf.at/tags/autoren2019/

Was Heitzler hier unbekümmert performt, ist eine Übung, die zu den missliebigsten, unbeliebtesten für die Autoren und Autorinnen des Ingeborg-Bachmann-Lesens gehört: das gefilmte Porträt, Selbstporträt, zwei, drei Minuten lang. Das wird vor jeder Lesung gezeigt, damit das Publikum vor dem Fernseher und im ORF-Studio einen Eindruck davon bekommt, was das für ein Typ ist, der oder die da jetzt liest.

Das klingt dann, wenn es der übertragende Sender selbst macht, so wie bei der in Wien geborenen Sarah Wipauer: „Wer die Welt der Sarah Wipauer verstehen will, muss ihre Texte lesen, sie erzählt lieber Geschichten als über sich selbst“. Aha, das könnte immerhin stellvertretend für alle gelten. Oder: „Sarah Wipauer ist eine Schriftstellerin, die auf ganz besondere Art und Weise versucht, die Welt zu verstehen. Sie stellt Fragen, die Antworten in ihren Texten sind oft sehr eigenwillig und voll schrägen Humor.“

Videos schwanken zwischen originell und gekünstlert

Weil das arg schlimm ist, versuchen dann die meisten Autorinnen doch, diese Porträts allein zu gestalten oder sich mit Hilfe von 3-Sat selbst zu inszenieren. Zwischen übertrieben originell und gekünstlert auf der einen Seite, schlicht aus dem Schreib- und Arbeitsleben berichtet auf der anderen  - so ist dann die Spannbreite Jahr für Jahr, und oft lassen diese Porträts Rückschlüsse auf den Text zu.

Wenn etwa Martin Beyer sich vor dem Bamberger Henkershaus filmen lässt, wo er zehn Jahre gewohnt und gearbeitet hat, und erzählt, ihm ginge es in seiner Prosa oft um Außenseiter und Sonderlinge. Oder die gelernte Wiener  Performerin Ines Birkhan expressiv in ein Old-School-Mikro haucht, schreit, atmet, nervt, Sätze wie „Ich lebe in Wien, ich bin 435 Jahre alt“, fast vier Minuten lang. Könnte experimentell sein, diese Prosa. Oder Ronya Othmann gar nichts sagt und eine Art Fotoalbum von sich zeigt, mit einer 16-Millimeter-Kamera aufgenommen. Also: Indierock. Oder Lukas Meschik, der sagt, er sei ein „Buchverrückter“, dessen Lieblingsort statt einer Bar eine öffentliche Bibliothek ist und der dann irgendwann verrät, sein Text handele von seinem Vater aus Kärnten, „der auch ein Buchverrückter war“.

Das beste Porträt stammt von Tom Kummer

Am besten neben Heitzler dieses Jahr ist die Schweizerin Silvia Tschui, die gar nicht selbst zu sehen ist in ihrem Porträt, sondern sich von einem Freund vorstellen und den mehrmals sagen lässt, sie brauche verdammt nochmal das Preisgeld. „Und dringend auch ein bisschen Anerkennung“. Und natürlich ist da noch Tom Kummer, der in die Rolle eines Fahrers schlüpft, das Fahren als Metapher für seine Literatur begreift („ich mag kurze Sätze, hohes Tempo, verdichtete Sprache, ich fahre ständig in der Gesellschaft von Sätzen“, „Literatur ist meine Sauerstoffmaschine“), und auf dem Armaturenbrett immer das Foto seiner verstorbenen Frau anschaut. Leben, Literatur, Lügen, das bringt Kummer hier gekonnt und elegant und böse zusammen. Gäbe es für die Videoporträts einen Preis, Kummer müsste ihn gewinnen. Ansonsten erinnert man sich sicher gern an die Worte von Heitzler, wenn es denn an diesem Donnerstag mit den ersten fünf Lesungen losgeht: „Es ist mir ein persönliches Anliegen, sich wieder mehr zu trauen, auch sprachlich“.

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